Kreuzberger Chronik
März 2006 - Ausgabe 75

Die Geschäfte

Die Ritterstraße 11


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von Alwin Singer

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Ritterhöfe« nennt sich ein zwischen Ritterstraße und Oranienstraße gelegener Gewerbehof. Gewerbe und Verkehr haben seit Oktober stark zugenommen, denn dreimal täglich ruft ein RadioWerbeSpot die Hörer auf, sich von 10 bis 19 Uhr in den Ritterhöfen in Kreuzberg »verwöhnen« zu lassen.


Männer jeder Couleur schauen auffällig unauffällig auf die Klingeltableaus am Eingang der Ritterstraße 11, um dann blitzschnell im ersten Aufgang links zu verschwinden. Der Mann in Maurermontur und der Anzugträger schauen betreten auf den Fahrstuhlboden nach dem Kindermotto: Ich halte mir die Augen zu und du siehst mich nicht. Es scheint beiden peinlich zu sein, für das natürlichste aller Vergnügen Geld zu bezahlen. Doch im Tiffany ist nur Bares Wahres; weder Blumen, Pelze, Schmuck, Rosen, Essenseinladungen, Jaguars oder Eheversprechen führen hier zu weiblichen Gunstbeweisen.

Das Aufeinandertreffen der beiden Freier ist eine seltene Ausnahme. Auf Anonymität wird größten Wert gelegt. Über 5 verschiedene Treppenhäuser kann der Kunde das Etablissement verlassen, die Geschäftsführer setzen auf gediegene Kundschaft aus den nahen Verlagsgebäuden von Springer und dem geplanten MedienCenter, das womöglich einer der Gründe für den Umzug des Hauses nach Kreuzberg war. Zudem waren die Räumlichkeiten im alten Tiffany dem Andrang schlicht nicht mehr gewachsen.

Das neue Haus hat Vorteile. Mann kann sich auf den 730 Quadratmetern  im Gegensatz zu den Etagenwohnungen in Treptow oder Neukölln  relativ sicher sein, nicht als Freier einer »Zwangsprostituierten« straffällig zu werden, und darauf vertrauen, daß jede der Dienstleisterinnen ihre Arbeitskraft so freiwillig zur Verfügung stellt wie die lächelnde Bedienung im Café nebenan oder der polnische Wanderarbeiter in einem deutschen Schlachthof. Auch dürften die Arbeitsbedingungen in den Ritterhöfen über dem Durchschnitt liegen. Hier steht auch kein dürftig eingerichteter Frauenruheraum, sondern ein veritables Fitneßstudio nebst Sonnenbank für die Arbeitspausen zur Verfügung. Schließlich verstehen sich der Hausherr und die Hausdame als Kunstfreunde und Ästheten und haben keinerlei Ähnlichkeit mit einer Puffmutter aus Soho oder einem pferdeschwanztragenden Anaboliker. Sie sind Dienstleister und langfristig denkende Arbeitgeber, auch wenn sie sich manchmal wie an der Rezeption eines Hotels fühlen, weil ihr Verdienst sich aus 20 Euro pro Zimmer à 20 Minuten errechnet. Die anderen 20 Euro Grundgebühr und das Geld für die sogenannten Extras gehen an die begehrten Zimmermädchen.

Auch das sogenannte Vorstellungszimmer erinnert ein bißchen an eine Hotelrezeption. Zumindest im Dezember, wenn es mit Weihnachtsbaum und Sternen dekoriert ist. Der Kunde setzt sich aufs Sofa, begutachtet die etwa 600 Aktfotos an den Wänden und wartet auf die kaum angezogenen, doch ziemlich anziehenden Damen, die sich nacheinander vorstellen. Die Nomesdeguerre der Venuspriesterinnen entsprechen der Neuzeit: Keine FrouFrous, Minous, Chouchous, sondern Caroline, Paula, Jessica. Es fehlen Susannes und Sabines, da diese Vornamen ein Geburtsdatum um 1960 suggerieren und das Pensionsalter im Tiffany ähnlich wie bei Bundeswehrpiloten und Fußballspielern etwa bei 39 Jahren liegt. Jedenfalls muß man sich den Namen der Liebsten merken, um ihn nach erfolgter Vorstellung der Hausdame mitzuteilen. Dann kommt die Erwählte und führt den Gast in ein Zimmer, schaltet das Licht an, und draußen leuchtet die rote Zimmernummer über der Tür, die einzige Konzession ans »Rotlichtmilieu«.

