Kreuzberger Chronik
Mai 2005 - Ausgabe 67

Die Geschichte

Von Hobo zu zitty


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von Horst Herrmann

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Am Anfang war die Kreuzberger Nachtlaterne. Sie sollte den Schlaflosen, den Stadtstreichern und den Kneipenbummlern den Weg in die Szene weisen. Sie verstand sich als Orientierungshilfe, hatte keine revolutionären journalistischen Ansprüche, auch wenn sie sich politisch stets korrekt verhielt. Das war lebensnotwendig in einer Zeit, in der jeder, der sich nicht öffentlich als Linksaußen positionierte, sofort in den Verdacht geriet, ein Dissident zu sein.

Die Kreuzberger Nachtlaterne aber war noch eine gemütliche Angelegenheit, viel Licht brachte sie nicht in die noch dunklen Kreuzberger Nächte. Dennoch strebte das Blättchen mit traumwandlerischer Sicherheit in die richtige Richtung. Auch wenn es sich nicht um einen professionellen Verleger, sondern um ein junges Pärchen handelte, das abends in der trauten 3-Zimmer-Wohnung in der Monumentenstraße Nummer 7 das Din-A5-große Blättchen zusammenklebte, zeichnete sich doch schon damals deutlich der Schwerpunkt ab, der tip und zitty bis heute carakterisiert und ihre Finanzierung sichert: Es ging um Informationen zur Stadt, in der man lebte, zur sich rasantentwickelnden, ständig verändernden Szene.

Die Kreuzberger Nachtlaterne war kostenlos, Per-Jörg und Freundin Chris verteilten sie abends in den Kneipen. Finanziert wurde das Druckwerk von den wenigen Werbekunden und den Trinkgeldern. Etwa gleichzeitig erschien jedoch, ebenfalls im sowohl modischen als auch praktischen Din-A5-Format, der erste tip. Etwas feiner schon damals, etwas ordentlicher und bereits 50 Pfennige wert, schien das Infoheft mehr vorzuhaben als die Verleger aus der Monumentenstraße  auch wenn es im Prinzip das Gleiche war: ein Konglomerat aus Kneipentips, Konzertankündigungen, ein bißchen Theater und, das wichtigste überhaupt, Kleinanzeigen.

Denn zur gleichen Zeit wie Per-Jörg Meschkat war nämlich auch Claus Stemmler in London gewesen und auf das Stadtmagazin Time Out gestoßen. Er hatte denselben Gedanken wie Meschkat: Genau so etwas fehlte noch in Berlin! Also machten sich beide unabhängig voneinander daran, ein Berliner Stadtmagazin zu kreieren. Noch heute, 33 Jahre später, beobachten sich die beiden Konkurrenten mit Argusaugen. Dritte, wie etwa Prinz, Inside oder Der Berliner, hatten neben ihnen keine Chance. Die beiden teilten die Stadt unter sich auf, sie erschienen alle zwei Wochen, alternierend, immer dann, wenn die andere gerade nicht erschien. Sie gehen einander, so gut es geht, aus dem Weg. Bis heute.

So hielt es schon das »Berliner Wochenmagazin« Hobo. Hobo war die sofort nach dem Erscheinen des tip aufgerüstete Version der Nachtlaterne aus der Monumentenstraße. Schon bald hatten die beiden Konkurrenten sich auf ein ansehnliches Din-A4-Format hochgeschaukelt, die Auflagen stiegen, der tip bezog Redaktionsräume in der Potsdamer Straße, Hobo in der Friedrichstraße. Das Geschäft mit den Anzeigen florierte. »Wir nehmen Kleinanzeigen telefonisch nicht mehr entgegen«, hieß es schon im dritten Jahrgang des Berliner Stadtmagazins, »Bitte Text und 5-DM-Schein an Hobo, 1/61 Berlin, Friedrichstraße Nr. 210 schicken«. Auch die Anzeigenseiten füllten sich allmählich, vor allem die angesagten Lokale und solche, die es werden wollten, fehlten in keiner Ausgabe. Leierkasten, Quasimodo, Eierschale, Terzo Mondo, Delirium und Stiege warben mit Musik oder Pizza, mit günstigen Bierpreisen oder billigen Schmalzbroten. Was eben damals gerade in Mode war.

