Kreuzberger Chronik
September 2021 - Ausgabe 232

Geschichten & Geschichte

Gustav Adolf Tzschoppe


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von Eckhard Siepmann

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Heute gibt es eine App für fast alles, und so auch für das Aushorchen und Beobachten unbequemer Bürger. Pegasus nistet sich derzeit weltweit in Smartphones ein. Früher, als das Wünschen noch geholfen hat, horchte der Staat seine unbequemen Bürger noch per Lebewesen aus, meist schwitzende Männer, denen der Mythos Trenchcoat und Schlapphut andichtete.

Schnüffeln, das ist vor allem Sache der Hunde. Irgendetwas erspüren sie da, mit Vorliebe im Intimbereich. Auch unter Menschen mag es als Einleitung von Ekstasen im Reiche des Eros durchaus noch Sinn machen, aber das Beschnüffeln von Klebstoffverdünnern und Fleckenentfernern führt so manchen ins Abseits. Andere menschliche Schnüffler richten ihr hoch gezüchtetes Riechorgan nicht auf berauschende Ausdünstungen chemischer oder natürlicher Art, sondern, wie die Biedermeier-Zeitschrift Gartenlaube es einst formulierte, auf »die unschuldigsten Kinder freisinniger Gedanken«: Es sind die Spürhunde des Staates, die mit ihren hoch dotierten Nasen die aufmüpfigen Feinde der Obrigkeit noch in den entlegendsten Winkeln und Verstecken aufspüren. Das vom Sturm auf die Bastille 1789 erschreckte Preußen hegte und pflegte seine Spitzel, und der widerwärtigste von ihnen liegt begraben auf dem Friedhof der Jerusalems- und Neuen Kirche II am Halleschen Tor.

Den Anfang nahm die intensive preußische Schnüffelei am 23. März 1823. »Hier, du Verräter des Vaterlandes!« Mit diesem Schrei hatte sich der 23-jährige langhaarige Theologiestudent Karl Ludwig Sand auf den betagten Dichter August von Kotzebue gestürzt und ihm ein Messer ins Herz gerammt. Kotzebue hatte es nicht beim Dichten belassen. In Streitschriften goss er ätzenden Hohn auf die deutsche Einheitsbewegung, in den Universitäten erkannte er Brutstätten deutscher Revolutionsgelüste. Auf dem berühmten studentischen Wartburgfest 1817 warfen Sand und seine Freunde Kotzebues Geschichte des deutschen Reichs ins Feuer. Sie stimmten ein Lied an, das Sands Freund Karl Follen gedichtet hatte:

Freiheit, dein Baum fault ab / Jeder am Bettelstab / Beißt bald

ins Hungergrab, / Volk an‘s Gewehr!

Allen ruft Teutschlands Not, / Allen des Herrn Gebot: / Schlagt

Eure Plager tot, / Rettet das Land!

Follen beschwor seine Mitstreiter auch in Prosa: »Wir müssen die Volksfreiheit erlangen durch jedes Mittel, welches nur immer sich uns bietet. Aufruhr, Tyrannenmord und alles, was man im gewöhnlichen Leben als Verbrechen bezeichnet.«

Die Ermordung von Kotzebue war der Tropfen, der das Fass der preußischen Revolutionsangst zum Überlaufen brachte. Die Granden des Deutschen Bundes erließen die Karlsbader Beschlüsse, mit denen unter dem Titel Demagogenverfolgung zur Jagd auf alle revolutionär gestimmten Geister geblasen wurde. Damit schlug die Stunde für den nahe der Baruther Straße begrabenen Gustav Adolv Tzschoppe.

Tzschoppe hatte in Jena Jura studiert und wurde dank seiner katzbuckligen Haltung schon mit 22 Jahren Regierungsrat. Eine Kostprobe seines servilen Gemüts: Als ein Student den Berliner Universitätsrichter beleidigt, schreibt er an seinen Vorgesetzten: »Wenn meine aus schwachen Einsichten, aber aus treuer Ergebung an Eure Durchlaucht hervorgegangenen Bitten etwas vermögen könnten, so würde ich mir bei dieser Veranlassung die unterthänigste Bitte erlauben, daß Eure Durchlaucht gegen jene geschlossene und täglich anwachsende Partei durchgreifende Maßregeln zu nehmen geruhen möchten.«

Preußenes oberster Demagogenverfolger, Karl Albrecht von Kamptz, hätte sich kein besseres Riechorgan wünschen können. Dieser Kramptz war allerdings auch Dienstherr eines ganz anders gearteten Juristen, nämlich des romantischen Dichters E. T. A. Hoffmann, der als Kammergerichtsrat auch der »Immediatkommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe« angehörte. Diesem wiederum gelang es immer wieder, Verfolgten aus der Patsche zu helfen.

Eines Tages aber platzte ihm der Kragen. Als ein Student vor Gericht sollte, weil in seinem Tagebuch das Wort »mordsfaul« entdeckt worden war, karikierte er Tzschoppes Chef in seinem Meister Floh als schwachsinnigen Knarrpanti. Der Entlassung kam der Spötter durch seinen Tod 1822 zuvor.

Tzschoppe wurde ob seines Eifers Geheimer Oberregierungsrat und 1833 Direktor des geheimen Staats- und Kabinettsarchivs. Damit war er oberster Dienstherr aller polizeilichen Denunzianten und Spitzel. Der König war von seinem Schnüffler derart beeindruckt, dass er ihn in den Adelsstand hob und 1837 zum Wirklichen Geheimen Oberregierungsrat machte. Als sein Förderer 1840 starb, fiel Tzschoppe in geistige Umnachtung und legte 48-jährig den Löffel aus der Hand.

Es ist nicht weit von Tzschoppes Grab bis zu dem historischen Ort des Leierkastens, in der die Kreuzberger Boheme um Mühlenhaupt über alle möglichen Stränge schlug. Staatslästerung war unter den Säufern Ehrensache. Im Geist hört man sie Follens Verse schmettern:

Es erwacht / Tief aus der sonnenschwangern Nacht / In blutflammender Morgen Wonne, / Der Sonnen Sonne, die Volkesmacht!

Staatsgefährdende demagogische Umtriebe! Tzschoppe, bleib ruhig! Du bist tot und musst nichts mehr vermelden. •



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