Kreuzberger Chronik
November 2008 - Ausgabe 102

Essen, Trinken, Rauchen

Sas versucht es mit Pommes


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von Saskia Vogel

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Der Kiosk im Spreewaldbad





Ihre gute Laune hatte Sas schon längst verloren. Nachdem sie sich genötigt sah, barfuß über einen stark beharrten Boden zu schliddern (die dummen vergessenen Latschen!), in den Duschen kaum Platz fand und dann auch noch feststellen musste, dass neben den feuchten Toiletten (igitt!)) durchnässtes Klopapier lag (noch viel mehr igitt!), konnte es eigentlich nicht schlimmer kommen. Aber es kam schlimmer.

Frühmorgens würden einem im Spreewaldbad keine Pubertierende mit lärmenden Bauchklatschern direkt vor die Visage springen, hatte Sas sich sagen lassen. Aber heute war Sonntagnachmittag, das Bad zum Bersten voll, und dummerweise hatte sie sich auch noch Karten für die gemischte Saunaanlage gekauft. In dem gekachelten Kühlhaus fiel es Sas angesichts des Spaliers von glotzenden Männern äußerst schwer, sich auch nur annähernd »well« zu fühlen. Und was die Typen da mit ihren Händen unter ihrem Handtuch (also nicht unter Sas` Handtuch!) machten, lag jenseits ihres Vorstellungsvermögens. Auf einer großen Liste hatte der hiesige Bademeister mehr als zehn Verhaltensregeln aufgeführt. »Aus gegebenem Anlass« vermutlich. 1. Bitte urinieren sie nicht in das Tauchbecken. 2. Bitte lösen Sie nicht ihre Wundpflaster. 3. Bitte schneiden Sie sich nicht ihre Zehnnägel in der Sauna. Und so weiter und so fort.

Im letzten Moment fällt Sas der Rat der Mutter wieder ein. Immer wenn jemand sie »untergegluggert« hatte, sagte sie: »Kauf dir ´ne Pommes mit Majo, Kind!« Also flüchtete Sas zur Imbissbude. Denn wann schmecken Fritten schon besser als leicht fröstelnd, mit nassen Haaren und Chlorgeruch in der Nase? Der Badekiosk lag mit 1,70 Euro pro Tüte, rausgeschaufelt aus einer großen weißen Plastikwanne, ganz gut im Preis. Man höre und staune: Fünf Fischstäbchen für 1,95 euro, Kartoffelpuffer für nur 50 cent Aufschlag und – oho! – Ananassaft in Bio-Qualität! Ansonsten: Das übliche Plastikstuhlmobiliar, kitschige Sonnenuntergang-und Delfin-Motive als Wanddekor und Berliner Schnauze statt Service.

Aus sicherer Distanz beobachtete Sas während des Kauens das schwimmende Volk, das dicht gedrängt im Becken planschte. Und dann ging auch noch der Wellengenerator an, der das Kreuzberger Allerlei fröhlich im Mixer pürierte: rosa Badeanzüge, hochgepushte Tittchen, ruppige Jungs, Tupperdosen, Pamperskinder, »Kreisch!«, Pädophile, »Kreisch!«, knutschende Pärchen, Fußpilze, bärige Bullen, »Kreisch!«, übergewichtige Muttis, Arschgeweihe, Hunde.... Moment: War da tatsächlich ein Hund? Und wenn ja, ist der Köter etwa untergetaucht? Oder hat Sas ihn nur mit dem Brusthaartoupet verwechselt, das gerade gekonnt den Gipfel einer Welle erklimmt? Sas will es gar nicht wissen. In Windeseile verlässt sie das Bad. Ohne zu duschen, ohne sich korrekt anzuziehen, ohne sich um einen Platz zum Föhnen zu kloppen. Aber nicht, ohne vorher noch einmal dreist ins Tauchbecken gepinkelt zu haben. •

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