Das Interieur der 16 Kundenzimmer läßt keine Wünsche offen, man hat die Qual der Wahl bei dieser Art von RitterSport: Rosenzauber, Andreaskreuz, Himmelbett, Gynäkologenstuhl, Badewanne, oder  - Gipfel der romantischen Vorstellung des Angestellten in der Mittagspause  - Büroschreibtisch. Auch der Rollstuhlfahrer findet sein unterfahrbares Waschbecken; die Dusche ist zwar nicht behindertengerecht, »aber«, wendet der Besitzer ein, »wer kommt schon zum Duschen hierher?« Im Zimmer 15, einem Raum im 50erJahreStil, fällt einem Pater Browns »Hübsch häßlich hier« ein. Einen Hauch von DeutschSüdwestafrika verströmt das »afrikanische« Zimmer: SisalPalme, PlüschLöwenkopf und PlastikBärentöter an der Wand lassen jedoch keine Hoffnung auf eine rassige PeulFrau aufkommen. Das schönste Zimmer in den Ritterhöfen verströmt die Romantik des Mittelalters, ein offener Kamin beleuchtet eine veritable Ritterrüstung. Dennoch ist zu vermuten, daß das Burgfräulein ohne Feenhut und Keuschheitsgürtel erscheint.

Das afrikanische Zimmer Foto: Dieter Peters
Ansonsten von Mittelalter keine Spur. Tiffany ist auf der Höhe der Zeit: Der InternetAuftritt der Ritter 11 wendet sich vor allem an den schüchternen Neukunden. Selbst jenem, dem angesichts der prallen Weiblichkeit die Sprache wegbleibt, wird hier geholfen: Er kann im heimeligen Eigenheim seinen Wunschzettel ausfüllen, sich eine Frau suchen und ankreuzen, was er denn so gerne hätte. Natürlich wird darauf hingewiesen, daß sich nicht jede Frau jeder Form des Flüssigkeitsaustausches unterzieht &: »fm« »fo« »ns«, jede Artig und Abartigkeit wird angeboten, nur »ao« gibt es nicht; Selbstmordkandidaten werden an Etablissements in der Nachbarschaft verwiesen.

Auch wenn Mundwasser kostenlos bereitsteht, ist »Küssen« eine Zusatzleistung, die mit 10 Euro genauso extra zu honorieren ist wie »französisch als Vorspiel ohne«. Dennoch findet man es nicht als Spezialangebot auf der Homepage. Die Dame des Hauses klärt auf: »Küssen ist einfach intimer als fellatio oder anal. Allerdings gibt es Frauen, die sich den Zehner mit Küssen gern verdienen; aber was geht das die Kolleginnen an, wenn sie bereit ist, einen Mann zu küssen, von dem sich andere nicht mal in den na, Sie wissen schon &«

Das angeblich älteste Gewerbe der Welt ist durchs Internet kundenfreundlicher geworden. Man kann sich informieren, welche der vielen Damen wann zur Verfügung stehen und welche Zusatzleistungen zur klassischen Paarung angeboten werden. Und ein virtuelles Gästebuch, in dem sich zufriedene Kunden noch einmal ausführlich bei Manuela oder Magnolia bedanken, gibt es auch. Aber es ist wie mit den Olivenölen bei Lidl: wo gestern noch »nativ« drin war, steht es heute nur noch drauf. Und Magnolia, die Karibikschönheit, ist natürlich wieder mal »belegt«. Und noch eines bleibt auch im neuen Tiffany bedauerlich: Auch für Spesenritter gibt es noch immer keine Quittungen.

Ganz anders im Estefania in der Gneisenaustraße. Dort tut man nichts lieber, als die Quittung für die Flasche Dom Perignon à 350 Euro auszustellen. Wie sagte mal ein Berliner Amtsrichter, als ein Wirt vom Stuttgarter Platz die nächtliche Zeche von 2.500 DM einklagte: »Sind bei den Preisen jetzt die Damen in den Getränken, oder die Getränke in den Damen enthalten?« »Aber,« sprach schon Moustache, der Wirt aus Irma la Douce, »das ist eine andere Geschichte«.

Alvin Singer

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