Unter den Kleinanzeigen nahmen auch die Kontaktanzeigen allmählich immer mehr Raum ein. 1975, als Hobo bereits mit einem farbigen Umschlag daherkam, waren die persönlichen Bewerbungen immerhin schon eine komplette Seite stark. Allerdings klangen die Angebote noch sehr nach Oswald Kolle, dem Aufklärer der Nation: »Welches Mädchen hilft mir, meine Sexualerfahrungen zu vertiefen?« oder »Junger Mann sucht junges Mädchen, das ihm seine Hemmungen vor Mädchen nimmt.« oder »Was wollte ich eigentlich? Ach ja! Suche weibliches Wesen um 25 ...« - Verglichen mit den sexuellen Offerten der Neuzeit hören sich die Kontaktaufnahmen im Hobo noch reichlich pubertär an, doch die Weichen waren gestellt, und die Kontaktanzeigen in den beiden Stadtmagazinen füllen heute mehrere Seiten.

Die Zahl der Mitarbeiter jedenfalls wuchs so rasant wie die Verkaufszahlen, und Per-Jörg Meschkat zog, vom Erfolg betört, mit der gesamten Redaktion des Hobo an den Kudamm und brachte ein zweites Magazin namens Action heraus. Meschkat wurde zum Unternehmer. Als er die Stechuhr einführte und die Mitarbeiter immer länger auf ihre Löhne warten ließ, kam es zum Streik. Meschkat entließ die komplette Mannschaft. Die aber setzte sich jetzt zusammen und entwarf ein eigenes Heft: die zitty. »Als Meschkat davon hörte, brachte er über Nacht, kurz vor dem Erscheinen unserer zitty, ein gleichnamiges Magazin heraus, auf der Titelseite eine Barbusige und im Innenteil rechts-konservatives Kau-

Die zitty-Mannschaft, 1983
Foto: Privat
zu einem Magazin namens zitty nachts um drei in einer Kneipe gekommen sei, doch die Aussage brachte dem Zeugen nach der Verhandlung ein blaues Auge und Meschkat, Hobo und Action einige Wochen später das endgültige Aus. Die zitty dagegen erschien, herausgegeben von 13 Gesellschaftern, als das »Blatt ohne Verleger«.

Allerdings konnten die Zeitungsmacher von den ersten 30.000 gedruckten Exemplaren nur knapp 5.000 verkaufen. Der Start war mühsam, und hätte nicht einer der zitty-Mitarbeiter einen Job bei einer Berliner Bank gefunden und den Zeitungsmachern einen Kredit vermittelt, wäre das Magazin wohl nach wenigen Nummern am Ende gewesen. Zwei Jahre dauerte es, bis es endlich bergauf ging und die Redaktion ihren ersten Lohn erwirtschaftet hatte.

Es hatte begonnen wie im Film, mit dem Entschluß in der Kneipe, der Suche nach dem Büro. Sie »saßen auf dem Fußboden, tranken aus mitgebrachten Dosen und Flaschen, rauchten wie verrückt, quatschten alle durcheinander, und draußen wurde es dunkel«, schrieb Wolfgang Spielhagen zehn Jahre nach der Gründung. Es war so schön wie im Film. Aber schon bald hatte die Realität sie eingeholt, und 1999, als das Stadtmagazin mit dem Tagesspiegel fusionierte, waren von den ehemaligen Hobo-Mitarbeitern und späteren 13 zitty-Gesellschaftern nur noch fünf übrig. Vier von ihnen gingen sofort. Der einzige, der noch blieb, »um ein bißchen was von der Grundidee und die Arbeitsplätze einiger Kollegen zu retten«, war Wolfgang Rügner. Jener Mann, der so viele Titelseiten eines Magazins gestaltet hatte, das heute aus der Stadtlandschaft nicht mehr wegzudenken ist, und der schon damals für Hobo die »Berliner Verallgemeinerte« gemacht hatte: das Einzige, das bis heute geblieben ist aus der Zeit der ersten Anfänge.


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