Kreuzberger Chronik
März 2005 - Ausgabe 65

Strassen, Häuser, Höfe

Die Eylauer Straße


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von Werner von Westhafen

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Sie ist nur wenige hundert Meter lang und liegt ganz am westlichen Ende Kreuzbergs, weit vom Denkmal der Befreiungskriege auf dem Kreuzberg entfernt, unter dem Blücher, Gneisenau, Yorck & Co. ihre großen Straßen haben. Sie liegt noch hinter der Katzbachstraße, benannt nach jenem kleinen Flüßchen, bei dem am 26. August 1813 General Blücher die Truppen Napoleons in die Flucht schlug und eine der großen Schlachten der Befreiungskriege focht.

Die Eylauer Straße hätte einen besseren Platz verdient. Die Schlacht bei Eylau war eine der blutigsten: 45.000 Soldaten blieben verletzt oder getötet auf dem Schlachtfeld bei Eylau zurück, allein die Russen, die an der Seite der Preußen gegen die napoleonische Gefahr ankämpften, zählten 26.000 Tote. Doch die Kreuzberger Straßennamen unterhalb des Denkmals erinnern nicht an gefallene Soldaten, sie erinnern an Siege und Sieger. Bestenfalls an ein glückliches Unentschieden. Wie eben das Unentschieden vom 7. Februar 1807 bei Preußisch Eylau.

Denn wäre den preußisch-russischen Soldaten nicht ein Schneesturm zu Hilfe gekommen, hätte Napoleon wahrscheinlich sogar einen weiteren Sieg errungen. Denn noch immer steckten den preußischen Soldaten die verheerenden Niederlagen bei Jena und Auerstedt in den Knochen, selbst vier Monate später brachten sie zum Schutz des kleinen Städtchens Königsberg gerade mal 8.000 Mann zusammen. Ohne die Russen an ihrer Seite, die immerhin 70.000 Mann in die Schlacht schickten – ebensoviele wie Napoleon auf der anderen Seite! – wäre Königsberg verloren gewesen.

Die Schlacht ums dreißig Kilometer von Königsberg entfernte Preußisch Eylau begann bei Einbruch der Dunkelheit. Während aus jeweils 400 Geschützen die eisernen Kugeln von der einen Seite des Kriegsschauplatzes zur anderen flogen, konnte ein linker Flügel der Napoleonischen Truppen schon nach kurzer Zeit in die Stadt eindringen. Es war das alte, napoleonische Spiel, doch die Russen setzten den Franzosen nach und vertrieben sie noch in derselben Nacht wieder aus der Stadt.
Im dichten Schneegestöber des folgenden Morgens aber verirrte sich ein Teil der Franzosen in die feindlichen Linien, das Gemetzel der Russen war grausam. Doch die Franzosen, jetzt zahlenmäßig in der Überzahl, konnten sich halten und gegen Mittag sogar wieder die Oberhand gewinnen. Schon sah es aus, als würde das Blatt sich wenden, da tauchte plötzlich im Schneetreiben der Retter und Held der Schlacht von Eylau auf: Oberst Gerhard von Scharnhorst. Der preußische Krieger hatte seine Männer in Eilmarsch versetzt und war den preußischen Truppen und ihren Verbündeten im letzten Augenblick zu Hilfe gekommen. Erst spät in der Nacht trennten sich die feindlichen Parteien – trotz der hohen Verluste – mit einem Unentschieden.
Mit der Schlacht bei Eylau wurde die lange Siegesserie des französischen Strategen erstmals unterbrochen und der psychologische Grundstein gelegt für jene Kämpfe, die später folgen und als die siegreichen Schlachten der Befreiungskriege in die Geschichte eingehen sollten. Wohl deshalb gab man dem Sträßchen am Ende Kreuzbergs den Namen Eylau.
Doch für Preußisch Eylau war alles Kämpfen umsonst gewesen. Sosehr sich die Preußen auch bemühten, die Städte Königsberg und Eylauzu halten: Heute trägt Preußisch Eylau den Namen Bagrationowsk, Königsberg heißt jetzt Kaliningrad, und der Sarkophag des bekannten Philosophen Kant steht nun auf russischem Boden. Zum Leidwesen vieler, die noch immer Glanz und Gloria Preußens huldigen und einem verlorenen Land nachtrauern.

In Heimatzeitschriften, auf Internetseiten und in mehr oder weniger wissenschaftlichen Publikationen beschwören sie die Urzelle deutscher Lebensart in Ostpreußen herauf, als habe gerade hier die Wiege der deutschen Kultur gestanden. Emsig, bis ins Gründungsjahr 1348 eines Örtchens, das damals noch Eylaw hieß, verfolgen sie die Ahnentafeln zurück und listen seitenweise Familiennamen auf, deren Wurzelndeutsch klingen wie: »Dunkel, Engelbrecht, Gross, Hafke, Huhn, Klein, Krause, Neuberg, Pangritz, Scheffler, Schröder, Stinski, Thal, Venohr, Willfang, Worgall, Zimmermann …« Und sie zählen die lange Liste der Bürgermeister und der Stadtschreiber, sowie die merkwürdig klingenden Namen der Adligen auf: von Berg-Perscheln, von Boddien-Knauten, Freiherr von Braun-Neucken, von Deutsch-Graventhien, von Gramatzki-Schrombehnen, von Heyden-Nerfken, von Kalckstein-Wogau …
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Foto: Dieter Peters
Mit rührseliger Genauigkeit versuchen sie, die vom Krieg und der russischen Besetzung bedrohte Geschichte vor dem Vergessen zu retten, und berichten von der Gründung der Burg Yladia durch einen Ritterorden im Jahr 1325, vom Komtur Ortuif von Trier, der 12 Krügern »den Verkauf von Gegenständen des täglichen Gebrauchs« erlaubte, von der Verleihung eines Jahrmarkts für das »Städtlein« im Jahr 1514 und dem allmählichen Aufstieg bis zu einer Stadt mit einer »blühenden Tuchweberei«, einer Eisengießerei, der Maschinenfabrik Johnen, Schadwinkels Dampfmühle, der Genossenschafts-Molkerei oder Tauliens Faßfabrik. Alle beschwören Preußisch Eylau als eine blühende deutsche Stadt herauf.

Doch was immer es auch gewesen sein mag: 7.000 Menschen lebten in dem Ort, als im Januar 1945 wieder eine Front in die Nähe der Stadt rückte. Doch »die 4. Schlacht bei Preußisch Eylau endete mit der endgültigen Besetzung durch die Sowjettruppen und dem Tod der Eylauer und Eylauerinnen in den Zivil- und Kriegsgefangenenlagern«. 130.000 Sowjetbürger wurden allmählich in Ostpreußen angesiedelt. Und somit erinnert die kleine Straße am Rande Kreuzbergs heute an mehr als nur an eine beinahe verlorene Schlacht. Sie erinnert an eine deutsche Stadt, die es seit dem Krieg nicht mehr gibt.

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