Kreuzberger Chronik
Oktober 2002 - Ausgabe 41

Peter Subway Kreuzberger
Peter Subway, Gitarrist




linie

von Gabriele Bärtels

Fotos: Wolfgang Krolow

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Wer in den Achtzigern auf einem bayerischen Gymnasium ein schwarzes Schaf war, weil er politisch links stand, mußte es nicht überall sein. Als Peter Neuner mit siebzehn auf eine Gesamtschule am Berliner Südstern wechselte, schwamm er plötzlich im Mainstream. »Sogar die Lehrer waren anders gepolt.« Dieser Umzug war der Schritt in seine Freiheit, von der er auch heute nicht läßt.

Peter Subway ist Musiker, und sein Künstlername benennt die tiefergelegte Bühne, auf der er zuerst auftrat. Gleich nach dem Abitur war das, als eine Freundin zu ihm sagte: »Spiel doch endlich konsequent.« Da suchte er sich sein Publikum in der Berliner U-Bahn und war damit einer der ersten dieser Zunft. Er trug eine Gitarre und lange Haare und sang, während die Freundin das Geld einsammelte. Da war Berlin noch »die Mauerstadt, nicht die Hauptstadt«, die Polizei nicht sehr streng. Manchen gefiel seine Musik sogar, und »wo die bösen Schergen sitzen«, bekam er mit der Zeit heraus. Trotzdem: Erwischt zu werden, gehörte dazu, schon deshalb, weil Peter Subway nach einem halben Song nicht gleich wieder ausstieg, wie es heute die meisten unterirdischen Musiker machen, sondern sich mehrere Stationen lang Zeit nahm, bei den Fahrgästen eine Stimmung aufzubauen. »Heute können die sich nur halten, wenn sie schlecht sind, hastig und schnell.« Damals konnte es keine bessere Schule für einen zukünftigen Straßen- und Bühnenarbeiter geben.

Da unten, bei den Schienen, lernte er auch die ersten anderen Musiker kennen und gründete mit ihnen die Bands Barking Fish und Facelifters. »Der Motor im Getriebe war ich.« Aber als die Gruppen zerbrachen, zerbrachen auch ihre Namen, und von da an nannte Peter Subway die Bands nach seinem Künstlernamen, der zerbrach nicht. Der Mensch dahinter konnte mit wechselnder Besetzung spielen, sich verändern, und sich trotzdem treu bleiben.

Nach dem Mauerfall wurde das Spielen in der U-Bahn schwieriger, Polizei und Kontrolleure zeigten Omnipräsenz. Subway hatte seine ersten Auftritte in Clubs und ging im Sommer mit kleinerer Besetzung auf die Straße, spielte im Tiergarten, am Paul-Lincke-Ufer. Im wesentlichen ist das bis heute so geblieben, nur daß er über Kreuzberg und Berlin hinausgewachsen ist. »Von der Musik lebe ich, das ist meine Haupteinnahmequelle. Wir spielen auf Märkten, in Clubs, und beim Karneval der Kulturen sind wir inzwischen eine Institution. Daraus entwickelt sich ständig etwas Neues: Wir werden eingeladen, spielen auf Hochzeiten oder auf Beerdigungen. Wie neulich von einem, der vom Barhocker gefallen ist. Gestern Abend waren wir auf einer Pensionierung. Und vor zwei Wochen lief ich mit meinem Kontrabaß-Spieler am Potsdamer Platz über die Straße, da saß Hans Eichel mit seiner Frau vor einer Kneipe. So schnell konnte die Security nicht reagieren, wie wir die Instrumente in der Hand hatten.« Sie spielten ein Stück von Johnny Cash, Ring of fire, eine schöne Anspielung auf den Finanzminister. »Ihm hat es gefallen, seiner Frau wohl nicht so. Er hat aber nur 50 Cent gegeben, da war die Security spendabler.«

Mit Straßen und Schienen, seit einiger Zeit auch mit Flugrouten, hat Peter Subway viel zu tun. Das geht schon in seiner Wohnung am Marheinekeplatz los. Von dort oben kann er die Bergmannstraße bis zum Mehringdamm entlangsehen, und auf der anderen Seite bis hin zum Südstern, er kann die Heimstraße bergauf bis ans Ende verfolgen, und die Kondensstreifen im Himmel quer über die ganze Stadt. Während der Jahre haben sich zwei dicke Aktenordner mit Zeitungsartikeln angesammelt, dazu stapelweise Videos von Live-Mitschnitten und Fernsehberichten von längst ausgestorbenen Hauptstadtsendern. Da trägt Peter Subway keine langen, dunklen Haare mehr, sondern blonde, kurze.

