Kreuzberger Chronik
Februar 2002 - Ausgabe 34

Der Kommentar

Betrifft: Sparmaßnahmen in Berlin


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von Michael Unfried

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Es ist unruhiger geworden in der Stadt. Auch in Kreuzberg, das ohnehin nie richtig ruhig war. Schuld ist die Polizei.

Sie hat nämlich einen strategisch wichtigen Stützpunkt hier am Tempelhofer Berg, in der alten preußischen Kaserne, der größten noch erhaltenen Deutschlands, wie man dort gerne prahlt: die sogenannte Friesenwache. Mehrmals am Tag kommen also die kleinen Brigaden der Polizeistreitkräfte in rasender Eile aus der Kaserne und die Friesenstraße heruntergefahren. Mit quietschenden Reifen und 20%iger Schräglage nehmen die grün-weiß gestreiften Ordnungshüter mit ihren wenig schnittigen VW-Bussen die 45-Grad-Kurve vor der Markthalle. Auch die Fahrer der 20 Motorräder, die in adretter Paarlaufformation den Berg herunterkommen, tragen Kampfkleidung und sind in offenbar unfriedlicher Mission unterwegs.

Ihre Sirenen, ihre Motoren, ihre Omnipräsenz prägen seit dem Einzug der Regierung Kreuzbergs Straßenbild. Wozu noch über ein Mahnmal diskutieren? Die lärmenden Horden der bundesrepublikanischen Staatssicherheit gemahnen ohnehin an jene Jahre, die man so gern ins Grab der Geschichte versenken würde.

Und Wehe dem Taubstummen, der sich auf der Mitte der Fahrbahn befindet und sie nicht kommen sieht, wenn sie die Friesenstraße heruntersausen, als ginge es um die Rettung Berlins. Wenn diese fahrende Armee blinkend in die Bergmannstraße und die Zossener Straße einbiegt, um pünktlich um 11 Uhr vor dem Reichstag oder dem Willy-Brandt-Haus einzutreffen, da dort in diesem Moment der Kanzler aus dem Haus tritt.

Natürlich ist der Schutz des Oberhauptes der Republik von nicht geringer Bedeutung. Aber müssen dazu Sirenen heulen und die Blaulichter blinken? Es steht doch beinah jeder Schritt des Kanzlers bereits seit Tagen im gut verschlossenen Terminkalender, und es wird doch die Polizei in der Regel nicht erst Sekunden vor dem Austritt des Herrn zu Hilfe gerufen. Ginge es nicht auch in zivilem Tempo, wenn man drei Minuten früher aus der alten Kaserne ausrückte?

Es stellt sich damit jedem Denkenden die Frage, warum die Heerscharen des 21. Jahrhunderts so vorlaut und präpotent sein müssen wie die Krieger des Mittelalters. Warum die angeblichen Freunde und Helfer mit der legitimierten Geschwindigkeitsüberschreitung ständig ihre an Gesetzlosigkeit grenzenden Sonderrechte unterstreichen müssen? Könnten sie nicht endlich ähnlich diszipliniert und unauffällig in Erscheinung treten, wie es auch sonst die Art des braven deutschen Bürgers ist?

Doch seit dem Fall der Mauer ist Berlin eben eine wichtige Stadt, und jeder Polizeieinsatz ist ein wichtiger Einsatz. Am 1. Mai braucht ein sonntäglicher Spaziergänger längst wieder einen Passierschein, wenn er am Nachmittag noch nach Hause kommen möchte. Und selbst der kleinste Blechschaden eines deutschen Miniaturwagens auf einer unbedeutenden Seiten- und Einbahnstraße läßt die Grünen ins Martinshorn blasen. Auch ein gemütlich dahinradelnder Fahrradfahrer auf dem Gehsteig rechtfertigt das plötzliche Ausscheren des Streifenwagens, ein filmreifes Bremsen auf dem Busstreifen und das Zücken des Mikrofons. Der plötzliche Angriff der Ordnungshüter soll schon so manchen friedlichen Radler zu Sturz gebracht haben.

Nun aber hat man beschlossen, die Heerscharen der Berliner Polizei ein wenig einzudampfen. Die Polizei ist dem rot-roten Senat zu teuer. Das läßt hoffen. Denn auch, wenn es nur die scheinbar harmlosen Schreibtischtäter sind, die nun aus dem Verkehr gezogen werden: Die Maßnahme könnte zu einer echten Verkehrsberuhigung führen. Denn es werden die Rechner am Schreibtisch sein, die am Ende über die Einnahmen und Ausgaben Rechenschaft ablegen müssen. Es werden die krummen Bürokraten sein, die sich über die Benzinrechnungen beugen und fragen: Muß denn das sein? Können wir unseren Feldherrenhügel nicht vielleicht auch mit abgeschalteten Motoren hinunterrollen? <br>

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