Kreuzberger Chronik
März 2004 - Ausgabe 55

Die Geschäfte

Das Geschäft mit den guten Düften


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von Friedrich Schlegel

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Herr Nabibugatekin hatte eine Idee.
Also fuhr er nach Istanbul, wo sein Schwager zwei solcher kleinen Röstereien hatte, und sah sich die Sache einmal genauer an. Er blieb insgesamt acht Monate, um die Geheimnisse und Besonderheiten der verschiedenen Körner und Nüsse kennenzulernen. Denn mit dem Rösten ist es ähnlich wie mit dem Kochen: für alles gibt es ein Rezept. Auch wenn es nur zwei Zutaten sind, die der Röster im richtigen Verhältnis mischen muß: das Salz und das Feuer. Doch schon ein wenig zuviel vom einen oder anderen macht die Arbeit zunichte. »Das ist nicht so leicht, wie es aussieht!«, sagt Herr Nabibugatekin, der schon eine ganze Weile erzählt hat und die Tür des Röstofens öffnet: »Oh, verdammt, jetzt sind mir fast die Kichererbsen verbrannt! Drei Sekunden, höchstens fünf, dann wären sie schwarz geworden. Die Kichererbsen sind besonders empfindlich.«

Herr Nabibugatekin ist der Chef des Çarik Kuruyemis, einer Rösterei am Kottbusser Damm, die im Sommer vergangenen Jahres eröffnet wurde. Seitdem lockt der warme Geruch frisch gerösteter Erdnüsse, Pistazien oder Sonnenblumenkerne schon von weitem die Kundschaft in den Laden. Bis unter die Decke stehen in den hölzernen Fächern und Regalen Säcke mit Mandeln und Nüssen und Kaffeebohnen, und in über sechzig anderen gläsernen Vitrinen findet sich so ziemlich alles, was sich auf dieser Erde rösten oder knabbern läßt: Pinienkerne, Kürbiskerne, Sonnenblumenkerne, Aprikosenkerne, Mandeln, Pistazien, Cashewnüsse, Haselnüsse, Walnüsse, Affenbrot, Mais, Kichererbsen … – und Erdnüsse natürlich. Erdnüsse in allen möglichen Variationen: Erdnüsse gesalzen und ungesalzen, Erdnüsse in der Schale geröstet oder ohne Schale geröstet, einfach und doppelt geröstet, in einen flaumigen Mantel gepackt oder mit Sesam gewürzt. Erdnüsse sind Gold wert. Denn Erdnüsse machen süchtig. Sogar dann noch, wenn sie in luft- und duftdichte Plastikfolien geschweißt werden und in blauen Pappschächtelchen als Knabberspaß auf den Partytischen stehen, wo sie noch immer jede Frau ihre Figur und ihren Mann und sogar den Liebhaber vergessen läßt – bis die Schachtel endlich restlos leer ist.

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Foto: Michael Hughes
Bei Herrn Nabibugatekin gehen die Erdnüsse niemals aus. Von morgens bis abends füllt die Verkäuferin hinter der Theke das duftende Knabberzeug in kleine oder mittelgroße oder ganz große Papiertüten. Während Herr Nabibugatekin den ganzen Tag an den beiden kleinen Öfen steht, deren Röstkammern aussehen wie die Kessel alter Dampflokomotiven, mit großen, silbernen Hebeln zum Öffnen der heißen Türen und einem kleinen, gläsernen Guckloch. Die beiden Röstmaschinen hat er direkt aus der Türkei kommen lassen. Es gäbe zwar auch hier solche Apparaturen, aber »ich habe eben auf diesen türkischen Maschinen gelernt!«Kaum war er aus der Türkei zurück, hat er den Laden eingerichtet. Nicht wie in den orientalischen Märchen aus 1001 Nacht, nicht wie im finsteren Istanbul des Mittelalters, sondern modern, mit großer Glasfront und viel Geschick. Er hat seine Nüsse und Samen in die hellhölzernen, gut beleuchteten Regale geräumt, als handele es sich um Einzelstücke von Karl Lagerfeld. Und er hat, weil zu türkischen Nüssen immer auch türkische Süßigkeiten gehören, eine ganze Wand voller Bonbons, sortiert nach den Farben des Bonbonpapiers, ganze Fächer voller dunkelroter, helloranger, blauer, grüner, violettfarbener und natürlich auch goldener und silberner Bonbons. Allesamt aus der Türkei importiert. Überhaupt: »Hier ist alles türkisch, von A-Z!« Die Werbung im türkischen Radio, die Kaugummis in der Naschecke für die Kleinen, sogar die Tüten mit Haribo tragen türkische Schriftzeichen, und auch die bunt verpackten Schokoladeneier mit den kleinen Spielsachen heißen nicht Überraschungsei, sondern Ülker Toto. Und die kleinen Jakobsmuscheln aus Plastik, gefüllt mit süßem Honig, die beim deutschen Nachwuchs vor etwa dreißig Jahren in Mode waren und in keinem erfolgreichen Lutschersortiment fehlten, scheinen unter den kleinen Türken noch immer der letzte Schrei zu sein.

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Foto: Michael Hughes
Am wenigsten abendländisch aber sind vielleicht die farbenfrohen Produkte türkischer Zuckerbäckerei in der langgestreckten Vitrine: das altehrwürdige Baklava, die türkischen Honigschnitten mit Pistazien und Walnüssen und Mandeln, mit Erdbeer- oder Zitronengeschmack, mit Sesam oder Kokosraspeln bestreut. Die grünen, gelben, roten Vierecke türkischen Konfekts, oder diese kunstfertig zu Zöpfen verflochtenen Schlangen aus eingekochtem Traubensaft, Maulbeersaft oder Karottensaft. Kunstvoll auf silbernen Tabletts drapiert, dekoriert von unsterblichen Plastikblümchen und immergrünen Weinblättern, vermischt sich am Kottbusser Damm Altes und Neues. Uralte Rezepte sind auf ihrem Weg über den Bosporus auf das 21. Jahrhundert gestoßen.

Deshalb ist der Laden am Kottbusser Damm eine Institution. Es ist, als gäbe es ihn schon lange. Bekannte kommen vorbei, bleiben kurz stehen, wechseln einige Worte, scherzen und schimpfen, und Herr Nabibugatekin reicht ihnen eine Hand voll warmer Kichererbsen. Es sieht aus, als spreche man gerne mit dem Kaffee- oder Kerneröster – nicht nur der Nüsse wegen. Der Mann mit dem schwierigen Namen, dieser Mann, der schon in so vielen Büchern vergeblich nach der Herkunft dieses langen Namens gesucht hat, hat eine positive Ausstrahlung. Er lächelt viel. Vielleicht, weil er sich nicht hat aufhalten lassen von all den Skeptikern. Auch von den Berliner Behörden nicht, die »für alles irgendein Papier haben wollten.« Die Ämter hatten es ja nicht leicht mit diesem Geschäft, so eine Rösterei wie diese gibt es »nicht noch einmal in ganz Deutschland! Das war ein Präzedenzfall!« Doch der Mann übersprang alle Hürden, und tatsächlich lief das Geschäft gut, vom ersten Tag an. Alle, ob Türken, Griechen, Italiener oder Deutsche, alle verfielen dem betörenden Duft frisch gerösteter Erdnüsse oder Mandeln. Deshalb kann Herr Nabibugatekin auch getrost ganze Hände voller Nüsse verteilen und lachen dabei – er weiß, er hat es geschafft. <br>

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