April 2005 - Ausgabe 66
Die Reportage
Kampf ums Bethanien von Jürgen Wortmann |
Schon 1970 war sich die Stadt nicht darüber im Klaren, was sie mit der Diakonissenanstalt Bethanien eigentlich anfangen sollte. Die Nebengebäude hatte sie bereits an gemeinnützige Vereine übergeben, doch das zweitürmige Hauptgebäude stand jahrelang leer, bei laufender Heizung. Am Ende verfiel man sogar auf die Idee, den »Staats- und Domchor« im Bethanien einzuquartieren, was für reichlich Spott und Zündstoff im Brennpunkt SO 36 sorgte. Am 8. Dezember 1971 besetzten dann Jugendliche das leerstehende Gebäude, »der Mariannenplatz war blau, so viel Bullen waren da« doch die Besetzer blieben standhaft und sagten: »Das ist unser Haus, ihr kriegt uns hier nicht raus!« Fast 35 Jahre später möchte das Land Berlin den Klotz am Bein wieder loswerden. Denn die Besetzer, die im Ansturm von Politik und Polizei so standhaft gewesen waren, erwiesen sich auch als äußerst seßhaft. Die berühmte Kreuzberger Mischung hatte sich in den Gängen und Sälen des ehemaligen Krankenhauses häuslich eingerichtet, verschiedenste Projekte kultureller, sozialer und politischer Art fanden im Bethanien ein Zuhause. Der ehemalige Bürgermeister Franz Schulz und seine Nachfolgerin Bärbel Grygier suchten noch nach übergeordneten Konzepten und einem gemeinsamen Nenner für die 32 Organisationen. Nachfolgerin Reinauer jedoch hat sich der Sparoffensive angeschlossen und sucht seit Amtsantritt nach einem Käufer für die Immobilie, für die der Bezirk jährlich eine halbe Million Euro Betriebskosten bezahlt. Im Herbst endlich hat sich ein ernstzunehmender Interessent gefunden. Die M & R Arend GmbH aus Bad Homburg habe, so Stadtrat Lorenz Postler von der SPD, »mit ihrer Bonität das beste Finanzierungskonzept nachweisen« können, und darüberhinaus gute Kontakte zur Kunstszene. Denn einerseits wollen Stadt und Bezirk das Haus »endlich loswerden«, andererseits ist ihnen der traditionelle Standort für Kultur und Kunst etwas wert. Das Bethanien ist eine international anerkannte Adresse, ein Aushängeschild. Das soll es bleiben, das braucht Berlin. Was Berlin allerdings nicht braucht, sind Seniorenheime, Bibliotheken, Kindertagesstätten... Sämtliche sozialen Einrichtungen im Haus sollen, so scheint es, dem neuen Hausherren als sogenannte »Freiflächen« zur Verfügung stehen. Dem Chef des Künstlerhauses Bethanien, Christoph Tannert, kommt das alles nicht ganz unrecht. Der neue Besitzer wird frischen Wind in die alte Bettenburg bringen. Er wird moderne und lukrative, vermietbare und verkäufliche Räume schaffen. Tannert hat schon lange andere Vorstellungen vom Bethanien. Ein zeitgemäßes Ambiente aus Cafés, Restaurants, schmuckvollen Gärten und Galerien, Lofts und Künstlerateliers würde den Wert seines Kunsthauses steigern und ihm besser zu Gesichte stehen als Integrationskindergärten oder Seniorencafés. Ähnlich werden auch die Investoren denken, wenn sie das hübsche Ensemble für 2,3 Millionen Euro kaufen. Das »Künstlerhaus Bethanien« ist eben kein alternatives Projekt, sondern längst ein etabliertes Unternehmen, das mit den langhaarigen Hausbesetzern nichts zu tun hat. Im März 2003 beklagte sich der Manager des Künstlerhauses auf einer Pressekonferenz über die chaotischen Zustände und die Trostlosigkeit auf den verkommenen Gängen des ehemaligen Krankenhauses. Tannert, so die Berliner Zeitung vom 10. 3. 2003, begrüße es, daß der Bezirk mit seinen sozialen Einrichtungen allmählich das Haus verlasse. Das Seniorenzentrum, die Lehrerweiterbildung und die Mittagsküche sind bereits aus dem Bethanien verschwunden. Und auch die Kemal-Bibliothek im Erdgeschoß des Hauptgebäudes steht wieder leer. So wie 1970. Doch auch das Künstlerhaus Bethanien und die Druckwerkstatt haben im Jahr 2003 bereits ihre Kündigungsschreiben von der sparenden Bürgermeisterin erhalten. Die nämlich wollte just dort, wo tonnenschwere Druckmaschinen stehen, eine Modeschule einziehen lassen, um ein »kulturelles Gründerzentrum« einzurichten. Das Künstlerhaus und die Kunstdruckerei, ebenfalls seit 25 Jahren im Hause etabliert, hätten innerhalb des Hauptgebäudes bleiben können. Doch Tannert und Kotowski wandten sich empört und erfolgreich an den Kultursenator. Und durften bleiben, wo sie waren. Bis heute hartnäckig gehalten hat sich auch die Kindergruppe Kreuzberg Nord. Hier weht und herrscht er noch, der Geist der Besetzer. Denn die Kita, Jahrgang 1974, ist ein Projekt der ersten Stunde. Dennoch haben auch die 55 Kinder und 8 Erzieher im August des vergangenen Jahres die Kündigung erhalten. Das Angebot der Pädagogen, Miete für die Räume zu zahlen, haben die Hausbesitzer stets abgelehnt. Zu viele Rechte wollte man den Kindergärtnerinnen wohl doch nicht einräumen. Foto: Michael Hughes
Auch auf die Herren vom Künstlerhaus sind die Pädagogen nicht gut zu sprechen. Nicht einmal auf die Künstler selbst. Sie würden am Leben im Bethanien nicht teilnehmen und introvertiert durch die Gänge schweben. »Kunst für ein besseres Leben« war 1974 das Gründungsmotto des Künstlerhauses, eine »Verbindung des Lokalen mit dem Globalen«. Im Haus am Mariannenplatz sollten internationale Künstler auf Berliner Künstler treffen, doch »für Berliner Künstler wurde das Programm 1995 eingestellt«, schreibt Claudia Kessel von der Arbeitsgruppe »Zukunft Bethanien«. Gemeinsam mit der Kindergruppe Kreuzberg Nord nimmt sie den Kampf ums Bethanien wieder auf. Doch längst verlaufen die Fronten nicht wie einst deutlich erkennbar zwischen Staat und Volk, sondern quer durchs Bethanien. Sie verläuft zwischen jenen, die bleiben dürfen, und jenen, die gehen müssen. Nach den Plänen des Bezirks sollen die Musikschule, die Druckwerkstatt, die Galerie und das Künstlerhaus Bethanien GmbH bleiben. Allerdings werden sie an den neuen Eigentümer wohl Miete zahlen müssen. Aber die werden Flierl & Reinauer schon übernehmen. Denn die Hauptstadt braucht etwas zum Vorzeigen. |