Kreuzberger Chronik
November 2006 - Ausgabe 82

Witzels Geschichten

Müller angelt


linie

Autor unbekannt

1pixgif
Morgen, Chef«, sagte Anwärter Krahlmann aus Pankow. »Tach, Herr Krahlmann«, grüßte Kriminalhauptkommissar Bernd Müller zurück und hängte seine coole Kappe an den Nagel in der Seitenwand vom Aktenschrank seines Büros beim Abschnitt Zwoundfünfzig, Direktion 5, Friesenstraße 16, Vorderhaus, 2. OG, 10961 Berlin. »Gibt’s was Neues von Ausbrecherkönig Tute Schultz?«

Krahlmann schüttelte den Kopf.

»Kraß ist das schon«, sinnierte Müller. »Wir waren beide damals in der 13 b vom Uli-Bräker-Gymnasium in Lübars die einzigen, die das Abitur erst beim zweiten Durchgang schafften: Schultz, Artur und Müller, Bernd. Ich bin bei der Kripo gelandet und er ist Berufsverbrecher geworden.«

»Hier im Westen braucht man eben für alles Abitur«, sagte Krahlmann. Müller setzte sich an seinen Schreibtisch. »Außerdem hatten wir uns beide in die gleiche Braut verliebt.«

»Und wer hat sie gekriegt?«, fragte Herr Krahlmann.

Müller strahlte: »Ich, natürlich!«

»Und warum gerade Sie, Chef?«

Der KHK kam ins Grübeln. »Das muß ich sie mal wieder fragen. Ich

hab’s vergessen.«

Feierabend. Müller stürmt in den Flur, drückt seiner Frau einen Strauß Freilandrosen in die Hand und einen Schmatz auf die Lippen und fragt ganz atemlos, weil sie nämlich gutgelaunt zurückgeschnäbelt hat: »Warum hast du eigentlich damals gerade mich geehelicht, Schatz, und nicht den Tute?«

»Weil du Gitarre spielen konntest, Müllerchen, und mir ein Ständchen gebracht hast.« »Ach ja, richtig, jetzt fällt es mir wieder ein. House Of The Rising Sun. Was anderes konnte ich nicht.«

»Genau!« Ihre Kastanienaugen blitzten fröhlich. »Ich weiß sogar noch die Harmonien: A-Moll, A 10, A 11… nee – A-Moll, C-Dur, D-Moll, F-Dur. — Außerdem hatte Artur Schultz Angeln als Hobby. Jeden Morgen um halb vier sollte ich zu seinem Lieblingsplatz am Landwehrkanal kommen. Das war mir ja nun voll zu früh und viel zu langweilig.«

Müller wurde hellhörig. »Sein Lieblingsplatz am Landwehrkanal? Wo denn da?«

Frau Müller gähnte, wenn sie nur dran dachte. »Ach, er hat sich immer Nähe Urbanhafen in den Schatten der Baerwaldbrücke gesetzt, damit die Fische ihn nicht sehen konnten. Das war ihm wichtig.«

Der Hauptkommissar rief den Anwärter an. »Tach, Herr Krahlmann, schlafen Sie schon? – Sollten Sie aber. Morgen ist nämlich Sondereinsatz angesagt, und zwar um drei Uhr dreißig, mit wetterfester Kleidung!«

Noch im Morgengrauen fuhren sie auf den Parkplatz vom Urban- Krankenhaus. Die letzte Seemeile längs des Carl-Herz-Ufers zur Baerwaldbrücke legten sie heimlich und leise zu Fuß zurück. Schon von weitem erkannte der Hauptkommissar Artur Schultz, den ewigen Rock’n’Roller, an der Entenschwanzfrisur.

»Da sitzt er«, flüsterte Müller.

»Woher wußten Sie das, Chef?« flüsterte Krahlmann zurück.

»Tja«, brummte Müller gedämpft, »jahrelange Berufserfahrung.« Sie pirschten sich heran.

»Tach, Tute«, sagte der Hauptkommissar, »heute schon was gefangen?« »Nein«, antwortete der angelnde Ausbrecher überrascht. »Aber ich«, sagte der Hauptkommissar, und hatte ihn.

zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg