Kreuzberger Chronik
Oktober 2002 - Ausgabe 41

Die Freizeit

Autowaschen


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von Hans W. Korfmann

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Wenige Jahre, nachdem die ersten Volkswagen vom Fließband gerollt waren, prägten die grauen und silbernen Käfer das Straßenbild vor den einfachen Mietshäusern der fünfziger Jahre, in denen technische Zeichner, Ingenieure, Lehrer oder Handwerker wohnten. In den Sommerferien fuhren sie zwei Wochen nach Italien, im Winter legten sie Ketten um die kleinen Räder ihres VW und fuhren ins Walsertal. An den Wochenenden aber fuhren sie mit ihrer Frau und den zwei Kindern an den Bach oder den See, ausgerüstet mit Eimerchen und Schwämmchen fürs Äußere ihres geliebten Käfers, mit einem Ledertuch für die Scheiben und Schaufel und Besen für Sitze und Teppichboden. Der samstägliche Autoputz war eine deutsche Tugend, und insbesondere inmitten der gesunden Natur, auf Parkplätzen und Waldwegen, aber auch auf den Hinterhöfen und in den stillen Straßen, sah man die Deutschen ums Auto drapiert, um aufs gewissenhafteste das Statussymbol des wohlhabenden Mittelstandes zu pflegen.

Heute haben moderne Waschanlagen das kleine Eimerchen ersetzt. Die Tankstellen sind ausgerüstet mit gigantischen Staubsaugern und Wasserpistolen, deren Druck die filigranen Blinker eines alten Volkswagens nur schwer standgehalten hätten. Und anstatt des kleinen Schwämmchens, mit denen Hans und Anna einst über die schmutzigen Stellen auf der Karosserie wischten, wälzen sich riesige Schaumrollen über das Auto.

Der wahre Liebhaber seines roten BMW oder seines metallicfarbenen Mercedes aber putzt mit der Hand nach. Noch heute gehört ein samstäglicher Ausflug zur Tankstelle zu den liebsten Freizeitbeschäftigungen einiger Mitbürger, und in der Kreuzbergstraße stehen an den sonnigen Nachmittagen die Wagen in der Schlange. Ausgerüstet mit raffinierten Putzmitteln und vielversprechenden Polituren kümmern sich vor allem junge Autofahrer um das heißgeliebte Blech. Mit sorgenvollen Blicken untersuchen sie die glänzende Oberfläche nach Kratzern, gleiten zärtlich und schweigsam mit weichen Baumwolltüchern über die elegant geschwungenen Formen.

Sie sprechen nicht viel miteinander, die jungen Männer, in diesen Stunden der Muße.
Obwohl die Autowäscher einander beobachten. Nicht ohne eine gewisse Eifersucht rücken sie hin und wieder die Sonnenbrille auf die Stirn, um einen Blick in die geöffnete Kühlerhaube des Nachbarn zu werfen. Denn natürlich gibt es Klassenunterschiede, zwischen den Autos, und zwischen den Autobesitzern. Doch im Grunde sind sie eine große, friedvolle Gemeinde, es eint sie die unsterbliche Liebe zum Automobil. Und wenn sie sich nach getaner Arbeit am Schalter der Kasse ihre wohlverdiente Cola holen, dann wechseln sie auch einige Worte miteinander – über das Alter ihres Automobils, den Hubraum und die besonderen Extras.

Später am Abend werden sie durch die Straßen fahren, wie neu werden ihre Gebrauchtwagen glänzen, und die blondierten Mädchen an ihrer Seite werden ein stolzes und strahlendes Lächeln aufsetzen. Erst am Montag wieder, wenn sie in die dreckigen Overalls zurückkriechen müssen, um stinkende Abflußleitungen zu reparieren oder das Straßenpflaster zu erneuern, wenn der Chef sie wieder anpöbelt, nur weil sie fünf Minuten zu spät gekommen sind, oder wenn sie sich am Ende des langen Arbeitstages ausrechnen, wie wenig sie verdient haben – erst am Montag holt die Wirklichkeit sie wieder ein. Am Samstagnachmittag aber haben sie frei – da liegt das ganze Wochenende noch vor ihnen. Die ganze Freiheit. <br>

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