Kreuzberger Chronik
Juli 2006 - Ausgabe 79

Die Literatur

Das Kopfballmonster


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Autor unbekannt

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Eine der Lichtgestalten des Fußballs um die Jahrhundertwende hieß Georg Demmler. Auf allen Ebenen des Fußballs aktiv, entwickelte er sich zu einem der ersten Grandseigneurs des Sports mit dem runden Leder in Deutschland. Geboren wurde das Multitalent am 13. März 1873 in dem Haus der sechs Jahre zuvor gegründeten Papierverarbeitung »Demmler«. Der Familienbetrieb beanspruchte in der gerade neu hochgezogenen Tempelhofer Vorstadt an der südlichen Berliner Stadtgrenze ein ganzes Gebäude in der Zossener Straße 31. Im Vorderhaus residierte Gustav Demmler, Patriarch der Unternehmung und Georgs Vater. In den Hinterhöfen und eher dunklen Wohnungen lebten die Arbeiter, die in der auf dem gleichen Gelände produzierenden Fabrik tätig waren.

Georg Demmler, genannt »Hutti«, packte regelmäßig die Fußballstiefel ein und schlenderte auf das nah gelegene Tempelhofer Feld, wo seine Mannschaft, die sich »Germania« nannte, vor jedem Spiel hoffte, daß das gefürchtete »Kopfballmonster« rechtzeitig zu ihnen stieß. Die Germanen konnten sich glücklich schätzen, diesen bei seinem Beitritt achtzehnjährigen Wunderknaben in den Verein aufgenommen zu haben. Die Vereinssatzung besagte, daß kein Spieler unter achtzehn Jahren Vereinsmitglied sein dürfe. Dieser Paragraph der Vereinssatzung wurde anscheinend genau interpretiert, denn Demmler war schon lange vorher als Spieler aktiv, jedoch blieb ihm bis zu seinem achtzehnten Geburtstag die Mitgliedschaft versagt. Der junge Spieler wurde in ein Team integriert, in dem die Mitgliedschaft gemäß Paragraph 9 der Vereinssatzung das »vertrauliche Du« benutzte. Im Kaiserreich eine durchaus bemerkenswerte Tatsache.

Demmler war von imposanter Gestalt. Fast zwei Meter groß überragte der Hühne Hutti seine Mitgermanen um einiges. Entsprechend selbstbewußt präsentierte er sich auf den Mannschaftsfotos des Fußballclubs. Seine übliche Haltung war die des Feldherren mit einem in die Ferne schweifenden Blick, akkuratem Schnauzer, in die Hüften gestemmter Hand und einer Brust, die unter dem Gewicht der im Fußball erworbenen Auszeichnungen keuchen mußte. Wie wichtig der Vorzeigeathlet für die Mannschaft war, zeigte sich spätestens, als der Verein 1894 als erster auswärtiger Klub zu einem Gastspiel bei »Lipsia Leipzig« antrat: »Die Berliner hatten damals eine starke Mannschaft und erregten besonders durch ihr Spiel von Mann zu Mann, sowie durch die hier noch nie gesehenen wunderbaren Kopfstöße eines fast 2 Meter langen Mittelstürmers Demmler berechtigte Bewunderung.« (...)

Allerdings machte sich Demmler einen bleibenden Namen, indem er 1896 die deutsche Leichtathletikmannschaft zu den ersten Olympischen Spielen nach Athen führte, und zwei Jahre später die »Deutsche Sportbehörde für Leichtathletik« gründete. Als Vorsitzender prägte Demmler die Arbeit der Behörde zehn Jahre lang. Dieser Zusammenschluß der Leichtathleten trug erheblich dazu bei, den Sport in Deutschland zu etablieren.

Der Ruf der FußballGermanen drang sogar bis über den großen Teich. Am 29. September 1905 erhielt der »BFC Germania 1888« vom amerikanischen Fußballverband eine briefliche Einladung. Die Mannschaft, die zu dieser Zeit als eine der spielstärksten in Deutschland galt, sollte zu einer Gastspielreise in den USA antreten. (...) Man versprach jedem Spieler 1000 Mark nebst Erstattung der Reisekosten und Hotelrechnungen. Georg Demmler in seiner Eigenschaft als Vorsitzender lehnte jedoch entschieden ab: »Nein, danke. Wir sind und bleiben Amateure.«



Entnommen aus »Fußlümmelei- Als Fußball noch ein Spiel war«, Michael Broschkowski und Thomas Schneider, erschienen bei Transit, 2005, 14,80 ¤


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