Kreuzberger Chronik
März 2005 - Ausgabe 65

Die Geschichte

»Konsumbrot macht Wangen rot«


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von Thomas Heubner

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»Was sagt die Ost- zur Westschrippe? Lieber klein und knusprig als hohl und aufgeblasen!« Auch gute fünfzehn Jahre nach dem Mauerfall macht der Witz seine Runde. Doch der Running Gag über die Unterschiede bei Backwaren in Ost und West hat seine Vorgeschichte.

Sie beginnt im Mai 1945. Neben der Versorgung der Bevölkerung mit Strom, Gas und Trinkwasser war die mit Brot am dringendsten. Ein Berliner Bäcker erinnert sich: »Die Rote Armee brachte Kohle und Mehl. Wir beseitigten die Zerstörungen an den Gebäuden und Maschinen unserer Bäckerei. Den Teig haben wir mit den Händen geknetet, weil kein Strom da war. Das Wasser haben wir in Gulaschkanonen abgekocht und eimerweise in den Backraum geschleppt. Gebacken haben wir dann nachts bei Kerzenbeleuchtung oder mit Karbidfunzeln. Die Menschen wurden von dem Brot nicht satt, aber wir bewahrten sie vor dem Hungertod.«

Sofort nach dem Kriegsende nahmen die Bäcker in den zwanzig Berliner Stadtbezirken ihre Arbeit wieder auf, darunter über 100 Konsumbäckereien in den Ostsektoren, der alte Slogan »Konsumbrot macht Wangen rot« kam wieder in Umlauf. Bäcker war in jener Zeit ein hochangesehener Beruf, eine Zukunftsbranche, würde man heute sagen. Fünf Jahre später gab es in Berlin etwa 2.700 Bäcker, deren Backöfen freilich noch zu 80 Prozent aus der Vorkriegszeit stammten. Zu diesem Zeitpunkt aber – nach Währungsreform, Blockade, Luftbrücke und Gründung der beiden deutschen Staaten – waren in der Viersektorenstadt die politischen Weichen längst gestellt.

Die Bäcker-Innung hatte zwar noch im Juli 1949 eine neue Satzung verabschiedet und sich dabei von der durch die Nazis oktroyierten Zwangsinnung befreit. Doch wie die zwei Stadtregierungen im Roten und im Schöneberger Rathaus sah man sich mit ganz neuen Problemen konfrontiert. So hatte man es nun in den beiden unterschiedlichen Währungsbereichen mit zwei Ernährungsämtern zu tun und eröffnete deshalb auch zwei Zweigstellen der Bäcker-Innung. Das Büro für die Westsektoren wurde im Gebäude des heutigen Finanzamtes Kreuzberg am Mehringdamm im dritten Stock untergebracht, während die Zentrale im Germania-Haus in der Chausseestraße 110 im Ostsektor ihren Sitz hatte. Dort nahm die sowjetische Besatzungsmacht ihr Amt jedenfalls so ernst, daß stets zwei Soldaten bei den Innungsversammlungen anwesend waren. Kein Wunder also, daß man sich unbehelligt von Stalins Oberbäckermeistern treffen wollte und in der Maxstraße, der heutigen Kärntener Straße, ein Gebäude für die Westberliner Innung erwarb.

Der Hauskauf erfolgte fünf nach zwölf, denn Ende März 1951 mußten auf Anordnung des Magistrats die Ostberliner Mitglieder aus der Innung ausscheiden, wie auch die beiden Innungshäuser enteignet wurden. Das schlug nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein, sondern war seit mindestens einem halben Jahr abzusehen, nachdem die neue Handwerksgesetzgebung der DDR das Aus für die Innungen und die weitgehende Vergesellschaftung des Handwerks verkündete. Für die Ostberliner Bäcker stand die Gründung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) auf der Tagesordnung.

Dennoch, langsam, aber stetig verbesserte sich die Versorgung mit Lebensmitteln. Während in Westdeutschland und in den Westsektoren Berlins die Zwangsbewirtschaftung schon Ende 1949 bzw. Mai 1950 aufgehoben worden war, konnte Anfang 1951 auch in Ostberlin die Brotkarte abgeschafft werden. Die Bäcker trugen sie feierlich zu Grabe, auf ihren Spruchbändern waren Aufschriften zu lesen wie »Auf Nimmerwiedersehen!« und »Du warst nicht schön, du starbst auch nicht zu früh, so teuer wie jetzt war das Mehl noch nie!«

Konsumbrot
Ein tiefer Einschnitt mit dem Brotmesser erfolgte schon im September 1950, als in den HO-Geschäften des Berliner Ostsektors Brot frei verkauft wurde. Es war zwar für die frischgebackenen DDR-Bürger noch relativ teuer, aber für die Westberliner um so billiger. Schlitzohrig nutzten dieseden Schwarzmarkt-Umtauschkurs von 1:5 und erstanden das subventionierte HO- und Konsumbrot für etwa 10 Pfennige. Tonnenweise. 1951 stammte die Hälfte des in der »Frontstadt« verzehrten Brotes von den »Pankoffer Russenknechten«. Natürlich sorgte dies für Unmut und Aufruhr – von Dahlem bis Spandau sowie im Schöneberger Rathaus.

Im Winter 1950 wurden kurzerhand fast 2.000 Westberliner Bäckerge-sellen in die Arbeitslosigkeit geschickt. Das brachte beispielsweise die bereits damals aufmüpfigen Kreuzberger auf Trab. Allen voranBezirksbürgermeister Willy Kressmann, vom Volksmund »Texas-Willy« genannt, der sich empörte: »Jede Mark, die der Wirtschaft West-Berlins entzogen und im sowjetischen Sektor ausgegeben wird, trägt dazu bei, die Arbeitslosigkeit in West-Berlin zu erhöhen.« Daraufhin zogen im März 1950 frustrierte Kreuzberger Bäcker, Gesellen und Lehrlinge vor das Schöneberger Rathaus und machten dem Westberliner Senat Dampf. Instinktsicher hatten sie auf ihre Protestplakate geschrieben: »Sichert Freiheit, Brot und Lohn, kauft Westberliner Produktion!«

Die Verwaltung unter dem Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter, der den frommen Wunsch verspürte, daß man stets auf diese Stadt schaut, reagierte hurtig. Bereits ein Jahr später beschloß man zwecks »Eindämmung des Bezuges von Backwaren aus dem sowjetischen Besatzungsgebiet«, daß der »Interzonengrenzdienst« größere Gepäckstücke kontrolliert. Doch bevor man so richtig agil wurde, hatte der Klassenfeind in Pankow das Problem schon gelöst. Auf seine Weise. Im Herbst 1952 verhängte die DDR ein Einkaufsverbot für Westberliner.

Doch selten ein Schaden ohne Nutzen – übrigens für die Bäcker in Ost und West. Die in der DDR und Ostberlin übriggebliebenen privaten Bäcker konnten sich trotz staatlich subventionierter Brot- und Brötchenpreise gegenüber den Backwarenkombinaten nur behaupten, indem sie auf Qualität setzten: bei Schrippen also auf die traditionelle Mischung aus ungesüßtem Hefeteig und Weizenmehl, wobei der Vorteig zwanzig Stunden ruht. Der kleine, aber feine Unterschied zur Westschrippe, die wie bei der maschinellen Großproduktion mit Backhilfsmitteln innerhalb von Minuten eigentlich nicht mehr gebacken, sondern unter einem Fön aufgeblasen wird.

Literatur: Annette Godefroid, Geschichte der Berliner Bäcker-Innung, Stapp Verlag, Berlin 2000

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