Kreuzberger Chronik
Juni 2009 - Ausgabe 108

Geschäfte

Skooter vom Kreuzberg


linie

von Horst Unsold

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Er liebt sie. Er poliert sie auf Hochglanz. Er fährt sie. Er ist der Vespa-Spezialist vom Kreuzberg.

ES GAB eine Zeit, da waren Motorroller unter Männern verpönt. Echte Männer setzten sich auf tief gelegte Chopper mit hohen Lenkern und lautstark dröhnenden Motoren. Das Motorengeräusch der Motorroller klang daneben wie das Summen von Bienchen, weshalb der Roller vor allem den Damen vorbehalten blieb.
In Asien schlängeln sie sich seit vierzig Jahren auf ihren kleinen Rädern erfolgreich durch den dichtesten Verkehr, in Italien zogen die fahrenden Damen mit ihren kurzen Röcken und den langen Haaren schon immer die Blicke der Männer auf sich, und in der DDR wurde die Schwalbe spätestens nach der Wende zum Kult.
Inzwischen ist der Roller aber auch im Westen Deutschlands wieder etwas wert. Vor allem, wenn es ein Modell aus den legendären Sechzigern ist. Eine Vespa von Piaggio mit ihren weichen Rundungen und ihrer hellblauen oder orangerosafarbenen Karosserie und dem runden Tachometer mit der »90« am Ende der Geschwindigkeitsskala ist Kult.
Herr Igac hatte schon als Kind eine Schwäche für alte Möbel, alte Schallplatten, altes Geschirr. Sogar den unfortschrittlichen Hippies konnte der junge Kreuzberger etwas abgewinnen, und Namen wie Zündapp, Kreidler, Velo-Solex sind für ihn bis heute Synonyme der Siebziger, aber schon damals hatten es ihm die Scooter ganz besonders angetan. »So eine Vespa kommt noch aus der Zeit der Rebellion. So ein Motorroller, auf den du dich im T-Shirt drauf setzt und einfach losfährst, das ist die Freiheit! Diese Leute auf ihren Vespas in Italien, Frankreich, Spanien, die waren einfach viel lockerer drauf als die Deutschen«.
Trotz des immanenten lockeren Stils schienen die Roller in den Achtzigern ein Auslaufmodell zu sein. Doch seit ein paar Jahren erleben die verkleideten Zweiräder eine Renaissance. »Du hast keine Parkplatzprobleme, zahlst kaum Steuern, kommst durch jeden Stau. Außerdem ist so ein Roller einfach komfortabel, mit dem kannst du in Schlips und Bügelfalte zur Hochzeit fahren. Sogar im Regen«. Herr Igac verkauft Vespas aus Passion. Aus Überzeugung. Und er versucht auch, jeden seiner Kunden davon zu überzeugen, dass es zur Vespa keine Alternative gibt. Selbst wenn die Kunden das auch schon selber wussten.
Alles begann damit, dass Igac in einer Garage einen alten Roller zerlegte und wieder flott machte. Inzwischen hat er viele Vespas zerlegt, er ist ein Spezialist geworden. Anfang des Jahres eröffnete er den Laden in der Katzbachstraße und stellte einige seiner restaurierten Vespas ins Schaufenster. Schon nach wenigen Tagen hatte sich die Kunde vom neuen Vespahändler herumgesprochen, ein paar Tage später war der Laden »schon wieder ziemlich leer!« Nur mit einem kleinen, handgeschriebenen Zettel an der Tür hatte er auf die baldige Eröffnung
Er liebt, sie repariert sie, er fährt sie: Der Vespahändler vom Kreuzberg Foto: Michael Hughes
von Scootertipps hingewiesen, aber der kleine Zettel fiel auf. Am Tag der Eröffnung standen die Leute bei ihm im Laden Schlange.
Dass Igac ein leiden-
schaftlicher Schrauber ist, dafür bürgen die alten Fotografien von historischen Rollern an der Werkstatt-
wand. Und die Fotografien, die er selbst von seiner Arbeit macht. Schritt für Schritt dokumentiert er die Wiederherstellung, vom Zustand der Vespa beim Ankauf über ihre sämtlichen zerlegten Einzelteile bis hin zur letzten Lackierung hält er alle Arbeitsschritte mit der Kamera fest.
»Ich möchte jeden, den ich heute grüße, auch morgen noch grüßen können!«, sagt er, lässt den Roller des Kunden wieder auf die Räder und greift mit seinen maschinenölschwarzen Fingern nach dem filigranen Teeglas. »Jeder, der hier reinkommt, ist erst mal ein Mensch für mich. Dann ist er ein Kunde, also einer, der etwas von mir will. Und das versuche ich ihm auch zu geben. Andere, die sehen nur Geldscheine, wenn einer hereinkommt. Das kommt bei mir erst ganz am Schluss«.
Die Tee-Pause ist kurz. Der Vespa-Spezialist hat zu tun, und während der Kunde den zweiten Schluck nimmt, schraubt der Fachmann schon wieder am nächsten Roller. »Das schwierige ist nicht das Verkaufen, sondern das Kaufen! Ich brauche Nachschub!« Mit Ersatzteilen allerdings hat er keine Probleme, »Vespa gibt es praktisch überall auf der Welt«. Auch einige andere italienische Marken stehen beim Spezialisten hoch im Kurs, doch mit den chinesischen »Joghurtbechern auf Rädern« steht er auf dem Kriegsfuß. »Lauter billige Kopien und geklaute Ideen! So etwas unterstütze ich nicht«.
Auch den verbrieften Meistern der KFZ-Werkstätten mit ihren sauberen Händen steht der Praktiker skeptisch gegenüber. Was nutzt einem Mechaniker die ganze Theorie, wenn er keine Erfahrung hat. Davon hat Herr Igac in den letzten zehn Jahren reichlich gesammelt. Seine Hände zeugen von unzähligen fest gerosteten Schrauben, von Stahlwolle und Schmiere, lauter kniffligen Problemen. »Aber die Not«, sagt Herr Igac, »macht erfinderisch. Die Not ist unser bester Lehrer«. Sogar Enrico Piaggios erste Vespa von 1948 war letztendlich nichts anderes als eine »Notlösung«, eine Idee der Not.
Die Vespa ist für Igac heute »der einzige Kultroller mit einer tragenden Blechkarosserie«. Und für ihn gibt es »nichts Seltsameres als ein frisch lackiertes Fahrzeug mit spröden Gummiteilen und mattem Chrom«. Wenn Igac poliert, dann glänzt das Blech der Karosse wie »Schellack auf dem Piano!«, dann wird jede Leiste verchromt wie in den Sechzigern. An seinen Vespas ist kein Makel, alles ist perfekt. Und weil die stillosen Reifen von Pirelli zu den auf Hochglanz polierten Produkten aus der Katzbachstraße nicht passen wollen, hat der bekennende Vespa-Fan sogar ein Verfahren entwickelt, um die schwarzen Gummis in strahlende Weißwandreifen zu verwandeln. •


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