Kreuzberger Chronik
Februar 2008 - Ausgabe 94

Die Geschichte

Das Ursulinenkloster


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von Werner von Westhafen

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Ebenfalls in der Lindenstraße befand sich das Ursulinenkloster. Es stand an jener Stelle, an der heute die Rudi-Dutschke-Straße auf die Lindenstraße trifft, um anschließend als Oranienstraße ins Herz der einstigen Luisenstadt zu führen. An ein Kloster erinnert an der Kreuzung im Schatten des Springermonolithen nichts mehr. Mit blauer Farbe haben Mieter die Hausnummer 39 auf den mausgrauen 50er-Jahre-Putz geschrieben, damit der Briefträger nicht wieder an dem unscheinbaren Gebäude vorübergeht. Nur im Hinterhof lassen einige große Bogenfenster vermuten, daß hier einmal etwas anderes stand als eine der vielen Mietskasernen für die Arbeiter des industriellen Aufschwungs.

Anfang des 18. Jahrhunderts aber war die Gegend zwischen dem Halleschen Tor und der Luisenstadt noch eine Gartenlandschaft mit Landhäusern wie auf dem Anwesen des Staatsministers von Meinders. Das erste Gebäude in jenen großen Gärten, an dessen Stelle jetzt der Springerkonzern residiert, war das »Bremsche Haus«. Ein gewisser Hauptmann von Taubenheim ahnte ein gutes Geschäft und erwarb es zusammen mit einigen Hektar neu deklarierten Baulandes. In den folgenden 150 Jahren erlebte das einstige Gartenhaus viele Metamorphosen. »Glaubte man, mit dem Bauen fertig zu sein, drängte es schon wieder«, heißt es in einer Festschrift des Ursulinenklosters Berlin.

Als erster Bauherr läßt von Taubenheim im Jahr 1765 Stallungen, Remisen und eine Kutscherwohnung anbauen, 1821 fügt der Lederlackierfabrikant Johann Baptist Dotti einen weiteren Stall und eine Waschküche hinzu. 1840 setzt ein Zimmermeister dem Vorderhaus ein weiteres Stockwerk auf und erneuert die Fassade, bis das Haus 1855 an die St.-Hedwigs-Gemeinde verkauft wird, die an der Stelle des rechten Seitenflügels eine Kapelle errichtet, den linken Flügel abreißt und anschließend vierstöckig wieder aufbaut.

Im Vorderhaus der nun mit der Nummer 39 postalisch verzeichneten Lindenstraße richtet die Gemeinde 13 Klassenzimmer, Verwaltungsräume und eine Küche ein. 1911 werden auch die letzten Relikte der Vorgärten zur Luisenstadt bebaut: Im rückwärtigen Teil entsteht ein Gebäude mit Speisesaal, Turnsaal und weiteren Klassen-und Lehrerzimmern für die »Höhere Töchterschule«. Eine zweite Durchfahrt zum Hof wird geschaffen, und das Vorderhaus erhält zusätzlichen einen zweiten Eingang. Die Studienanstalt der Ursulinen ist eines der repräsentativsten Gebäude der Straße geworden.

Heute
Damit hatte Mutter Ursula Herrmann vom Ursulinenkloster in Breslau, idyllisch am Ufer der Oder und gegenüber der Dominsel gelegen, nicht gerechnet. Sie hatte sich vehement gesträubt, im anerkannten »Sündenbabel« von Berlin eine Filiale zu eröffnen. Doch die Gottespflicht ließ ihr keine Wahl, denn noch immer gab es in Berlin keine Schulen für Mädchen. Die wenigen im katholischen Knabeninstitut eingerichteten Mädchenklassen reichten nicht aus. Deshalb konnte die Oberin das Gesuch aus Berlin, einige Nonnen aus dem Ursulinenkloster von Breslau in den preußischen Sündenpfuhl zu schicken, nicht ablehnen. Zumal die Polizeibehörde lediglich zur Auflage gemacht hatte, daß die »zu berufenden Jungfrauen preußische Unterthanen sind«.

