Kreuzberger Chronik
Dez. 2008/Jan. 2009 - Ausgabe 103

Reportagen, Gespräche, Interviews

Das Viktoriaquartier, Teil 7


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von Michael Unfried

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>Das ViktoriaQuartier -7.Teil

Die Schultheiss-Brauerei wurde unter Denkmalschutz gestellt, damit auch die Nachwelt einen Blick auf die Architektur der Gründerzeit werfen kann. Nun verschwinden die Altbauten hinter fünfstöckigen Neubauten.



»FINE KREUZBERG Living« nennt sich eine Broschüre, die im Frühjahr an einigen ausgewählten Orten Kreuzbergs kostenlos auslag. Es handelt sich um eine gut aussehende Drucksache, die mit einem Titelbild vom grünen Kreuzberg und Blick auf die Stadt den Anschein eines Magazins vermittelt und mit großformatigen Fotografien vom Viktoriapark das sommerliche Kreuzberger Lebensgefühl wiedergibt.

Auch im Innenteil ist die Broschüre freundlich. Auf 36 Seiten schwärmen die Autoren von den Schülerläden in Kreuzberg, von der Bergmannstraße, »in der man endlos stöbern kann«, vom Karneval der Kulturen, dem »Leben in einer Oase« und »Entspannung pur«. Sogar von einem »Viktualienmarkt« mit Dach ist die Rede, eröffnete doch »eine der schönsten Markthallen wieder ihre Tore für die Kundschaft: Die Marheinekehalle an der Bergmannstraße lockt nach langem Umbau ihre Gäste.« Anschließend wird ein wenig aus der Geschichte berichtet, von den Berliner Markthallen, von Conrad Zuse, dem Erfinder des Computers, und natürlich auch ein bisschen von der alten Schultheißbrauerei – mit so schönen Schwarzweiß-Fotografien, dass selbst die Baywobau ein schlechtes Gewissen bekommen müsste.

Aber der Herausgeber des Heftes ist die »Neue Viktoria Quartier GmbH«, und die »Grüne Lage« ist der rote Faden, der sich durch die Werbebroschüre zieht. Auf den Bildern vom behaglichen Wohnquartier mangelt es an Bäumen, Wiesen und Gärten nicht. Das Leben »an den Hängen des Kreuzbergs« muss traumhaft sein. »Wohnen im Grünen oder in der Innenstadt? Eigener Garten oder Dachterrasse? Loft im Gründerzeit-Fabrikgebäude oder eine Parkwohnung in zeitgemäßer Architektur? Vor dieser Entscheidung steht jeder, der in Berlin eine Wohnung sucht. Nicht jedoch im Brauhofgarten des Viktoria Quartiers. Hier gibt es statt Entweder-Oder einfach beides.« So die Broschüre. Also: »Nehmen Sie beides!«

Was gemeint ist, verdeutlicht ein Entwurf des neuen Brauhofgartens auf der Rückseite der Broschüre. Es handelt sich um eine Wohnsiedlung mit 11 zum Teil fünfstöckigen Gebäuden und insgesamt 127 Wohneinheiten, bestehend aus einem massiven, burgartig angelegten Gebäudering. Offenbar mitten im Grünen. »Vor den Toren des Viktoria Quartiers erwartet den künftigen Bewohner der große Viktoriapark mit seinen Freizeitmöglichkeiten.« Eine direkte Verbindung zu den Freizeitmöglichkeiten allerdings ist auf den Illustrationen nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Das Gelände ist durch eine hohe Mauer vom Park abgeschirmt und erinnert kritische Gemüter an den Sicherheitstrakt eines Gefängnisses. Die einzige Tür, die durch den so genannten Weinberg zum Denkmal im Park führt, ist stets verschlossen.

Foto: Dieter Peters
Eingang zum Viktoriaquartier, links daneben das Poster mit Blick in einen Park.











Ob es allein der Denkmalschutz war, der die Mauern hat stehen lassen, oder ob es das steigende Bedürfnis nach Sicherheit in einem immer unsicherer werdenden Umfeld war, macht die Broschüre nicht deutlich. Sie lobt stattdessen die willkommene Synthese aus Alt und Neu und schreibt nicht ohne Raffinesse: »Auf den Fundamenten und Sockeln der historischen Schultheiss-Brauerei entstehen Neubauten, die einem traditionsreichen Baukonzept folgen: Dem Weiterbauen. Schon vom 150 Jahre alten Tivoli-Gebäude über den Schmiedehof hat jede Generation ihre Architektur zum Ensemble Viktoria Quartier zugefügt«.

Niemals allerdings haben die Architekten der vergangenen 150 Jahre bei ihren baulichen Ergänzungen so sehr in das ästhetische Gesamtkonzept eingegriffen wie die gegenwärtigen Planer der Baywobau. Dicht drängen sich die neuen Gebäude auf den attraktiven Quadratmetern am Kreuzberg zusammen, längst ist der Blick auf die Altbauten verstellt. Eingezwängt zwischen den lukrativen Wohnquadern aus gelben Klinkern führen die imposanten Gründerzeitzeugen nur noch eine Schattenexistenz.

