Kreuzberger Chronik
Dez. 2008/Jan. 2009 - Ausgabe 103

Geschäfte

Der Froschkönig


linie

von Ina Winkler

1pixgif
Wäre da nicht eines Tages Schwester Genovefa gekommen und hätte gefragt, ob Rosi diesen Stuhl nicht irgendwie brauchen könnte, dann würde es das kleine Geschäft mit den vielen Fröschen in der Gneisenaustraße womöglich nicht geben. Aber Schwester Genovefa hatte etwas gegen das Wegwerfen, und Rosemarie Schröder fiel sogar bei dem blöden Schalenstuhl aus Plastik noch etwas ein: Sie verkleidete die Vorderbeine mit Pappmaschee zu ein paar dünnen, grünen Beinen, vermachte ihnen Flossen, setzte einen grünen Bauch auf den Stuhl und darauf einen Kopf mit einem breit grinsenden Froschmaul. So gemütlich saß der Frosch auf dem Stuhl, dass er sofort die Sympathien aller Anwesenden im Freizeitheim auf sich zog.

Als Jahre später, nachdem das Kinderheim »abgewickelt worden war«, eine Mitarbeiterin bei der ehemaligen Spieltherapeutin Schröder anrief und fragte, ob sie sich nicht noch ein paar der alten Pappfiguren abholen wolle, da lud sie ein ganzes Auto voll mit den witzigen Gestalten. Der Stuhlfrosch, den sie 2002 ins Schaufenster der aufgelösten Galerie in der Gneisenaustraße stellte, hat seitdem viele Verehrer gefunden. Und heute heißt das kleine Geschäft »Froschkönig«, und die vorherrschende Farbe ist froschgrün. Neben den Stuhlfröschen gibt es Frösche als Lampenhalter, als Kerzenständer, mit goldenen Kronen auf dem Kopf und mit der Zeitung in der Hand, auf Postkarten und in Teetassen, aus Blech und aus Holz, als Weihnachtsschmuck und als Motive für Wandbilder in lindgrünen Rahmen. Rosi Schröder ist auf den Frosch gekommen.

Begonnen hatte alles mit den Figuren fürs Kasperltheater, die sich die elternlosen Kinder bei der Spieltherapeutin für ihre kleinen Aufführungen zusammenleimten. Doch das Schaffen eigener Figuren wurde allmählich zur Leidenschaft, die Wesen aus Pappmaschee wurden größer und größer, Masken entstanden, Büsten, und ein riesiger Elefant, der nicht mehr durch die Tür passte. Nicht allen der Kinder haben die Figuren geholfen, einige von ihnen trugen die Last schwerster Schicksalsschläge mit sich herum. Aber manche schafften es.

Kürzlich betrat ein junger Mann den Froschkönig, spazierte an der Galerie der Masken vorüber und blieb dann lange vor einer jener Figuren stehen, die noch aus dem Kinderheim stammten. Ein breites Grinsen überzog sein Gesicht, und die Froschkönigin Rosi sah sich den jungen Mann etwas genauer an. »Mensch, Sebastian!« Sebastian war ein junger Mann geworden, stolz darauf, die Ausbildung abgeschlossen und Arbeit gefunden zu haben. »Aber irgendwie riecht‘s hier immer noch wie damals im Heim!«

Foto: Michael Hughes
Die meisten aber verirren sich nur zufällig in den Froschladen, angezogen von den witzigen Figuren, die im Schaufenster auf der

Bank sitzen oder von der Decke baumeln. »Kürzlich kamen zwei Punks, vollkommen abgerissen, und sahen sich meine Galerie von Köpfen an. Und der da drüben mit dem Joint im Mund und dem grünen Irokesen, der sah ihm total ähnlich. Die Beiden standen davor und waren nur noch am Lachen!«

Als Rosemarie Schröder die Kinder aus dem Heim verlor, beschloss sie, alleine weiter zu machen mit ihren Pappfiguren. Für die eigene Kreativität war in der Werkstatt des Kinderheimes ohnehin kaum Zeit gewesen. Zwar hatte sie schon damals mit ihren kleinen Mitarbeitern Figuren zur Dekoration des Bastelgeschäftes Pappzerapp kreiert, die dann auch immer öfter über den Ladentisch in der Wilmersdorfer Straße gingen, doch als Kunsthandwerk hatte die Pädagogin die Figuren nie betrachtet. Bis heute mag sie »das Künstlergehabe überhaupt nicht!«

Doch ist inzwischen eine regelrechte Galerie entstanden. Ein Panoptikum, ein kleines Volk von Köpfen, denen man zutrauen könnte, dass sie des Nachts zu Leben erwachen und heimlich flüstern miteinander: Die fromme Helene mit dem Urgroßvater von Rosi, oder die beiden Nachbarn, die sich in den Masken sofort wieder erkannten. Der Punk mit dem Joint im Mundwinkel mit dem Zigarrenraucher, der ein paar Köpfe weiter hängt. Alle sind sie ganz nah am Leben mit ihren lächelnden Lippen, ihren Schmollmündern, ihren roten Brillen und roten Backen, ihren schlechten Launen oder ihrem verliebten Blick. »Das sind alles Leute, die da draußen vor dem Laden vorbeilaufen. Ich kann mir keine Namen und keine Zahlen merken, aber Gesichter vergesse ich nicht. Die Vielfalt fasziniert mich.«

Inzwischen haben die Frösche und die Masken der Froschkönigin erste Sammler gefunden. Sogar in Smaland, wo Astrid Lindgrens unsterblicher Michel aus Lönneberga sein Unwesen treibt, soll in der Tiefe des Waldes ein Haus stehen, in dessen Fenstern, wenn man sich nähert, ein Mädchen zu erkennen ist, das aussieht wie Pippi Langstrumpf. Es besteht aus Leim und zerrissenem Zeitungspapier, aber es sieht so echt aus, dass sich hinterhältige Strolche wie Donner Karlsson niemals näher trauen würden. •

zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg