Kreuzberger Chronik
April 2008 - Ausgabe 96

Das Essen

Sas und Sushi


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von Saskia Vogel

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Sie ist so winzig, daß selbst die obligatorische Winkekatze Maneki Neko hinter dem Tresen Platzangst bekommt, wenn sich die Kreuzköllner Szeneleute im Imbiß stauen. Als Sas hereinkommt, ist der Fensterplatz, von dem sich das Gedränge auf dem Kottbusser Damm beobachten läßt, natürlich wieder besetzt. Ein RöhrenjeansYoungster mit knallblauen Turnschuhen resümiert da gerade über seinen letzten »Turntabel Job« in der Maria: »Yeah, that was hot, yeah«. Sas muß ihre Sushis wieder mal auf dem minikleinen, an die Wand gezimmerten Tischchen verköstigen, gleich neben der Küche. Ein Platz, der Einsichten verschafft.

Maneki Neko ist ein japanischer Glücksbringer für Reichtum und bestens aufgehoben zwischen dem restlichen Kitsch. Während Sas ihre MisoSeetang Suppe löffelt, entdeckt sie ein Fischplakat im Disney Comicstyle. »Big Bob« heißt der eine Fisch, »Little Bob« der andere. Und »Dave from down the reef« – Sas schaut entsetzt nach unten – liegt jetzt bestimmt seziert auf ihrem Tellerchen.

Richtig zur Ruhe kommt Sas eigentlich nicht. Ihre ursprüngliche Idee, eine Tageszeitung auszubreiten, erweist sich angesichts der Enge als Unmöglichkeit. »Ding Doooong«, die Tür öffnet sich und ein Pulk neuer Gäste strömt hinein. »Bring me a cup of Matcha Icecream«, der schneidige japanische Kellner wendet sich nach rechts, »More Chop Soey please«, er lächelt nach links. Und gleich wieder die Türschelle. Sas wird klar: Das Katzentier hat seinen Zweck erfüllt. Das Musashi wurde am 8. November 1989 eröffnet, 24 Stunden bevor die Mauer fiel. Seitdem läuft es so gut, daß Setsno Maruyama abends ganz souverän um zehn Uhr Feierabend macht.

Wahrscheinlich, weil es im Musashi sechs Makis schon für 2,50 Euro gibt und ein Glas Tee für 50 Cent. Weshalb Sas die Vorstellung, daß japanische Reisröllchen nur für Reiche und Schöne da seien, bereits aufgegeben hat. Im Gegensatz zu der Vorstellung vom grimmig dreinschauenden Meister, der mit geschliffener Stahlklinge am Werk ist, um mit lautem Schrei den toxischen Kugelfisch zu filetieren. Diese Vision hielt sich hartnäckig in ihrem Kopf. Ein SushiMeister mußte doch mindestens ein Stirnband tragen!

Sas also sitzt ganz dicht vor dem Eingang zur Küche, und da gelingt ihr ein Blick in den mit buntem Geschirr überfüllten Raum. Dort stehen zwei Frauen mit Kopftüchern vor einem großen Reistopf. Im Hintergrund dudelt der Fernseher, irgendwas auf RTL2, und die Frauen drehen die weiße Masse in die Algen ein und plappern. Zwischendurch schlagen sie mit einem ganz normalen Messer ein Fischfilet in kleine Happen und zerpflücken den Broccoli. »Mensch«, denkt Sas, »so einfach geht das?«

Nicht, daß die Frauen nachlässig wären. Sushi bei Musashi ist einfach supergut. Der Reis würzig, die Zutaten duften und selbst die komplizierten InsideOutsideMakis fallen nicht gleich bei der ersten Berührung auseinander. Die Köchinnen arbeiten routiniert und ohne Karatekunsteinlagen. Aber Sas hat das gleiche Gefühl der Ernüchterung wie damals, als sie die BioKühe im Betonstall traf. Und nicht auf der idyllischen Alm zwischen Edelweiß.

Der Blick in die Küche entlarvt die ganze Coolness der Sushis. Und eine Analogie zu den Spezialitäten von Mutti. Denn was für die Mutti von Sas die Mehlbüddel sind, sind für die japanischen Frauen die Sushirollen: Ein Produkt hausfraulicher Routine, das man im Handumdrehen formt, ohne Zeremonie und Zauber. Nur haben die Trendbewußten aus dem Kiez das noch nicht realisiert – und brüllen unseren Freunden via Handy weiterhin »Yeah, I’am having some sushis, yeah that’s hot« ins Ohr.


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