Selbst der Architekt des neuen Viertels, Stephan Höhne, spricht im abgedruckten Interview von der stattlichen »Größe der Baumasse« und der »Stadt in der Stadt«. Einer Privatstadt, denn in der Regel handelt es sich bei den »Gartenwohnungen, Loggiawohnungen, Penthäusern, Parkwohnungen und Haus-im-Haus-Lösungen« des Brauhofgartens um Eigentumswohnungen. 103 der 127 so genannten Wohneinheiten werden zum Privatbesitz. Angeblich 20% der zukünftigen Privatmeter sind bereits verkauft. Zum Durchschnittspreis von 3.000 Euro pro Quadratmeter.

Aber die Baywobau ist schließlich kein gemeinnütziger Wohnungsbauverein. Die Baywobau möchte verkaufen. Ein Blick ins Konferenzzimmer der Immobilienhändler lässt keinen Zweifel daran. Dort hängt an der Wand eine Art Schlachtplan. In der Mitte eines aufgezeichneten Kreises befindet sich der Käufer der Immobilie, umzingelt von zwei Ringen, die wiederum in mehrere Felder unterteilt sind. In diesen Feldern stehen die verschiedenen Operationen und Methoden, die dem erfolgreichen Immobilienverkäufer auf dem Weg zum Mittelpunkt des Kreises und damit zum erfolgreichen Vertragsabschluss zur Verfügung stehen. Ganz außen, quasi noch in der Vorbereitung des Angriffes, stehen Begriffe wie »Auffallen« oder »Wahrnehmen«, im inneren Zirkel solche Worte wie »positives Image aufbauen«, »persönliche Kommunikation« oder »vorab präsent sein«. Der Kunde in der Mitte des Kreises ist von schwerem psychologischen Geschütz umstellt, auf dem Spielplan der Baywobau hat er nicht die geringste Chance. •


Foto: Dieter Peters
Eine Abbildung der Illustration einer Gesamtansicht der Brauhofsiedlung wurde von der Baywobau nicht genehmigt. Am Eingang der Methfesselstraße allerdings hängt dieses Plakat.













Die Verkaufsstrategie der Bayern allerdings ist keine Ausnahme. Verkäufer, die Vertragsabschlüsse in sechsstelliger Höhe einfädeln sollen, sind Profis. Womöglich haben sie es sogar geschafft, das Tivoligebäude zu verkaufen, das mit 8.000 Quadratmetern größte Gebäude der alten Schultheiss-Brauerei. Und damit der größte Dorn im Auge der Baywobau. Jahrelang zeigte niemand Interesse an der denkmalgeschützten Ruine, und kritische Beobachter mutmaßten, dass die Baywobau auch gar keinerlei Anstrengungen unternahm, einen Investor zu finden, der den Erhalt des Baudenkmals sicherstellen könnte.

Doch noch im Jahr 2007 berichtete der Tagesspiegel plötzlich vom Einzug des Meridian Spa aus Hamburg. Auch die grüne Broschüre der Baywobau sieht im Viktoria Quartier mit seinen »anspruchsvollen Mietern« den geeigneten Standort für »Fitness und Entspannung der Extraklasse«. Abgebildet ist das blau strahlende Hamburger Schwimmbecken des Konzerns mit schönen Badenixen vor romantisch angeleuchteten Säulengängen, geschrieben wird von Fitnesslofts, Whirlpools, Geräte-und Ruhebereichen und einer Vielzahl von Saunen. Doch selbst, wenn man tatsächlich ein »Schwimmbad mit organischen Formen« und 150 Gymnastiksäle mit verschiedensten Angeboten planen sollte, wie das ein Manager ankündigte, scheint das Tivoligebäude eigentlich noch immer eine Nummer zu groß.

Doch Zweifel an dem Bauvorhaben blieben aus. Sogar kritische PDS-Mitglieder des Stadtentwicklungsausschusses hatten keine Bedenken, und der Tagesspiegel erwartete die Baugenehmigung für das Wellnesscenter für den Anfang dieses Jahres. Schon im Herbst 2009 sollte das Luxuserholungscenter vom Kreuzberg eröffnet werden.

Tatsächlich teilte eine Sprecherin des Senats am 6. November mit, dass dem Hamburger Unternehmen bereits eine Baugenehmigung erteilt worden sei. Ob es sich dabei um den Umbau des Tivoligebäudes handelt, wollte die Sprecherin allerdings nicht bestätigen und verwies auf Meridian Spa. Auch dort bestätigte man, dass »der Verlauf der Gespräche mit dem Bezirksamt in Zusammenhang mit der Baugenehmigung sehr positiv« gewesen sei. Die Baugenehmigung sei bereits erteilt. »Wir möchten im Frühjahr 2009 mit dem Bau beginnen und rechnen mit einer Bauzeit von 12–14 Monaten.«

Gebaut aber wird vorerst nur an den »127 Wohneinheiten«. Sie überragen bereits die meisten der historischen Backsteingebäude. Am Tivoligebäude herrscht noch Stille. Vor dem Haupteingang hat man einen Basketballkorb für die Kinder aufgestellt und im Boden verschraubt. Der Mann mit dem gelben Helm, der Baumüll zusammenklaubt, hebt die Schultern. »Von einem Baubeginn hab ich noch nichts gehört!« •

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