Kreuzberger Chronik
Juni 2004 - Ausgabe 58

Die Reportage

Kreuzberger Monopoly


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von Thomas Heubner

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Diesmal waberten keine Tränengasschwaden durch die Straßen, keine Pflastersteine mußten beiseite geräumt werden. Es gab einfach keine Schlacht am »revolutionären« 1. Mai. Und die schwarzen Tücher, die noch aus Fenstern, an Bäumen und Laternen rund um die Waldemarstraße hängen, sind keine Trauerbekundung. Vielmehr signalisieren Anwohner damit bereits seit Ostern ihren Protest gegen die Privatisierungswelle, die derzeit über das einstige Sanierungsgebiet SO36 schwappt. An der Häuserfront gegenüber, auf der anderen Seite der Barrikade, zeigt man ebenfalls Flagge. Die Gewerbesiedlungs-Gesellschaft GSG verkündet mit weißer Schrift auf blauem Fahnentuch: »Wir schaffen Raum!«


»Leider wissen wir nicht, ob wir das als Angebot oder Drohung zu verstehen haben«, meint Thomas Krüger von der Betroffenengemeinschaft Waldekiez. »Sicher aber ist, daß einige scharf auf unseren geilen Kiez sind und sich hier was unter die Nägel reißen wollen.« In der Tat wurden in dem Viertel hinterm Kotti von den bisherigen Sanierungsträgern bereits etwa 50 Wohnungen an Privateigentümer verkauft. Unter den neuen Besitzern sollen auch Leute sein, die beruflich oder geschäftlich mit der Bewoge zu tun hatten. Manche munkeln von sechs Prozent Provision, die eine Wohnungsbaugesellschaft beim Verkauf an Dritte einstreicht. Viele der Mieter haben nun Angst, daß ihre Mieten rasant in die Höhe schießen oder daß sie durch besser betuchte Neuansiedler verdrängt werden.

Zeitgleich ein ähnliches Szenario im Chamissokiez im alten SW 61. Die GEWOBAG, der hier die Hälfte der Häuser gehörten, nimmt den Privatisierungsauftrag des Senats ernst. »Platz da! Modern wohnen im Bergmannkiez« frohlockt ein Makler im Internet. Derweil gärt die Wut hinter den schick sanierten Fassaden in der Friesen- oder Fidicinstraße.

Heinz Kleemann, alteingesessener Kiezbewohner und Aktivist im Mieterrat, ist sauer auf Senat und GEWOBAG. Letztere hatte sich vor zwei Jahren verpflichtet, Häuser aus dem eigenen unsanierten Bestand an interessierte Altmieter zu verkaufen. Aber nur vier Objekte wurden an Mieter und an eine Genossenschaft veräußert. Da es keinen Milieuschutz gibt, treibt zudem die Luxussanierung seltsame Blüten: Außenaufzüge extra für eine Dachgeschoßwohnung, neue Balkone an Nordfassaden der Häuser, Videokameras, damit die neuen Bewohner in ihrer Kuschelecke Big Brother spielen können. In der Willibald-Alexis-Straße wurde eine 4-Zimmer-Eigentumswohnung für eine halbe Million Euro verkauft – ein mehrstöckiges Fertighaus mit 120 Quadratmetern dagegen kostet nur 150.00 Euro. »Seit der Umwandlungswelle Ende der 90er sind mehr Mieter aus dem Viertel weggezogen als in den ganzen Jahren der Sanierung«, stellt Kleemann nüchtern fest. »Die meisten davon nicht aus freien Stücken.«


Die Verkaufswut der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften kommt nicht aus heiterem Himmel. Seit langem haben Neoliberale auch in Deutschland neben Strom-, Wasser- und Gasversorgung den Wohnungsbau zu ihrem gewinnträchtigen Schlachtfeld erkoren. In ihrer Agitation und Propaganda verkünden sie, nur der Markt könne Wohnraum ökonomisch effizient regulieren. Sie vergöttern Eigenheim und Wohneigentum und entziehen sich selbst weitgehend jedem gesellschaftlichen und politischen Einfluß.

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Foto: Dieter Peters
Umgekehrt forderte aber z.B. die Industrie- und Handelskammer (IHK) Anfang diesen Jahres den Berliner Senat auf, sich am besten von allen städtischen Wohnungsbaugesellschaften zu trennen. Durch die subventionierten Mieten würde der Markt nur verzerrt, außerdem sei es nicht Aufgabe der öffentlichen Hand, die gesamte Bevölkerung mit staatlichem Wohnraum zu versorgen.

Für Immobilienmakler ist der Schlußverkauf in Kreuzberg besonders trendy, weil sich der Bezirk seit nunmehr 15 Jahren nicht mehr im Mauerschatten am Arsch der freien Welt befindet, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft zur neuen Mitte der Reichen und Einflußreichen. Nicht zuletzt sind Kieze wie in SO36 oder am Chamissoplatz attraktiv geworden, weil nach Instandbesetzung und »behutsamer Stadterneuerung« beträchtliche öffentliche Mittel in Immobilien und Infrastruktur flossen und die Bewohner ein gut funktionierendes Netz an sozialen und kulturellen Einrichtungen schufen.

Nun haben Kommune und Bürger ihre Schuldigkeit getan. Besagte Kieze sind inzwischen »aus der Sanierung entlassen«. Die Schnäppchenjagd auf dem Wohnungsmarkt kann in die Endrunde gehen.


