Kreuzberger Chronik
November 2004 - Ausgabe 62

Die Literatur

Sven Regener - Neue Vahr Süd


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von Sven Regener

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»Kein Problem, ich kann ja immer noch was tun«, sagte er.
»Was denn?«, fragte sein Vater.
»Ich gehe einfach nicht hin.«
»Mach doch keinen Unsinn«, sagte sein Vater.
»Nein, ernsthaft, das geht, das ist kein Problem, ich kann nach Berlin gehen, da dürfen die nicht hin. Ist Mannis Idee, ich habe letztens mit ihm telefoniert, schöne Grüße soll ich euch sagen, Manni meint, ich könnte jederzeit kommen. Dann wohne ich bei ihm, und die kriegen mich nie. Da ist bloß ein Problem dabei …«
»Aber jetzt hör doch auf«, unterbrach ihn seine Mutter, »das meinst du doch nicht ernst!«
»Typisch Manfred«, sagte sein Vater. »So ein Quatsch. Das kannst du doch nicht machen!«
»Wieso nicht?« fragte Frank unschuldig. »Ist doch kein Problem. Ich hab doch das Auto. Wenn ich jetzt losfahre, bin ich in fünf, sechs Stunden da, oder was weiß ich. Noch ist Zeit. Da ist bloß ein Problem dabei…«
»Ach Quatsch, das ist doch keine Lösung«, unterbrach ihn sein Vater erregt, »mach doch keinen Unsinn. Die fünfzehn Monate, das ist doch nicht so wild.«
»Wieso? Du sagst doch selbst, du hast den Krieg noch erlebt. Na bitte, entweder – oder. Hast du doch selbst gesagt.«
»Ja aber sowas, da machst du dich ja strafbar.«
»Solange ich in Berlin bleibe, können die mir gar nichts. Da ist nur ein Problem dabei …«
»Was für ein Problem?«, biß Mutter endlich an.
»Ich könnte erst mal nicht wieder zurück. Bis das verjährt ist.«
»Um Gottes Willen«, sagte seine Mutter. »Das meinst du doch nicht ernst!«
»Und ich glaube, anmelden könnte ich mich da auch nicht mehr. Müßte ich schwarz arbeiten. Machen viele, sagt Manni.«
»Ach Quatsch.«
»Mach doch keinen Unsinn.«
»Frank, bitte mach dich doch nicht unglücklich. Die fünfzehn Monate, das geht doch auch vorbei.«
»Nein«, sagte Frank. »ihr habt völlig recht. Ich gehöre da nicht hin. Und zu den Brückenbauern schon gar nicht.«
»Nun hör aber auf«, sagte seine Mutter.
»Ich brauch ja nicht viel, ich pack einfach ein paar Klamotten ein. Und was gespart habe ich auch noch, das muß ich bloß vom Sparbuch runterkriegen.«
»Ernst, sag du doch mal was!«
»Frank«, sagte sein Vater streng, »Frank! Jetzt rede doch nicht so einen Quatsch.«

Vielleicht ist das wirklich die Lösung, dachte Frank. Ich muß hier sowieso raus, dachte er. Und Manni hatte es ihm angeboten, »komm rum«, hatte er gesagt, »das verjährt irgendwann.« Es wäre ein Ausweg, dachte er, nicht toll, aber immerhin ein Ausweg. Er sah in die Gesichter seiner Eltern, und was er dort sah, berührte ihn dann doch, sie waren entsetzt, sie hatten wirklich Angst um ihn, seine Mutter kämpfte sogar mit den Tränen.


Entnommen aus: Sven Regener, Neue Vahr Süd, 2004, Eichborn Berlin, 24,90 <br>

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