Kreuzberger Chronik
April 2002 - Ausgabe 36

Die Geschichte

Trollmanns aussichtsloser Kampf


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von Martin Krauß

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Diese Geschichte handelt von einem Berufsboxer, der seine größten Erfolge, sowie seine größte sportliche Niederlage am Tempelhofer Berg erlebte. Er hieß Johann Wilhelm Trollmann, seine Freunde nannten ihn »Rukelie«. Trollmann wurde 1907 in Hannover als Sohn einer Sinti-Familie geboren. 23 Jahre später war er Profiboxer. »Der Hannoveraner brachte neben einer guten Form überraschend gute Luftverhältnisse für die 8-Runden-Distanz mit und war in jeder Phase des Kampfes der überlegene Techniker, der auch seinen Kopf zu gebrauchen verstand«, hieß es im März 1930 im Fachblatt Boxsport über einen seiner ersten Profikämpfe. Doch Trollmann war ein Boxer, der Publikum und Kritiker polarisierte. Fachlich begründetes Lob – er »sidestept, dreht ab, um plötzlich wieder am Mann zu sein und Serien beidhändiger Haken zu landen« – wechselte ab mit rassistischer Hetze: »Der Trollmann wird nie aus seiner Haut können und bedeutet für jede seriöse Veranstaltung, wenn er im Programm eine führende Position einnimmt, eine Gefahr.« Er neige dazu, »plötzlich wie ein Derwisch zu tanzen«.

Trollmann aber ging nach Berlin, sein erster Kontrakt war ein Boxring in der Spichernstraße. Dort versammelte er innerhalb kürzester Zeit eine feste Fangemeinde um sich, so daß er bald einen gut dotierten Vertrag in der Bockbrauerei in Kreuzberg am Tempelhofer Berg erhielt.

Als 1933 die Nazis dem jüdischen Boxer Erich Seelig den deutschen Meister-Titel im Halbschwergewicht aberkannten und beschlossen, daß der Kampf um den vakant gewordenen Titel zwischen den Deutschen Adolf Witt und Helmuth Hartkopp ausgetragen werden sollte, nominierte der Verband als Ersatzmann den Boxer Johann Trollmann. Und da dieser Kampf unentschieden endete, sollte plötzlich Trollmann gegen den Kieler Adolf Witt in den Ring.

Johann Wilhelm Trollmann
Foto: Archiv Hans Firzlaff
Der Kampf fand am 9. Juni 1933 in der Kreuzberger Bockbrauerei am Tempelhofer Berg statt. 1500 Zuschauer kamen. In der Boxsport, die sich schon bald als Nazi-Blatt präsentierte, hieß es: »Trollmann hatte besonders viele Anhänger unter denen, die sich mit der neuen Richtung des Verbandes nur schwer oder gar nicht abzufinden wußten, Anhänger, die das Theatralische in seinem Spiel, diese zigeunerhafte Unberechenbarkeit schätzten.«

Der Abend wurde zum Skandal. Noch während des Kampfes entschied der als Verbandsdelegierte agierende NSDAP-Mann Georg Radamm, daß keine Meisterschaft vergeben werden und der Kampf ohne Wertung bleiben solle. Das Publikum tobte, Trollmann protestierte mit Tränen in den Augen. Unter dem Druck des Publikums wurde der bessere Kämpfer, Johann Trollmann, allerdings dann doch noch zum deutschen Meister ernannt. »Hätte der Garten der Brauerei Wände gehabt«, beschrieb man in Boxsport die Atmosphäre, »wäre der Kalk von den Wänden gerieselt«. Doch Trollmann behielt den Titel nur drei Tage lang.

