Kreuzberger Chronik
Mai 2002 - Ausgabe 37

Die Geschäfte

Das Möbellager


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von Johann von Lorenz

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Die Visitenkarte ist schlicht: Ankauf, Verkauf, Wohnungsauflösung, Geschäftsauflösung. Auch auf dem Mehringdamm weist nur eine zwischen Fahrradständern und dem Gewusel der Passanten verlorene Tafel mit einem roten Pfeil ins »Möbellager« im Hinterhof.

Wer es dennoch sieht und zufällig auf der Suche nach einem Tisch, einem Stuhl oder einem Schrank ist, durchschreitet drei Hinterhöfe und die Jahrzehnte, denn die alten Backsteinfassaden erzählen – auch ohne schick renoviert zu sein – von den alten Fabrikationsstätten in den Hinterhöfen Berlins. Hinten im Eck deutet ein weiterer Pfeil die schmalen Stufen einer grauen Kellertreppe hinunter und führt zu einer schmuck- und schildlosen Stahltür. Man seufzt, drückt hoffnungslos die Klinke, doch wider Erwarten öffnet sich die Tür lautlos. Und man ist im unterirdischen Möbellager von Herrn Sarris.

Unter der Decke gluckern die Abflußrohre, alte Lampen und Lüster baumeln von den Rohren herab. Modelle der fünfziger und sechziger Jahre mit gläsernen Lampenschüsseln über den kerzenförmigen Glühbirnen. Auch die beiden gewaltigen Tischlampen mit ihren blümchenmusterverzierten vasenartigen Porzellansockeln und den hellblauen und rosafarbenen Schirmen, die aussehen wie gigantische Hüte kleiner chinesischer Reispflückerinnen, stammen aus dieser merkwürdigen Epoche. Ebenso überdimensional wie die beiden Vasenlampen sind die Filtertüten der Marke Melitta, Nr. 106, sogenannte Schnellfiltertüten für etwa 20 Liter Kaffee und mit einem oberen Kraterdurchmesser von mindestens dreißig Zentimetern.

Wahrscheinlich nicht ganz zufällig steht in der Nähe der Küchenstuhl aus lackierter Buche mit seinem knallroten Plastikbezug, das Symbol der sechziger Jahre überhaupt, wenn man von Werbefiguren staubsaugender Hausfrauen auf Stöckelschuhen einmal absieht. Der Gebrauchtmöbelhändler hat erkannt, daß auch diese Jahre schon ihre Sammler gefunden haben. An die schweren Zeiten des Hausfrauendaseins erinnert dagegen die »Original Miele« Mangel mit ihren drei hölzernen Walzen, ihrem martialischen Zahnrad und der Kurbel, die aufgrund ihrer Größe eher zu einer Lokomotive als zu einem Haushaltsgerät zu gehören scheinen.

M?bellager
Foto: Nikolaos Topp
Doch solcherlei Skurrilitäten sind die Ausnahme im Möbellager. Hier geht es um Tisch, Stuhl und Schrank, nicht um das Sammeln von Belustigungsgegenständen. Und bei den Möbeln zählt vor allem die Funktionalität. Auch wenn hinten in der Werkstatt Altes restauriert und Häßliches wieder schöner wird, in erster Linie muß der Stuhl halten, der Tisch darf nicht wackeln, der Schrank muß schließen. Sonst ist kein Platz für ihn in den paar hundert Quadratmetern, die Herr Sarris am Mehringdamm angemietet hat. Denn das Lager ist voll. Hinten im Eck stehen fünfzig Tische. Runde, rechteckige, quadratische, dunkle, helle, hölzerne und gläserne, häßliche und schöne. Im Preis unterscheiden sie sich kaum voneinander, und wenn, dann hat vor allem die Größe den Ausschlag gegeben. Es sind schöne Teile darunter, der runde Holztisch mit der roten Marmorplatte für 350 Mark, das alte Modell mit dem geflochtenen Muster unter der Glasplatte.

