Kreuzberger Chronik
Juli 2006 - Ausgabe 79

Die Reportage

Die Halle


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von Hans W. Korfmann

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Zwei Tage, bevor die Bezirksverordnetenversammlung über das geplante Ärztehaus und Shoppingcenter anstelle eines beliebten Biergartens in der Bergmannstraße entscheiden wollte, klebten in den Hauseingängen des Kiezes, an Hauswänden und an Sicherungskästen die Flugblätter mit der Aufschrift: »KEIN KLOTZ IM KIEZ«. Über Nacht hatten Bürger aus dem Viertel in seltener Solidarität ihre Meinung kundgetan und die Entscheidung im Rathaus zu kippen versucht. An die zweihundert Gegner des Klotzes fanden sich am Tag der Entscheidung vor dem Rathaus ein, die taz widmete ihm eine komplette Seite  jedoch ohne Erfolg. Die Habelsche Trinkhalle und die Kastanien aus dem 19. Jahrhundert stehen heute nicht mehr.

Die Wut der Bürger jedoch verpuffte nicht im leeren Raum. Als wenige Tage nach der Niederlage das seit einigen Monaten kursierende
Gerücht von einem weiteren Umbau des Viertels immer lauter wurde, nutzten die alten Kreuzberger den frischen Wind in ihren Segeln, um Kurs auf ein neues Ziel zu nehmen: die Rettung der Markthalle. Die schien dringend notwendig, denn während am Anfang nur von einer Sanierung die Rede gewesen war, sprach man nun vom Bau einer Tiefgarage und der kompletten Entkernung der Halle mit ihren beliebten Käse und Wurst, Wein und Gemüse, Tabak und Trockenfruchthändlern. Die Angst vor den anrückenden Truppen feindlicher Großmärkte wuchs, und es dauerte nicht lange, da phantasierte man bereits  nicht zuletzt wegen des beharrlichen Schweigens des Markthallenbetreibers zu den kommenden Maßnahmen  von einer »GoKartBahn und einem Spaßbad«.

»Nichts davon ist wahr«, sprach Andreas Foidl von der Berliner Großmarkt GmbH, als er sich am 25. April vor 800 Kreuzberger Bürgern in der Passionskirche wiederfand. Er hatte mit einem überschaubaren Haufen Kreuzberger Altachtundsechziger gerechnet, und das häufigste Zitat in den Berliner Tageszeitungen lautete dann auch: »Ich muß zugeben, daß ich die Betroffenheit der Bürger unterschätzt habe!« Tatsächlich meldeten sich auf der von Christoph Schulz und dem Mieterrat initiierten Veranstaltung nicht nur alte Haudegen aus Besetzerzeiten zu Wort. Die Kreuzberger zeigten Farbe. Und sie hatten Trumpf! Sie machten deutlich, wem die Halle gehört: weder den Pächtern, noch dem gigantischen Markthallenbetreiber. Sondern ihnen, den Kunden. Den Königen und Geldgebern.

»Die Veranstaltung in der Passionskirche war der Durchbruch!«, sagt Klaus Brünger, Abgeordneter der Hallenhändler. Denn seit der Bürgerversammlung im Gotteshaus sprachen sie miteinander, der Herr Foidl und der Herr Brünger. Schon in der Kirche, unter dem Druck der 800, hatte Foidl sich bereiterklärt, die Händler künftig in die weitere Planung einzubeziehen. Tatsächlich traf er sich mehrmals mit Hallenhändlern, Vertretern aus der Kreuzberger Politik und dem Mieterrat. Mißverständnisse wurden beseitigt, Vorschläge und Wünsche aus der Halle notiert, und es wurde auch deutlich, was an Sanierungsmaßnahmen bereits feststand: eine neue Beleuchtung und Belüftung, ein neuer Bodenbelag und die komplette Sanierung der Keller und Lagerräumlichkeiten. Über das Gesamtkonzept jedoch, das aufgrund von Umfragen unter der Bevölkerung sowie unter den Händlern angefertigt werden und dem angeblich antiquierten Geist der Halle Rechnung tragen sollte, herrschte weiter Stillschweigen. Erst am 7. Juli wollte das Management erste Pläne für den Umbau auf den Tisch legen.

