Kreuzberger Chronik
April 2008 - Ausgabe 96

Die Reportage

Hinter dem Finanzamt


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von Hans W. Korfmann

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Vorne, wo zu Mittag die Beamten des Finanzamtes vor der Tür stehen und rauchen, und wo einst die schmucken Reiter des 1. Garde Dragoner Regiments ihr Quartier hatten, ist alles sorgfältig renoviert. Hinten im Hof aber, wo die Pferde standen, erinnern die flachen Garagen mit ihren hölzernen Türen noch an die Zeit nach dem Krieg. Da hatten sich einige Handwerker provisorische Werkstätten eingerichtet, um irgendwie weiterzumachen. Doch von jenen, die damals hier einzogen, ist keiner mehr da. Da ist noch der Schreiner, der Steinmetz, der Polsterer, und »der Kühn«. Die Besitzer der Autoreparaturwerkstätten mit ihren 50 oder 100 Garagen und den alten Hallen der Reiter trinken lieber Tee statt Bier. Selbst der Hausmeister des Geländes, der behauptet, seit 1976 hier zu sein, kommt von der türkischen Mittelmeerküste. Viel zu erzählen hat er trotzdem nicht.

Auch Yilmas und Mehmet Sanli sind keine Männer, die viele Worte machen. Sie arbeiten lieber. An den alten Wänden ihrer Werkstatt hängen keine nackten Frauen, sondern Bilder vom sonnigen Osten und von den Automobilen aus jenen Zeiten, als ein Auto noch etwas Besonderes war. Und als der Name Deutschland noch verheißungsvoll klang. »Wir sehen hier keine Zukunft mehr!«, sagt der eine der beiden Brüder. »Für uns nicht und für die Deutschen selbst auch nicht.« Dann beginnt er, von den Renten zu erzählen, und von der Miete, die sie hier zahlen müssen. Ab und zu wirft er einen Blick auf das große Bild, das über dem Tisch hängt. Es ist der Vater der Brüder S¸anli. Stolz steht er neben einem großen Lkw auf der Bundesgartenschau. Er ist gestorben, »vor Sorge. Mit 54!« Über der Tür hängt noch ein anderes Bild. Es zeigt eine schmale, unsichere Brücke, die von einer schwankenden Eisscholle zu einer Burg führt. »Früher konnte ich von meinen Bildern leben«, sagt Yilmas. »Aber da hab ich jetzt nicht mehr die Nerven für!«

Der Autoservice Sanli ist ein Familienbetrieb, hier arbeiten neben den Brüdern noch zwei Cousins, ein Neffe und einige Freunde. Die Werkstatt haben sie selbst eingerichtet, Heizung eingebaut, Estrich gegossen, die Wände verputzt. Die kleinen Malereien, die sie auf den Wänden fanden, haben sie fotografiert, und das Halfter, das unter der Decke hing, aufbewahrt. »Überall auf dem Gelände sind noch die Eisenringe in den Wänden zum Anbinden der Pferde!« Die Brüder haben Sinn für Altes, sie hängen an der Vergangenheit. Vielleicht, weil die Zukunft aussichtslos ist. Über der Schreibtischecke hängen neben dem Meisterbrief unzählige Urkunden von Weiterbildungen. »Aber die Miete ist einfach zu hoch! Dabei wird die Technik immer komplizierter, und immer teurer.«

Vor zwanzig Jahren, als die Brüder auf den Hof kamen, da waren die türkischen Mechaniker noch eine Handvoll. Heute sind sie viele. Sie heißen Star Autoservice oder T.Ü.R.K. Car. »Herr Kühn ist der letzte Deutsche. Alle andern sind weg. Aber wir kommen gut klar mit dem Herrn Kühn.«

Tatsächlich lacht Herr Kühn. Er hat sich arrangiert »mit den Orientalen«. Manchmal bringen sie ihm Geschenke aus dem Urlaub mit. Den hölzernen Dreimaster zum Beispiel, der jetzt einen Ehrenplatz in der Vitrine des KfzMeisters hat. Gleich neben dem Silbernen Meisterbrief für 25 Jahre Meistertätigkeit. Die Türken kommen zu ihm, wenn sie Fragen haben. Wenn ein Neuer auf den Hof kommt und nicht weiß, welches Meßgerät er kaufen soll, weil es für beinahe jede Marke andere Geräte gibt, und weil diese Geräte heute schnell mal 30.000 Euro kosten. Dann überlegen sie, was noch fehlt auf dem Hof. Und wenn Kühn oder S¸anli dann einen Kunden, aber kein Meßgerät haben, dann schicken sie den Kunden ein paar Meter weiter zum Neuen. So arrangiert man sich. »Aber wenn ich gehe und das hier dem Orient überlasse, dann gibt’s Mord und Totschlag!«


