Kreuzberger Chronik
Dez. 2009/Jan. 2010 - Ausgabe 113

Herr D.

Der Herr D. und der Schulfeind


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von Hans W. Korfmann

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oder – Warum der Herr D. um Conrad einen Bogen machte.
ALS DER Herr D. noch zur Schule ging, da hatte er einen Feind. Der Feind hieß Conrad und war ein kleiner, hinterhältiger, schlauer Streber. Eines Tages, als Conrad ihn bei der Lehrerin anschwärzte, lauerte er dem Feind am Schulausgang auf. Conrad schlug mit dem Kopf an den Schulbriefkasten und blieb bewusstlos liegen. Vielleicht lag es daran, dass der Herr D. Elektro-Conrad all die Jahre aus dem Weg gegangen ist. Erst, als sein Nachbar einen Farblaserdrucker kaufte und ganz begeistert war, überwand der Herr D. das Schultrauma.

Der Drucker druckte und druckte. Bis der Toner verbraucht war. Der Herr D. hatte damit gerechnet. Wenn auch nicht so bald. Damit, dass er trotz neuen Toners nicht druckte, hatte er nicht gerechnet. Herr D. versuchte, Conrad telefonisch zu erreichen. Conrad war nicht da. Also ging er hin. Der Mann am Service-Schalter hatte zu tun, er sprach mit einem Kunden über das Innenleben dessen Computers. Als das Beratungsgespräch beendet war, verschwand der freundliche Berater durch eine Tür. Ohne den Herrn D. eines Blickes zu würdigen.
Nach fünf Minuten kam er zurück: »Und was kann ich für Sie tun?«
– »Mein Drucker ist kaputt!« – »OK«, sagte der freundliche Berater, »wir schicken jemanden, der ihn abholt und an den Hersteller schickt.« Es dauerte einen Monat, aber der Kurier kam. Nach wiederum einem Monat stand der Drucker wieder da. In einem erbärmlichen Zustand: Schwarz vom Toner. Herr D. putzte, schaltete ein, da rumpelte es eine Minute, als stecke eine Schraube im Getriebe, dann spuckte er ein Plastikteilchen aus und blieb endgültig stehen.

Der Herr D. rief den Hersteller an und gab die Gerätenummer durch. »Dieses Gerät war nie bei uns zur Reparatur!«, sagte der Gerätehersteller. »Da muss jemand anderes dran herumgebastelt haben. Damit erlischt der Garantieanspruch!«
Der Herr D. war froh, dass Conrad kein kleiner Schuljunge mehr war. Sonst hätte er ihm vor der Tür auflauern müssen. Der Herr D. rief an. Conrad war nicht da. Also ging er hin. Der freundliche Berater hatte gerade viel zu tun. Irgendwann sah er den Herrn D. »Tja, das kann beim Transport passiert sein!«, konstatierte der Elektromann. »Keine Ahnung, wer da jetzt verantwortlich ist. Sie selber waren da nicht dran?« Für den Bruchteil einer Sekunde verwandelte sich der freundliche Verkäufer in den kleinen Conrad, dann war der Spuk vorbei.
Es dauerte einige Tage, da rief Conrad an. Die Welt war gar nicht so schlecht, wie der Herr D. glaubte. Ein nagelneuer Drucker stand für ihn bereit. Beschämt grüßte der Herr D. den viel beschäftigten Berater am Serviceschalter, nahm den Karton und ging. Erst später bemerkte er, dass man ihm ein anderes Modell gegeben hatte. Und plötzlich sah er ihn wieder, den kleinen, hinterhältigen Conrad vom Schulhof.... •


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