Vier Tage nach dem Kampf erging ein Schreiben des Verbandes an Trollmanns Manager Ernst Zirzow, der Kampf sei ohne Entscheidung zu werten, Trollmann sei kein deutscher Meister. »Es gab keine andere Lösung, wenn man den deutschen Berufsboxsport nicht der Blamage aussetzen wollte«, kommentierte der Berliner Lokal-Anzeiger, »und es mußte so kommen, denn man stellt sich einen deutschen Meister anders vor. Ein deutscher Boxer darf nicht weinen, erst recht nicht ein Meister in aller Öffentlichkeit heulen oder wenigstens den Heulenden markieren

In offiziellen Listen wird Johann Trollmann deshalb bis heute nicht als Deutscher Meister im Halbschwergewichtsboxen geführt. Noch 1967 war im Boxsport über den Kampf zu lesen: »Der Zigeuner hatte den Kampf verdorben, so schnell konnte Witt nicht rennen, um ihn jemals zu stellen.«

Dennoch konnte Zirzow für seinen Schützling einen neuen Kampf aushandeln: Im Juli 1933 boxte Trollmann, wiederum in der Brauerei zwischen Fidicin- und Bergmannstraße, gegen Gustav Eder aus Dortmund, genannt »Meister Eder«, den deutschen Weltergewichtsmeister. Die Vorgaben durch den Verband aber waren dergestalt, daß Trollmann niemals siegen konnte. Boxte er so, wie er es gut konnte – nämlich schnell, tänzelnd, ausweichend –, würde er disqualifiziert werden, da sein Stil als undeutsches Instinktboxen galt. Boxte er hingegen so, wie es der Verband verlangte, konnte er gegen einen Infight-Spezialisten wie Eder nur verlieren.

Den erzwungenen Abschied des Sinti-Boxers Johann Trollmann von der großen Boxbühne am 21. Juli 1933 absolvierte er »mit der Grandezza des großen Tragöden«, schrieb Jahrzehnte später der Journalist Michael Quasthoff. Trollmann, der einen dunklen Teint hatte, stieg an jenem Abend mit weißgepuderter Haut in den Ring am Tempelhofer Berg, und seine schwarzen Haare hatte er blondiert. Als ob er damit den arischen Faustkämpfer nicht schon karikiert hätte, stellte er sich breitbeinig in der Ringmitte auf, um die Schläge Eders entgegenzunehmen. Schon in der zweiten Runde blutete er, der Kampf schien aussichtslos. Dennoch gelang ihm auch aus der für ihn ungewohnten Position heraus ein Schlag, der »Meister Eder« zu Boden gehen ließ. In der fünften Runde jedoch erwischte Eder seinen Gegner und schlug ihn mit einem Körperhaken K.o. Trollmann gratulierte dem Sieger, die Nazis aber schickten dem Verlierer ihre Häme hinterher. Im Boxsport erschien unter dem Titel »Der helle Gypsie« ein Spottgedicht, dessen erster Reim lautete: »War einmal ein Zigeuner / So schön wie er war koiner.«

Trollmann absolvierte noch einige kleinere Kämpfe, von denen er viele verlor. 1938 verhaftete man Johann Wilhelm Trollmann, steckte ihn zunächst in ein Arbeitslager und schickte ihn anschließend zur Wehrmacht. 1941 wurde er an der Ostfront verwundet und vermutlich sofort, spätestens aber 1942, in das KZ Neuengamme gebracht. Wieder der Bericht des Journalisten Quasthoff: »Was er dort erleiden muß, hat später ein Lagergenosse berichtet. Immer wenn sich die SS-Männer im KZ Neuengamme langweilen, muß Johann Trollmann für Abwechslung sorgen. Sie stülpen ihm Handschuhe über, krempeln die Ärmel hoch und rufen: Los Zigeuner, wehr dich! Dann rammen sie ihre Fäuste in den ausgemergelten Körper.«

Nach Augenzeugenberichten ist Johann Wilhelm »Rukelie« Trollmann am 9. April 1943 morgens um 6.00 Uhr im KZ Neuengamme erschossen worden. Die offizielle Todesursache, die noch heute von der Stadt Hannover bei Anfragen mitgeteilt wird, lautet »Kreislaufschwäche«.

Literaturnachweis: Martin Krauß, Knud Kohr: »Kampftage. Die Geschichte des deutschen Berufsboxens«, Verlag »Die Werkstatt«, Göttingen 2000

Die Website des Neffen von »Rukeli« Trollmann mit vielen Fotos und Informationen: <br>

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