Kreuzberger Chronik
Februar 2006 - Ausgabe 74

Die Literatur

Bruder Lustig


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von Friedrich Kröhnke

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Doch die Bergmannstraße! Jedes Vierteljahr einmal, wenn L. nicht die Seidenstraße entlangzieht, ist es die Bergmannstraße: Was gibt es nicht alles zu kaufen! Und sage niemand Plunder! Den Zylinderhut, zugegeben, den er mal erfeilscht hat, kann er selten nutzen. Die einarmige zerbrochene Schaufensterpuppe eines Knaben hat er später zurückgetragen. Aber andererseits hat er in der Wühlkiste mal für fünfzig Cent die Erstausgabe von Kafkas »Verwandlung« gefunden und dann ein Jahr lang von ihr gelebt. Und der Klapptisch! Ja, der Klapptisch. Der lehnte, zusammengeklappt, in einem dieser Keller hinten an der Wand. L. ließ ihn sich aufstellen. »Sehr praktisch!« empfahl ihn der Türke und ergänzte fast verschwörerisch wispernd: »KieferImitation von IKEA! Fast ladenneu!« Dabei ermaß L. ja selber mit einem Blick die Vorzüge dieses unscheinbaren Möbels.

Er trägt das Tischlein oft bei sich. Verschlägt es ihn in die Schweiz, dann immer. Überall wo sich die angebrochene neue Zeit feiert, stellt er sich den Klapptisch auf. Überall wo es »Snacks« gibt und »Sushi«, wo es »Ihr FitnessTreff« heißt, »Ihr FrischeMarkt«, wo an Flughäfen und Hauptbahnhöfen »Markets« und »Points« in enthemmter Wegelagerei den hilflosen Reisenden Preise nennen, über die der Verkäufer eigentlich erröten musste, die aber meist auch noch mit den drei Buchstaben »nur« geziert sind, überall da stellt er sich den Klapptisch auf, klappt ihn auseinander, rückt den Klappstuhl zu vier Euro hinzu und murmelt da was. Er ist recht zufrieden mit dem, was ihm so aufgetischt wird.

Er hat sich allerdings nach ein paar Monaten einmal zu IKEA begeben und sich erkundigt. Ob nicht eine größere Vielfalt und ein höheres qualitatives Niveau, auch biologisch, zu haben sei, er diesen Tisch nicht vielleicht auch gegen einen kleinen Aufpreis tauschen könne gegen einen, der ihm französische und koreanische Speisen, Pelmeni und Bliny, Lamm Biryani und Mongolentopf bietet und mehr Fisch und Salat. Auf die Dauer war ihm doch die Gleichförmigkeit aufgefallen, in der ihm Tag für Tag und Woche für Woche nur eine gewisse Art von Grundversorgung zuteil wird. Er erhielt aber Bescheid, dass das Tischlein nun einmal so konzipiert worden sei: zur Grundversorgung, um in ShoppingArkaden, FunParadiesen und Erlebniswelten aufgestellt zu werden, wenn der dreiste Anspruch der Preise, die viele gar nicht bezahlen können, übermächtig wird. Dann deckt sich der Tisch, bedeckt sich mit der Zungenwurst von PENNY auf den Bauernschnitten ohne Konservierungsstoff und der Halbfettmargarine. Oder den zarten Heringsfilets, wahlweise in pikanter oder Tomatensoße. Oder Börek mit Käse. Dazu Tee. Immer Tee. Immer Börek mit Käse. Oder zarte Heringsfilets in pikanter oder Tomatensoße. Oder die Bauernschnitten mit Halbfettmargarine und Zungenwurst. Nun, das ist schon etwas, danke, liebes Tischlein! Dann wurde ihm noch bei IKEA gesagt, nur sieben seien produziert worden, nur sieben. Wers nicht glaubt, bezahlt einen Taler.

Entnommen aus dem Roman »Bruder Lustig« von Friedrich Kröhnke, der voraussichtlich im Sommer der 2006 im Amman Verlag Zürich erscheint.


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