Kreuzberger Chronik
Oktober 2006 - Ausgabe 81

Die Geschichte

August Orth


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von Werner von Westhafen

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Viel von ihm ist nicht geblieben. Die meisten seiner Werke fielen dem 2. Weltkrieg zum Opfer, und auch das kupferne Medaillon auf seinem Grab, das einst sein Bildnis zeigte, wurde eines Tages vom Friedhof entwendet. In Kreuzberg allerdings, wo August Orth 1901 in der Bergmannstraße seine letzte Ruhestätte gefunden hat, steht die große Emmaus-Kirche. Sie ist eine von sechs Sakralbauten des Architekten August Orth, dessen Name längst wieder in Vergessenheit geraten ist.

Zu unrecht vielleicht, denn dieser August Orth war wegweisend gewesen. Doch waren es stets andere, die die von ihm gewiesenen Wege beschritten und sie dann mit ihrem Namen verknüpften. Orth ist einer jener vielen Ideenlieferanten, die den Lauf der Geschichte bestimmten, ohne selbst Geschichte zu machen.

Betrachtet man sein Leben, entsteht der Eindruck, als wäre dem Mann das Unglück stets dicht auf den Fersen gewesen. Vieles packte er an, um es bald wieder liegenlassen oder aus der Hand geben zu müssen. Immer wieder scheiterte die Verwirklichung seiner Projekte an unglücklichen äußeren Umständen. Als sich der 27jährige Absolvent der Baumeisterprüfung an einem Architekturwettbewerb beteiligte, erhielt sein Entwurf einer neuen Kirche am Humboldthafen zwar den ersten Preis, doch fehlte am Ende das Geld für die Realisierung. Für den ebenso genialen wie reichen Eisenbahnkönig Strousberg entwarf Orth am selben Ort eine Brücke über den Spreebogen, deren Bau abgebrochen werden mußte, weil sich das Fundament als nicht tragfähig erwies. Der Entwurf jedoch gilt heute als Vorläufer der Moltkebrücke, denn in Orths Zeichnungen werden die schmucklosen Stahlkonstruktionen erstmals durch mittelalterlich anmutende Steinbauten verblendet.

Auch der erste wirklich bedeutende Auftrag des »Privatarchitekten« kam vom Eisenbahnkönig: Es war der Bau des Görlitzer Bahnhofes (vgl. Kreuzberger Chronik Nummer 75). Majestätisch sollte er am Anfang einer direkten Eisenbahnverbindung von Berlin nach Wien stehen, die allerdings nie verwirklicht wurde. Der Traum des Eisenbahnkönigs vom internationalen Zugverkehr endete in Görlitz, wo die Reisenden umsteigen mußten. Die Bedeutung des Gebäudes schrumpfte damit erheblich, denn der geplante internationale Bahnhof wurde nun zum Regionalbahnhof.

Dessen ungeachtet ließ sich der Eisenbahnkönig 1868 von seinem Architekten ein repräsentatives »Palais« in der Wilhelmstraße Nummer 70 entwerfen, das zuerst dem Großindustriellen als Wohnsitz und später den Engländern als Botschaft diente. Die enge Verbindung zu Strousberg brachte es mit sich, daß der Architekt Orth sich nicht nur mit dem Bau von Brücken und Gebäuden beschäftigte, sondern mit neuen Verkehrskonzepten im allgemeinen. 1871  Berlin war gerade Hauptstadt geworden  entwickelte August Orth erste Pläne zum Bau einer Berliner Stadt- und Ringbahn.

Das Entstehen der engen »Mietskasernen« und Arbeiterquartiere aufgrund der rasant fortschreitenden Industrialisierung war dem Ästheten Orth ein Dorn im Auge. Der Bau neuer Wohnviertel am Stadtrand schien für ihn das einzige Mittel gegen die Überbevölkerung der Innenstadt. Mit der Ausdehnung der Stadt über ihre Grenzen hinaus aber war ein neues Verkehrskonzept notwendig. Eine Ringbahn, so Orth, sollte die Innenstadt umfahren, angebunden an Bahnhöfe, auf denen die Züge von Außerhalb ankamen. Im Stadtkern selbst sollten weiter Droschken, Busse und Straßenbahnen ihren Dienst tun. Für nur einen Silbergroschen könnten, so hatte Orth errechnet, die neuen Bewohner Berlins täglich zur Arbeit in die Stadt und nach Feierabend wieder in ihre angenehmen Wohnungen am Stadtrand kommen. Die Deutsche Eisenbahn-Gesellschaft griff die Pläne des Architekten auf, und »am 29. Dezember 1881 erlebt Orth die erste Probefahrt auf der Stadtbahn, an deren Bau er selbst, als eigentlicher Inspirator, aber nicht beteiligt wurde.«

Auch als es in der Folge darum geht, das Straßennetz innerhalb der Stadtmauern zu modernisieren und die städtischen Verkehrsmittel neu zu koordinieren, hat August Orth wieder seine eigenen Ideen. Und weil er es schon so oft erlebt hat, daß die Verwirklichung seiner Pläne an der Finanzierung scheiterten, fügte er den Entwürfen zu einer Neuregulierung des innerstädtischen Verkehrs gleich noch ein Finanzierungskonzept hinzu. Um Bodenspekulanten und anderen Geschäftemachern, wie Orth sie bereits beim Bau des Görlitzer Bahnhofs kennengelernt hatte, vorzubeugen, schlug er überdies die zusätzliche Einrichtung einer eigenen Behörde zur Umgestaltung Berlins vor. Doch die zukunftsweisenden Pläne wurden von den Behörden abgelehnt, erst hundert Jahre später sollte man nach dem Fall der Berliner Mauer ähnlich verfahren. Damals aber stand der Mann mit den städtebaulichen Visionen schon wieder ohne Job da.

Das Grab an der Bergmannstraße Foto: Dieter Peters
Dafür aber wird Orth zum Baumeister der Zionskirche, wo er die ursprünglichen Pläne des Kollegen Gustav Möller redigiert und endlich seinen eigenen Stil verwirklichen kann. Die Zionskirche ist das erste sakrale Großbauwerk des Architekten, fünf weitere Gotteshäuser folgen. Sie alle sind auf die »Krone der Stadt«, den entstehenden Dom am Alexanderplatz, ausgerichtet und sollen an jenen großen Verkehrsachsen liegen, die sternförmig auf den Dom zulaufen. Mit dem 1874 veröffentlichten »Straßenkonzept vom Lustgarten zum Alexanderplatz« aber zeigt sich zum letzten Mal der Mann mit dem Weitblick, der Stadtplaner und Visionär. Es ist sein letzter Versuch, das wuchernde Chaos zu stoppen und die, wie er schreibt, »expandierende Stadt städtebaulich und ideologisch zu gliedern«. Doch auch dieses Mal kann sich Orth nicht durchsetzen. Nur ein Teil seiner Ideen wird am Ende verwirklicht werden.

Während dieser intensiven Schaffensperiode des Architekten entstehen neben den Häusern des Allmächtigen auch einige Villen reicher Herren. 1878 wird Orth in die Königliche Akademie der Künste aufgenommen und später, im Jahr 1893, sogar zum Geheimen Baurat ernannt. Doch die finanzielle Lage des Freiberuflers ist eher eine unglückliche. Bedeutende Aufträge erhält der Kirchenbaumeister schon lange keine mehr, und der alte Orth lebt bescheiden in der Anhalter Straße Nummer 13, bis er, bereits 73jährig, im Lazaruskrankenhaus stirbt.


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