Juli 2009 - Ausgabe 109
Strassen, Häuser, Höfe
Die Blücherstraße No. 13 von Kimmo Kiimalainen |
Einst Treffpunkt der Revolutionäre und Wiege des ersten wissenschaftlichen Dokumentarfilms, heute ein unscheinbares Haus wie viele andere. MANCHMAL erzählen die alten Häuser noch selbst von ihrer Geschichte und all den Geschichten, die sich zugetragen haben. Oft aber muss man die staubigen Dachböden und Keller verlassen und an ganz anderer Stelle – in Archiven oder Bibliotheken – nach der Historie suchen. Dort erfährt man dann all das, was die Krisen und Kriege an den Spuren der Vergangenheit in den alten Gemäuern längst ausgelöscht haben. Das Haus Blücherstraße 13 gehört zu dieser schwierigeren Sorte. Fast nichts ist von der Vergangenheit erhalten. Man weiß nur, dass das Haus 1888 erbaut wurde, nachdem das dort gelegene Elisabeth-Kinder-Hospital abgerissen und an der Hasenheide Nr. 80-87 neu errichtet wurde. Der Bauherr und Eigentümer des Grundstücks Blücherstraße 13, der früheren Pionierstraße 7a, hieß Strasser und war Maurermeister. Der Anfang war glanzlos und trist. Schlägt man das Berliner Adressbuch von 1889 auf, finden sich unter dieser Adresse zahlreiche Mietparteien, die wohl die Aufgabe hatten, die Wohnungen für die höhere Gesellschaft »trocken zu wohnen«. Die wenigen detaillierten Informationen, die wir über die Einwohner um die Jahrhundertwende haben, stammen von Pfarrer Carl Wilhelm Albert Stage, der seit 1890 in dem Haus wohnte und die Gemeinde der gegenüberliegenden HeiligKreuz-Kirche betreute. Pfarrer Stage spricht schon zu Beginn des Jahrhunderts vom Elend der Einwohner, und Not und Elend gehörten auch in den folgenden Jahren zum Inventar der Wohnungen in der Blücherstraße Nr. 13. Auf einer Fotografie aus dem Jahr 1909 sieht man Haushaltswaren, Werkzeuge, schmutzige Wände, dunkle Ecken und niedrige Decken. Nichts deutet darauf hin, dass das Gebiet um das Hallesche Tor damals zur besseren Wohngegend in der Stadt gehörte. Doch das Haus hatte auch glanzvolle Momente. Geradezu vornehm ging es im Fotoatelier Stróm & Walter und im Atelier Imperial zu, die in der Blücherstraße residierten. Noch glanzvoller war es auf dem Dachboden des Vorderhauses, der um 1910 zu einem Freilichtatelier für das gerade aufkommende Filmgewerbe umgebaut wurde. »Hier wurde von der Schauspielerin Henny Porten, wie sie im hohen Alter einem Bewohner des Hauses berichtete, ihr allererster Film gedreht«, vermerkte der Maler Mühlenhaupt in seinem 1976 erschienenen Buch Das Haus Blücherstraße 13. Von einem Glasdach ist hier die Rede, das mitten in den Dreharbeiten zerbarst. Von eleganten Büroräumen und eisernen Wendeltreppen, die zum Atelier gehörten. Und dann erfahren wir, dass in den 40ern Historisches Foto, 1906, Wohnung und Werkstatt eines Drehers Foto: Postkarte
häuser, von der Nr. 1 bis zur Nr. 12, sowie die Nr. 14 fielen den Bomben zum Opfer. Nur die magische 13 blieb stehen. Auch in der Geschichte der Revolution von 1918/1919 spielte das Haus eine kleine Nebenrolle, denn am 11. Januar 1919 waren zwei Ikonen des Widerstandes im Vorderhaus zu Gast: Auf der Flucht vor den Kontras suchten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bei Dr. Alfred Bernstein, einem Stadtverordneten und Arzt, Unterschlupf. Schon am folgenden Tag mussten sie das Haus wieder verlassen, laut Heinz Knobloch mit einer Droschke, laut Kurt Mühlenhaupt »mit Hilfe einiger Hausbewohner und über die Dächer«. Wenige Tage später wurden die Revolutionäre ermordet. Der bereits 1910 als »Anarchist und Gebärstreikpropagandist« bekannt gewordene Arzt aber blieb bis zu seinem Tod in der Blücherstraße. 1922 dann kam die Nummer 13 in Berührung mit einer Revolution ganz anderer Art: Die Colonna-Film GmbH zog ein. Sie gehörte Hanns Walter Kornblum, der sich der Aufgabe verschrieben hatte, die Popularisierung der damals revolutionären Gedanken des Schweizer Patentbeamten Albert Einstein voranzutreiben. Das Ergebnis seiner Bemühungen war nichts Geringeres als der erste populärwissenschaftliche Kinofilm überhaupt. Er trug den Titel Die Grundlagen der Einsteinschen Relativitäts-Theorie. Fotos von den Dreharbeiten deuten darauf hin, dass einige Szenen im hauseigenen Filmatelier unter dem Dach gedreht wurden. Die dreiteilige deutsche Originalfassung des Einstein-Films gilt als verschollen, auf der bis heute erhaltenen Zensurkarte aber steht immer noch Colonna-Film, Berlin SW 61, Blücherstr. 13. Dass nicht nur Weltereignisse, sondern auch der Alltag der kleinen Leute zur Geschichte eines Hauses gehört, daran erinnerte der Maler Kurt Mühlenhaupt, der von 1963–1976 in der Blücherstraße 13 wohnte, mit seinem Buch. Er überlieferte ein deutliches Bild vom Kreuzberg der Nachkriegsjahre. Und beim Betrachten dieses Bildes wird klar, dass sich das Leben in der 121-jährigen Geschichte des Hauses im Grunde kaum verändert hat: »Die Menschen in unserem Haus sind keene Millionäre. Die sind nur reich weil se n Zuhause haben«, schrieb Mühlenhaupt schon 1976. Und so ist es heute noch. • |