Also sandte Mutter Oberin am 29. April 1854 schweren Herzens vier ihrer Schwestern nach Berlin, um in einer provisorisch eingerichteten Schule in der Jägerstraße zu unterrichten. Der Andrang war groß, die Klassenräume überfüllt. Waisen und Pensionärinnen wurden aufgenommen, denen die guten Schwestern ihre Zimmer abtraten, um selbst im Klassenzimmer zu nächtigen. »Tagsüber stellten sie ihre Betten über das der Oberin, die in einem engen Kabinett übernachtete.« Es galt das Motto: »Je mühseliger das fromme Unternehmen beginnt, desto sicherer wird Gottes Segen es begleiten«.

Ein Jahr später endlich zogen die Schwestern in ihr neues Domizil in der Lindenstraße und eröffneten ein Pensionat, eine Mädchenschule und ein Waisenheim. Zwei Jahre nach der Eröffnung durfte sich das Ursulinenkloster – vom Papst persönlich abgesegnet – mit dem Namen »Kloster der Unbefleckten Empfängnis Mariä« schmücken. Wieder zwei Jahre später erfolgte die Grundsteinlegung der Kirche. Sie entstand fast ausschließlich aus den Mitteln der »milden Gaben« und war eine der ersten katholischen Kirchen überhaupt in einem von Protestanten dominierten Berlin. Doch das Ursulinenkloster und seine Schulen erfreuten sich bald allgemeiner Beliebtheit und Anerkennung, sogar die Kaiserin empfing die gütigen Schwestern im Schloß. Erfolgreiche Industrielle wie Borsig spendeten die Einrichtung, und auf einem der vielen Benefizbasare erschien sogar der alte Revolutionsverräter Wrangel und »scherzte mit den gerade anwesenden Waisen der Ursulinen und beschenkte sie. Auch der König kam und kaufte für 500 Taler!«

In 23 Jahren besuchten 1.032 Schülerinnen die Töchterschule, über 800 die »Elementarschule«, und 368 Studentinnen waren auf dem Pensionat. Doch so schnell die Lehranstalt der Ursulinen Erfolge verzeichnen konnte, so schnell nahte auch ihr Ende. Die rivalisierenden Kirchen und Parteien zettelten den sogenannten »Kulturkampf« an, in dessen Folge ein »Klosteraufhebungsgesetz« verabschiedet wurde. Am 20. Juli 1875 verlangte der Berliner Polizeipräsident die Auflösung des Ursulinenklosters. Der Unterricht wurde mit sogenannten »weltlichen« Lehrkräften fortgesetzt, aber das Haus blieb Eigentum der Schwestern, so daß sie nach der Aufhebung des Gesetzes wieder in ihr altes Domizil zurückkehren konnten. Dann aber kamen die Nationalsozialisten an die Macht.

Zwar gelang es den Schwestern, die jüdischen Schülerinnen vor dem KZ zu retten und weiter zu unterrichten, doch 1937 mußte die Gemeinde ihr Haus an die Feuerwache verkaufen. Das war das Ende. Den Erwerb des Ausweichquartiers, nämlich der Dahlemer Oberförsterei, welche die schlauen Schwestern bereits angemietet hatten, verhinderte »Göring persönlich«. Daraufhin kauften die Ursulinen von einem jüdischen Besitzer ein Grundstück in Dahlem und setzten dort den Unterricht fort. 1939 wurde auch diese Schule geschlossen. Die meisten der Nonnen flüchteten aus Deutschland. Zwar kehrten nach dem Krieg einige von ihnen zurück, um ihre Arbeit wieder aufzunehmen, doch die Blütezeit der Ursulinen war vorüber.

Das relativ unzerstörte Haus in der Lindenstraße bot nach 1945 verschiedenen Firmen Unterschlupf, bis in den Sechzigerjahren die Kultur zurückkehrte und ein Künstlerhaus mit Ateliers und Ausstellungsräumen entstand. 1987 eröffnete die Galeristin Heidi Springfeld das Café Springfeld. Es existiert bis heute. An das Ende der Geschichte der Berliner Ursulinen erinnert nur mehr der Name des Kulturzentrums im ehemaligen Nebengebäude des Klosters. Es ist die »Alte Feuerwache«.

Werner von Westhafen

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