Es gab Zeiten, da hätten die Kreuzberger nicht so geduldig gewartet, da wären sie mit Transparenten, Pflastersteinen und faulem Gemüse gegen Foidl & Co. vorgegangen. Da hätte man sich mit der Solidaritätsveranstaltung in einer Kirche nicht zufriedengegeben, auf der schließlich auch dieser Satz fiel: »Eine Verlängerung aller Mietverhältnisse nach der Renovierung kann ich nicht garantieren!« Womit klar war, daß das
neue Konzept eine Sortierung des Angebots und eine einschneidende konzeptionelle Veränderung zur Steigerung der Rentabilität vorsah. Denn allein aus Liebe zu den Kreuzbergern würde die Berliner Großmarkt GmbH, immerhin der zweitgrößte Lebensmittelgroßmarkt Europas, keinen siebenstelligen Betrag in ein einstöckiges Klinkergebäude investieren.

Die Kreuzberger aber blieben während des Wartens nicht ganz tatenlos. Im Gegenteil: Getragen von der Welle der Solidarität haben sich Mieterrat, Händler und Kunden der Markthalle zusammengefunden und in wenigen Tagen ein Kulturprogramm zusammengestellt, das die Marheinekehalle seitdem nicht aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit entschwinden läßt. Für die Dauer von zwei Monaten finden unter dem Motto »Kiezkultur statt Leerstand« Kulturveranstaltungen in der Halle statt. Geschickterweise hat sich auch Foidl finanziell an dem Kulturprojekt beteiligt und damit signalisiert, wie sehr ihm die Halle doch am Herzen liegt.

Constanze Roseno und Jan Aleith, einst Studentin der Schauspielkunst, jetzt der Psychologie, haben alle verfügbaren Register gezogen, um Künstler für die Halle zu akquirieren. Nach dem ersten Treffen der Händler im Matto Ende April schrieb Aleith dem Hallenbetreiber einen Brief: »Ich würde mit der Organisation und der Realisierung eines Kulturprogramms gerne einen Beitrag zum Erhalt unserer Halle leisten«. Inzwischen spielten Musiker wie Hans Hartmann, Joe Kucera, Peter Subway oder die Kultband »Schwarze Risse« bei den Obstverkäufern, Bob Lennox, Hattie St. John und Kat Baloun traten auf die improvisierte Bühne vor den Kartoffeln und Blumenkohlköpfen. Der Galerist Werner Tammen versuchte, Udo Lindenberg für ein Ständchen in der Markthalle zu gewinnen, und auch für Aleiths Schauspielerkollegen gab es kaum ein Entrinnen: Als Uwe Müller gemütlich auf dem Fahrrad an ihr und dem Heidelberger Krug vorbeiradeln wollte, sprang sie vom Stuhl und hielt ihn am Schal fest. Ein Programm für Kinder wurde zusammengestellt, der »Brunnenbauer« ließ Brunnen sprudeln und der »Bürstenschröder« zog seine Borsten live vor Publikum ein. Die Liebe der Kreuzberger zu ihrer Markthalle war erstaunlich.

Auch die technische Ausstattung kam von Sympathisanten. Das HAU und der Wasserturm sponserten Equipment, Lichtblick und Lichthaberei kümmerten sich um Ton und Licht, ein Kreuzberger Klavierbauer stellte einen Flügel zur Verfügung, die Tanzfabrik trat umsonst auf, wie das Thikwa Theater und das English Theatre Berlin. Die Programmgestalter konnten stolz darauf sein, in so kurzer Zeit ohne nennenswerte Mittel ein Programm auf die Beine gestellt zu haben, von dem man sprach. Und Herr Foidl fragte schon einmal an, ob Frau Aleith das Projekt auch nach dem Juli fortsetzen würde. Nach dem 7. Juli, an dem er das neue Konzept vorlegen wollte. Aleith erbat sich Bedenkzeit.