Heute sieht er nicht aus wie einer, der die Nächte durchgespielt hat, nicht wie siebenunddreißig, sondern wie ein junger Mann mit einem schüchternen Anflug von Schüchternheit. Doch seine Stimme klingt sicher, die langen Haare sind weg, der blondgefärbte Stoppelschnitt auch. Um die Handgelenke trägt er breite, silberne Armbänder, die klirren leise. An den Wänden hängen alte Plakate, in der Wohnung lehnen vier Gitarren.

»Klar, wollte ich damals ein Star sein, hatte tausend Ideen, aber mir fehlten die Produktionsmittel.« Eine Plattenfirma hätte Vorschuß gegeben, und es gab auch welche, die bei seinem Manager anfragten. »Aber die Verträge haben mir nie gefallen, ich wollte keine Rechenschaft über meine Arbeit ablegen.« Deshalb kam Peter Subways erste CD 1991 bei einem Independent-Label heraus. Harte Mucke.

Doch so langsam entwickelte sich ein Fan-Kreis. »Gute und schlechte Gigs wechselten sich ab.« Die Szene-Läden, in denen er spielte, waren immer voll. Aber auch eine Lokalgröße muß sich mal rar machen, sonst verschleißt sie sich. Die Band ging auf Tour. Kulmbach, Bamberg, Regensburg. In Biergärten spielten sie »stundenlang die Leute zu. Das waren die da unten nicht gewohnt, ganz anders als in Berlin, wo das Publikum schon alles gesehen hatte.« Sie zahlten auch besser, die Bayern.

Dann kam Übersee und die New Yorker U-Bahn. Ein halbes Jahr war Peter Subway in Amerika unterwegs. Er gab Konzerte in Texas, in Arizona. Eine Plattenfirma in South Carolina wollte ihn produzieren, »aber sie machten nur rechtsradikale Musik und konnten nicht begreifen, daß das politisch nicht zu mir paßte.« Er sprach mit dem Vizepräsidenten der Fastfoodkette Subway, sie boten ihm Sponsoring an, aber er wurde »das Gefühl nicht los, daß sie einen über den Tisch ziehen wollten.«

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On the train again. Foto: Wolfgang Krolow
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Der große Star ist Peter Subway in Amerika nicht geworden, aber er gewann auch hier seine Fans in der U-Bahn und auf den Straßen. Und er begriff langsam: »Ob du in einen Irish Pub gehst oder dich an ein Lagerfeuer setzt, mit einer Gitarre gehörst du überall dazu.« Hier wurde ihm vielleicht auch der eigentliche Antrieb zum Gitarrespielen klar – das »Star werden« war es nicht. Als er nach Kreuzberg zurückkehrte, tat er es nur, um Hab und Gut zu verkaufen. Er kündigte seine Wohnung und beschloß, sich »einmal um den Globus herumzuspielen«. Da war er 32.

Der Zeitpunkt war gut gewählt, von der elektrisch verstärkten Musik hatte Peter Subway einen Gehörschaden davongetragen, Tinnitus, ein Hochfrequenz-Summen im Ohr. Er zog allein los, packte einen Rucksack, der so klein war, daß andere ihn nur mit ins Fitneßstudio genommen hätten, und griff nach seiner Gitarre. Mit ihr wollte er die Reise finanzieren.

Sie dauerte anderthalb Jahre, er wollte nicht schnell sein, wollte das Wechselspiel der Botanik, der Kulturen genießen, »das kriegst du nur mit, wenn du auf dem Boden bleibst«. Er durchquerte ganz Südostasien, Bangkok, Bali, Timor, Israel, Jordanien. Kam durch Haifa auf Zypern, Rhodos, Kos, Athen, Venedig, sah zu, wie aus den immergrünen Alpengipfeln, den kargen Mittelmeerlandschaften die Wüste Sinai wurde. »So ein Bild der Welt kriegst du erst, wenn du dir total viel Zeit läßt.«