Foto: Dieter Peters
Herr Kühn ist der Chef. Der Älteste auf dem Hof, seit 1972 ist er hier. »Da gab es nur Deutsche. Und den Italiener, der saß immer in der Kneipe, und wenn Kundschaft kam, dann krempelte er sich die Ärmel hoch und legte sich mit seinem weißen Hemd unters Auto. Danach saß er wieder in der Kneipe. Alle Italiener der Stadt kamen mit ihren Fiats zu ihm!«

In der Mittagspause gingen sie zu Knospe, Currywurst essen. Da stand die legendäre Curry 36 noch mit einem Wagen in einer Einfahrt am Mehringdamm. Knospe aber war etabliert und hatte überall seine Finger drin. Da standen sie und erzählten sich, die Schrauber. Als die Currybude zur Goldgrube wurde, kam einer dann von ihnen auf die Idee, die Berliner Wurstspezialität in Ankara zu verkaufen. »Der wartet heute noch auf die Genehmigung!« Deshalb geht Kühn auch nicht zu dem türkischen Imbiß am Eingang an der Obentrautstraße mit Köfte im »Angebot« für 3 Euro. »Erst, wenn unser Freund in Ankara Curry verkaufen darf!«

Kühn kneift weder vor der Realität noch vor seinen »Orientalen«. Das wissen sie zu schätzen. Mit Kühn sind sie sich einig, daß es ein Problem ist, wenn ganz hinten, in der letzten Ecke und »unter den Fenstern des Bezirksamtes«, die Hobbyschrauber sich eine Garage mieten, und dann kommen Kunden mit einer kaputten Bremse auf den Gewerbehof, fragen erst einmal vorne beim Ersten, wo es 25 Euro kostet, fahren ein Stück weiter, wo es dann nur noch 20 Euro kostet, »und ganz hinten, im tiefsten Orient, da wollen sie es dann geschenkt haben, mit einem Glas Tee dazu! Dafür verzichten sie auf die Quittung.«

Doch selbst mit denen kommt Kühn »klar.« Nur mit der Translag hat er sein liebes Leid. »Wie oft die mich schon gekündigt haben!«, sagt er und winkt ab. Seit den zwanziger Jahren vermietet die Translag die alten Reitställe, die Reithalle und die anderen denkmalgeschützten Gebäude an die Männer mit den schwarzen Fingern. Über 700.000 Euro betragen jährlich die Mieteinnahmen. Ab und zu klagt Kühn dann auch mal gegen Translag, sagt Herr Kühn, »aber dann lenk ich doch wieder ein.« Auch Yilmas und Mehmet S¸anli klagen über den Vermieter und die schlechten Konditionen.

Noch schlimmer aber wäre es für alle, wenn sich das Gerücht bewahrheiten würde, das der Toyotavertreter, der vor nicht zu langer Zeit »gleich das halbe Gelände angemietet hat«, in die Welt setzte: daß der Hof verkauft sei. Tatsächlich hat die Stadt den großen Hof schon des öfteren zum Verkauf ausgeschrieben und wie ein Filetstückchen mit »optimaler Verkehrsanbindung« und einem »sehr geringen Grad« der »baulichen Nutzung« des 74.000 Quadratmeter großen Geländes angepriesen. Nur dem Denkmalschutz der Reithallen aus den Jahren 1850 und 1889 und einigen anderen im Wege stehenden Gebäuden auf dem Hof ist es zu verdanken, daß sich noch kein Investor fand.

»Immer wieder waren Architekten hier mit Plänen in der Hand und sind herumgelaufen und haben sich alles genau angesehen«, sagt Yilmas Sanli. Aber für Townhouses und Wohntürme war zwischen den steinernen Zeugen der Vergangenheit zu wenig Platz. Herr Kühn erinnert sich, daß die Existenz der Automechaniker, die sich hinter den Mauern des Finanzamtes eingerichtet haben, schon immer bedroht war: Mal war es ein Sportplatz, mal eine Schule, mal ein Park und mal ein Kaufhaus, das anstelle der Garagen errichtet werden sollte. Doch bis jetzt hat sich noch niemand raufgewagt auf den Hof. Es ist klar, daß die Schrauber dann noch enger zusammenrücken würden. Sie leben auf diesem Hof. Und die meisten wüßten gar nicht wohin, wenn ihnen dieser Hof genommen würde.

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