Denn auch während der Zeit des Waffenstillstands und der gemeinsamen Gespräche ließ sich die Berliner Großmarkt GmbH, ein zu 100% dem Land Berlin gehörendes Unternehmen, nicht in die Karten gucken. Von der vereinbarten Beteiligung der Händler und Bürger am neuen Konzept konnte nicht wirklich die Rede sein. Die Betroffenen wurden nur an den Tisch gelassen, solange am Tisch geschwiegen und mit verdeckten Karten gespielt wurde. Was tatsächlich geplant war, wußte niemand.

Bis zum 7. Juni. Da wußten es plötzlich alle. Schon am Vorabend hatte Foidl der überraschten Händlervertretung auf einmal und exakt einen Monat vor dem angekündigten Datum  als hätte er sich im Monat geirrt  den fertigen Entwurf zu einem Konzept auf den Tisch gelegt. Noch in derselben Nacht hatte er diesen Entwurf auch gleich an dem gemeinsam mit dem Mieterrat eingerichteten Informationsstand auf und deren Konzertankündigungen kurzerhand abgehängt. Offensichtlich ohne den Mieterrat zu informieren. Die Presse allerdings war informiert und fand sich morgens vor dem Infostand ein, wo man nur von einer Präsentation am 7. Juli wußte. Der Tagesspiegel jedoch wußte mehr: Der hatte bereits einen fertigen Artikel über das neue Konzept der Halle in seiner aktuellen Ausgabe. Und auch im Radio plapperte ein Nachrichtensprecher den ganzen Morgen über vom neuen Gesicht der Halle.

Foidl hatte die Karten aufgedeckt. Es war klar, was er spielte. Kein Spiel mit falschen Karten, aber ein Spiel gegen die verabredeten Regeln. Er hat, inmitten des Waffenstillstandes, einen Überraschungsschlag geplant und ausgeführt. Vielleicht fürchtete er, daß die zweimonatige Ruhe mit musikalischen Einlagen und töpfernden Kindern eine trügerische Ruhe sein könnte. Die Ruhe vor dem Sturm, dem Sturm der 800 aus der Kirche. Denen wollte er zuvorkommen. Die wollte er in einem Moment erwischen, in dem sie schlecht vorbereitet und mit anderem beschäftigt waren.

Seine Vorabpräsentation sorgte für einige Verwirrung. Diskussionen unter jenen Händlern, die vom neuen Konzept profitieren könnten, und jenen, die Nachteile sahen, waren die erste Folge. Gruppen begannen sich abzuspalten, und wo anfangs gemeinsam an einem Strick gezogen worden war, zog man nun auch mal an beiden Enden. Im Mieterrat war man sich zwar auch nach dem 7. Juni grundsätzlich noch darüber einig, daß eine Tiefgarage und die »Verlängerung der Freßmeile« kein Thema sei. Doch der Mann, der die 800 in die Kirche brachte, hat seine Rolle als Sprecher des Mieterrates niedergelegt. Und auch wenn der Rücktritt nichts mit den Geschehnissen in der Markthalle zu tun hat, wie man sich bemüht zu versichern, so könnte es dennoch entscheidend für die Halle sein. Zumindest sorgte es für eine ganz besondere »Erleichterung« Foidls, wie einer der Hallenhändler zu berichten wußte.

So kommt Foidl langsam voran. Und läßt, um keine neuerliche Allianz von Händlern, Bürgern und Mieterratsvertretern zu provozieren, scheibchenweise und in kleinen, gut verdaulichen Portionen, die Katze aus dem Sack. Ziemlich sicher scheint inzwischen  trotz des Vetos des Mieterrates  die Tiefgarage unter dem Marheinekeplatz zu sein, ebenso wie der Gastronomiebereich auf der Südseite sowie die Schließung der Halle während der Renovierungsarbeiten. Für mindestens 8 Monate. Das könnte für einige Händler das Ende bedeuten. Doch große Aufregung bleibt aus. Die große Aufregung war am 7. Juni, »inzwischen hat sich alles wieder beruhigt«, sagt der Sprecher der Händler. Und damit, so scheint es, ist die Strategie des Herrn Foidl aufgegangen. Daß sich der nun verstreute Widerstand anläßlich der wenigen Neuigkeiten, die dann am 7. Juli noch verkündet werden können, neu formieren wird, ist zu bezweifeln.


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