Kreuzberger Chronik
September 2005 - Ausgabe 70

Der Kommentar

Das Licht und die Zahlen


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von Hans W. Korfmann

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Am 20. September 1826 erglänzte Berlins prächtigster Boulevard Unter den Linden erstmals im Licht der Gaslaternen. Auch die Berliner strahlten. 40.000 solcher Laternen brennen noch heute in der Hauptstadt, von insgesamt 80.000 in ganz Europa. Berlin ist der größte Gaslaternenbesitzer Europas. Doch während in der Altstadt von Lübeck, die als Weltkulturerbe ausgezeichnet wurde, die historischen Gaslaternen gerade wieder installiert wurden, wird in zwei Jahren das letzte Berliner Gaslicht ausgeblasen werden.

Der Grund sind  wie immer  die Kosten. 8 Millionen Euro möchte Berlin durch die Umstellung auf Strom sparen. Joachim Zeller, der christdemokratische Bezirksbürgermeister von Mitte und der Verantwortliche für das Licht in der Stadt, ist ein Mensch, der in Zahlen denkt. Er hält die Gaslampen ganz einfach für überteuerte Auslaufmodelle, keine Stadt in Europa könne sich solch einen Luxus noch leisten. Das verschuldete Berlin erst recht nicht.

Zudem würden ja der Stadt allmählich die Glühstrümpfe ausgehen. Bislang hatte die Firma Auer in Berlin produziert, aber im September vergangenen Jahres hat das Unternehmen seine Anlagen plötzlich nach Indien verkauft. Möglicherweise ahnte das Unternehmen, oder wußte sogar, was kommt. Schließlich sollte den Laternen schon einmal das Gas abgedreht werden. Doch da gingen die geschichtsbewußten Berliner auf die Barrikaden. Sie wollten ihre alten Laternen behalten, dieses Licht, das so spannend in Schwarzweißfilmen flackert, das so mild und weich und so ganz anders ist als das blasse Blaulicht moderner Zeiten. Die Inder jedenfalls wußten vom baldigen Erlöschen der 40.000 Gaslaternen Berlins wahrscheinlich nichts. Und jetzt hat man ihnen die Einfuhrgenehmigung verweigert  unbegründet. Das riecht ein bißchen nach unglobaler Verschwörung und vielleicht fiesen Geschäften.

Wie wird es nun aber aussehen, wenn am Chamissoplatz kein Gas mehr brennt, sondern elektrisches Licht glimmt? Wenn in den lauen Sommernächten die Verliebten auf den Parkbänken noch draußen sitzen und einander tief in die Augen schauen möchten, der Mond aber nicht scheint. Zwar sollen die romantischen gußeisernen Laternen alle erhalten oder zumindest durch »täuschend ähnliche« Imitate ersetzt werden, doch das ist nur die Fassade. Entscheidend ist doch das Innenleben, ihre Seele sozusagen, das Licht, das sie verteilen.

Doch nicht einmal die Grünen im Rathaus Mitte lassen der Nostalgie eine Chance. Die Stadtbaurätin Dorothee Dubrau verweist auf die Entlastung der Umwelt. »Der Ausstoß von Kohlendioxid wird um 76 Prozent reduziert.« Außerdem kommen die neuen Laternen mit 28 bis 95 Watt aus, während die alten bis zu 2.394 Watt benötigen. Auch sie nennt als wichtigstes Argument die hohen Betriebskosten der Lampen. 32.000 Euro zahle der Senat jährlich für Betrieb und Wartung. Weshalb der Senat tat, was er jetzt immer tut, wenn er nicht mehr weiterweiß: Er verkaufte. Er privatisierte. Bislang waren Gasag und Bewag für das Licht in der Stadt zuständig. Jetzt wacht ein Privatunternehmen, die Stadtlicht GmbH, über Licht und Dunkel in Berlin. Ein bislang einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik. Doch seitens des Senats rechnete man sich eine Ersparnis von über 30 % aus. Das war ausschlaggebend.

Es zählen eben heutzutage nur noch nackte Zahlen. Politische Entscheidungen basieren auf Statistiken und Umfragewerten. Für Romantiker ist im verarmten Berlin kein Platz mehr. Es wird spürbar härter werden. Das Licht und das Leben. Auch auf diesen kleinen, liebenswerten Inseln, wie der Chamissoplatz eine ist.


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