Kreuzberger Chronik
Februar 2011 - Ausgabe 124

Strassen, Häuser, Höfe

Die Hasenheide 32-38


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von Werner von Westhafen

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Jeder kannte die Adresse von Resi: Wer tanzen wollte, ging zu Resi vor die Tore der Stadt. In die Hasenheide, wo die Brauereien und die Tanzsäle waren.

Heute steht an jener Stelle, wo sich einst über mehrere Hausnummern hinweg ein Biergarten, Salons und Tanzsäle aneinanderreihten, eine schmucklose Wohnanlage mit Lidl-Filiale und Automatenspielsalon im Erdgeschoss. Nichts deutet darauf hin, dass sich dort einst der Eingang zu einem der berühmtesten Tanzpaläste Berlins befand, dem berühmten Ballhaus Resi mit seinen Wasserspielen, seinen gedeckten Tischen und der Rohrpost, mit der die Herren ausgesuchten Damen auch an weit entfernten Tischen noch diskrete Nachrichten zukommen lassen konnten. Das »Resi« an der Hasenheide Nr. 32-38 war eine echte Kreuzberger Legende.

1979 wurde diese Legende im Zuge der Berliner Kahlschlagsanierung aus dem Stadtbild gesprengt. Dabei war Paul Baatz erst kurz nach dem Krieg mit seinem Ballhaus in den Festsaal der Happoldt´schen Brauerei eingezogen, die den Standort an der Hasenheide aufgab. Vom ersten Augenblick an gehörte der Tanzpalast neben dem ehemaligen kurfürstlichen Wildgehege zum bevorzugten Jagdgebiet der Berliner Schürzenjäger und Schürzenträger, auch wenn das Ballhaus mit den Tischtelefonen mit irgendeiner dahergelaufenen Resi nichts zu tun hatte, sondern seinen ehrenwerten Namen dem alten »Residenz Casino« verdankte, das Baatz bereits zu Beginn des Jahrhunderts in der Nähe des Residenztheaters eröffnet hatte.

Schon in der Blumenstraße Nr. 10, in der heutigen Mitte Berlins, installierte ein gewisser Otto Przystawik, seinerzeit der Haustechniker des Casinos, 200 Tischtelefone und eine Rohrpostanlage, um die mit-
Das Ballhaus Reisi- Edition Kreuzberger Ansichten, Dieter Kramer
unter schwierige Kommunikation zwischen den Geschlechtern zu fördern. 1928 hatte auch Baatz eine geniale Idee: Er beschloss, sein Ballhaus mit beleuchteten Springbrunnen auszustatten. Es dauerte nicht lange, da sprach ganz Berlin von »Resis Wasserspielen« und dem »Ballhaus der Technik«, in dem gigantische Zimmerspringbrunnen bis unter die stuckverzierte Decke sprudelten.

Die von bunten Scheinwerfern angestrahlten Wasserfontänen, die in verschiedenen Höhen und passend zur Musik hinter dem Orchester aufstiegen und zusammenfielen, waren die ersten ihrer Art und ein wahrer Publikumsmagnet. Als das Ballhaus in der Blumenstraße im Krieg von einer Bombe getroffen wurde und ausbrannte, zog Baatz mit seinem Orchester vom Osten in den Westen, nicht, ohne hier noch größer, noch imposanter, noch erfolgreicher zu werden. Im »Orpheum«, dem berühmten Ballsaal der Brauerei Happoldt, wurden die Wasserspiele weiterentwickelt, ein beleuchtetes Bassin entstand, Baatz experimentierte mit immer mehr Scheinwerfern und immer mehr Wasserfontänen. Sechs Angestellte waren nötig, um das Spektakel zu steuern, und als Baatz anlässlich der Industrie-Ausstellung im Jahre 1952 seine tanzenden Wasserfontänen dem Publikum vorstellen konnte, kam einer der Besucher auf die nächste gute Idee: eine transportable Wassershow. In den sechziger Jahren tourte Harold Stein-man, der bis dahin mit hübschen Artistinnen auf Rollschuhen das Land bereiste, mit der Berliner Idee durch die ganze Welt.

Baatz aber musste sich dem Lauf der Zeit beugen, die Ära der Tanzpaläste war vorüber. Der Jazz und der Rock&Roll lösten die vielstimmigen Tanzorchester ab, die Tanzenden zogen sich in kleinere Etablissements zurück, die großen Tanzpaläste boten bald ein trauriges Bild. 1978 meldete Baatz Insolvenz an, und schon ein Jahr später ging der alte Glanz vergangener Zeiten im Staub der Abrissbirnen unter.

Von Kreuzbergs beliebtestem Ballhaus blieb keine Spur zurück. Nur nebenan erinnert noch ein hoher gelber Backsteinbau an jene Tage, in denen die Hasenheide Berlins schönstes Vergnügungsviertel war. Hier steht, komplett verbaut und kaum mehr zu sehen, als einer der letzten Zeugen der großen Tanzpaläste der denkmalgeschützte Kaisersaal, der einst zur Unionsbrauerei und später zur Schultheiss-Brauerei gehörte. Bis zum Jahr 2000 nutzte die Neuköllner Stadtbibliothek den großen Saal für Veranstaltungen, jetzt steht er verschlossen und ungenutzt im Schatten der Lidl-Filiale und jenes klotzigen Monumentalbaus, der 1995 auf dem ehemaligen Grundstück der alten Happoldt´schen Brauerei errichtet wurde, und in dem heute die Deutsche Rentenversicherung sitzt. •

Das Orpheum, Postkarte

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