Es war viel einfacher, als er gedacht hatte, zum Selbstkostenpreis zu reisen. Mit der Gitarre war er sofort mittendrin. In Suva, der Hauptstadt der Fidschi-Inseln, brach der Verkehr zusammen, als die korpulenten Fidschianer zu seiner Musik tanzten – so was hatten sie noch nie gesehen. Er trank Kava mit ihnen, dieses berauschende Getränk, das dort so verbreitet ist wie hier das Bier. »Jeder wollte mal meine Gitarre spielen, und Onkel Sowieso kam mit einem alten Brett an, auf dem alle Saiten fehlten, dem habe ich neue geschenkt.« Und ihre Musik? »Ich habe alles gehört, die ganze Volksmusik …«

In Osttimor rettete ihn nur das Glück. »Ein kaputtes Land, die Leute hungerten, die Kinder hatten aufgedunsene Bäuche.« Er hatte auf eine Insel übergesetzt, »dort lebte ein Urvolk fernab von Gut und Böse. Zufällig kam eine weiße, alte Dame ins Dorf, Mama Gisela. Die leitete eine Lepra-Station und kam aus Würzburg. Sie lud mich ein, sie auf der Station zu besuchen. In der Nacht bekam ich Fieberschübe, und als ich mich am nächsten Tag zu ihr aufmachte, brauchte der Bus für die fünfzehn Kilometer vier Stunden, und ich war so schwach, daß ich ständig in Ohnmacht fiel.« Fiebergeschüttelt erreichte er Mama Gisela, die ihm sofort Resochin verabreichte. Vier Tage später war der Malaria-Anfall vorbei.

Mehr als nach Amerika zog es ihn nach Australien. Dort kaufte er sich ein Auto und fuhr in sechs Monaten von Norden nach Osten. »Straßenmucke, lief hervorragend. Die Leute waren sehr interessiert. Und hier verstanden sie auch meine Texte.« Das Musizieren auf der Straße nannte man hier »busking«. Auf allen Märkten und Flohmärkten in Sidney gab es extra eingerichtete busker-corners. »Daß ich da arbeiten durfte, war nie eine Frage.« Er machte bei einem Songwriter-Wettbewerb mit und gewann einen Didgeridoo-Workshop bei den Aborigines. Sie lehrten ihn, einem von Termiten hohl gefressenen Eukalyptus-Baumstamm die Rinde abzuschälen, bis die Rohrwände so dünn wie möglich wurden. Er polierte das Didgeridoo, versah es mit einem Mundstück aus Bienenwachs und lernte, mit dicken Backen hineinzublasen, bis sich dieser dunkle, vibrierende, beunruhigende Ton ergab, der selbst in einer Kreuzberger Wohnung ein mückensirrendes Busch-Gefühl erzeugt. Er benutzt es heute auf Konzerten.

»Als ich zurückkehrte, flutschte alles. Neue Sponsoren, neue Musiker, ein neuer Kombi für die Anlage, und jede Menge neue Songs.« Bis 1996 spielte die Band mit E-Gitarre, Rockschlagzeug, E-Bass, hart und laut. Jetzt wollte Peter Subway »erst mal alles runterschrauben«: Kontrabaß, Akustik-Gitarre.

Sehr schnell kam ein schöner Haufen neuer Besitztümer zusammen. Und eine neue Freundin. Eigentlich wollte er nur kurz in Berlin bleiben, »aber alles hielt mich fest«. Er spielte wieder draußen, am Paul-Lincke-Ufer, in Treptow, Potsdam. Jetzt möchte er ins Studio, neue Sachen machen, die letzte CD ist schon 3 Jahre alt. Aber Tonstudio-Tage sind teuer, und bei den Plattenfirmen hat er es längst aufgegeben. »Ich kenne da niemanden.« Eine halbwegs günstige Eigenproduktion würde 5000 Euro kosten. Aber wenn er die CD auf den Konzerten verkauft, verdient er daran hundert Prozent und ist an keinen Vertrag geknebelt.

Der große Hit hat seine Priorität für Peter Subway verloren. »Ich bin immer in Bewegung, aber am meisten Spaß hatte ich in anderen Ländern.« Da will er wieder hin, und gleichzeitig ein Standbein in Kreuzberg behalten. Aber das wird immer schwieriger. Er kann nicht mehr seinen ganzen Besitz abstoßen, er braucht das Equipment und den Kombi. Auch die Freundin will nicht so recht mit. Jetzt geht er im Winter für vier Monate nach Burma. Vielleicht kann er sie erst mal dazu überreden. <br>

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