Ähnlich verhält es sich mit den Stühlen. Die Preise orientieren sich am Zustand des Möbels. Es sei denn, es handelt sich um eines der seltenen Stücke, auf denen einst Sultan Suleyman saß und die Rede des Kalifen anhörte, bis er die Hand hob und die Diener kamen, um den Kalifen auf dem Hof seines Kopfes zu berauben. Aus dieser sagenhaften Zeit etwa kommt die schwere Schatztruhe. »Wie alt die genau ist, das kann man schwer sagen. Auf jeden Fall kommt sie aus Syrien«, und auf jeden Fall ist sie echt und kostet 4500 Mark. Sie ist noch mit stumpfem Werkzeug aus einem schweren Holz gehauen worden, die Intarsien aus Perlmutt sind noch viele Jahre von der kunstvollen Millimeterarbeit entfernt, doch liegt gerade in dieser Unbeholfenheit die Poesie der geschwungenen Linien, der angedeuteten Blumen und Muster. Perfekt dagegen sind die kleinen Teetische mit ihren Perlmuttmosaiken, ihren verschiedenfarbigen Intarsien und den schwarzen Edelholzrändern. Sie sehen aus, als wären sie in der modernen Schreinerei entstanden – und vielleicht sind sie das ja auch.

Alt dagegen sind die Bauernschränke, zum Teil von der Farbe befreit und mit Wachs zu einem matten Glanz poliert, zum Teil noch in ihrem hellblauen Ölfarbenanstrich, verziert mit den bäuerlichen Motiven aus Kornblumenkränzen und Ährenbündeln. Da die Möbel hier vor allem Möbel und keine Antiquitäten von unschätzbarem Wert sind oder zu sein vorgeben, sind sie auch erschwinglicher als bei den feinen Souterrainläden der Antiquitätenhändler. Nur hin und wieder ist ein Stück dabei, das sich preislich aus der Masse abhebt. Zu lange schon ist der Möbelhändler im Geschäft, um nicht zu wissen, was die Nachbarn für solche Stücke nehmen. Der Vertiko zum Beispiel mit Aufsatz und Spiegel kostet auch im Keller 2800 Mark. Und der riesige, reich verzierte Eichenschrank mit seinen gläsernen Türen und Fächern und Schnitzereien, und mit dem dazu passenden Schreibtisch und der Schreiblederauflage, kostet schon einen ziemlich guten Monatslohn.

Daneben stehen dann wieder die Bücherregale im Ikea-Stil, zwei Aktenschränke, eine Reihe ausgedienter Kinosessel oder ein mit hellblauem Resopal überzogener Küchentisch, ein geflochtener Stuhl mit Armlehnen für 70 Mark, oder eine alte Holzbank, die vielleicht einmal im fernen Orient im guten Salon an der Wand stand, unter einem dieser kitschigen Ölbilder von hohen Bergen mit rauschenden Flüssen, grünen Wiesen und riesigen Hirschen, Bildern aus einer Welt, von der sie sagen hörten, sie sei besser als die ihre. Und einige dieser Bilder hängen auch hier unten im Möbellager noch an den Wänden.

Doch Betrachter gibt es wenig. Am Samstag vielleicht, aber an den anderen Tagen der Woche kommt kaum jemand in den Keller. Das Schild an der Straße ist zu klein. Deshalb ist das Möbellager im 3. Hinterhof am Mehringdamm Nr. 53 noch immer eine Art Geheimtip. Von dem man sich erzählt, daß nirgends in Kreuzberg so viele gebrauchte Möbel auf einem Platz versammelt sind wie hier, und daß man nirgends so handeln kann wie mit dem freundlichen Mann am Mehringdamm. Natürlich denkt Sarris schon lange daran, ein größeres, richtiges Schild aufzuhängen. Aber ein richtiges Schild würde auch ein richtiges Geld kosten. Und so ein richtiges Geld kann man hier unten ja nicht verdienen. <br>

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