Szenenwechsel, Otto-Suhr-Siedlung an der südlichen Oranienstraße. Hier ist die Bewoge fleißig am Verkaufen und veräußerte bereits rund 1.000 Wohnungen aus dem einst öffentlich geförderten Wohnungsbau an die apellas Property Management GmbH.

Während einer Mieterversammlung im überfüllten AWO-Café ist das Grummeln unter den Anwesenden nicht zu überhören. Ein Großteil von ihnen ist über 60 Jahre alt und wohnt seit drei oder vier Jahrzehnten in den Altneubauten aus den 60ern. Eine über 80jährige Frau, die seit 1966 hier lebt, beklagt sich darüber, daß ihre jüngste Mieterhöhung um fünf Euro nicht wie die Jahre zuvor automatisch von ihrem Konto abgebucht wurde, sondern ohne Mahnbescheid des Verwalters nun schon der dritte Klagebrief vom Amtsgericht ins Haus flatterte. Ein neuer Stil im Umgang mit alten Mietern?

Wolfgang Oehme, Geschäftsführer bei Bewoge und WBM, beteuert das Gegenteil. Er schließt sowohl Luxussanierungs als auch Kündigung wegen »Eigenbedarf« oder zum »Zweck der wirtschaftlichen Verwertung« aus. Er rühmt auch das neue Firmenkonstrukt IHZ GmbH, das seit sechs Monaten Bewoge, WBF, die WBM-Gruppe und die WBMI Real Estate AG unter einem Dach vereint. Allein letztere konnte von 1999 bis 2002 ihren Gewinn (vor Steuern) von 2,7 auf 9,8 Mio. Euro steigern. Sein Unternehmen, meint dazu Herr Oehme, sei zwar nicht pleite, »aber uns geht’s auch nicht richtig prickelnd gut«. Deshalb könne man die erforderlichen Investitionen in der Suhr-Siedlung »nicht mehr alleine stemmen« und müsse Teile des geschlossenen Immobilienbestandes verkaufen. Der Verkaufspreis einer Wohnung bleibt freilich Geschäftsgeheimnis.

Über Geld mag auch Dr. Ulrich Weber, geschäftsführender Gesellschafter von apellas, nicht reden. Der Mann im gepflegten Business-Look spricht über Wohnungsportfolios und Anlageobjekte. Er behauptet, daß sein Unternehmen kein gefräßiger Immobilienhai sei. »Niemand muß Angst haben, daß wir ihn als Mieter nicht mehr haben wollen.« Das klingt so, als sei Mutter Teresa kurzzeitig in einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug geschlüpft. »Klar, die wollen nur unser Bestes«, murmelt ein Zuhörer, »doch das bekommen sie nicht«. Ein anderer: »Denen geht’s nur ums Geld, nicht um die Leute, die hier wohnen.« Und beim Hinausgehen ruft er noch: »Wir sind das Volk!« Der apellas-Mann bleibt dem Volk gegenüber freundlich. »Niemand kann Ihnen sagen, wie die Miete in 5 oder 10 Jahren sein wird. Wir halten uns an den Mietspiegel, der allerdings steigt.«

Stefan Zackenfels, für die Kreuzberger SPD im Abgeordnetenhaus, macht bei der Zusammenkunft seinem Namen alle Ehre. Er steht wie ein zackiger Fels in der Brandung zwischen den Parteien, moderiert sachkundig, betrachtet das Management bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften durchaus kritisch und will den Glauben nicht aufgegeben, »daß die öffentliche Hand ebenso zielgerichtet, kostengünstig und freundlich sein kann wie die private«. Beschwörend hebt er seine Arme, die offenen Handflächen zum Publikum. Die Gestik erinnert an den Regierenden Bürgermeister und den Bundeskanzler. Als ob man beim selben Rhetoriktrainer gewesen wäre.


Während in der Öffentlichkeit die Unternehmensziele in Wattebällchen verpackt werden, spricht man untereinander Klartext. So beschwören Immobilien-Insider in einem Emissionsprospekt, daß die »Objekte … nach Ankauf möglichst schnell von ihrer Rentabilität verbessert … und … mit Gewinn verkauft werden« sollen. »Angestrebt ist eine Haltedauer von drei bis sieben Jahren … Beim Erwerb von Bauprojekten müssen … mindestens 70% der Flächen auf 10 Jahre an solvente Mieter vermietet sein …« Und weiter: »Objekte sollen eine Anfangsrendite von mindestens 8,70% (11,5-Fache) der Jahresnettomiete haben. Ausnahmen können dann gemacht werden, wenn aufgrund einer Analyse eine Mietsteigerung von 15% möglich ist.«

Auch für Dr. Ulrich Weber stellen »hochwertige Wohnungsbestände in guten Lagen … ein attraktives Investment dar, da die Kaufpreise mittlerweile sehr niedrig seien und angesichts rückläufiger Neubautätigkeit mit steigenden Mieten zu rechnen sei.«

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Diese Hoffnung verbindet ihn gewiß mit der amerikanischen Mutterfirma Soros Real Estate Investors CV, dank der die apellas über ein potentielles Kapital von 1 Mrd. Dollar verfügen soll. Hinter den Sanierern im Kreuzberger Kiez steht also kein Geringerer als der Globalplayer George Soros. Jener Mann, der sich mit Finanzspekulationen ein Milliardenvermögen scheffelte und dabei ganze Währungssysteme an den Rand des Abgrunds torkeln ließ.

Soros und apellas sind nicht die einzigen, die beim Run auf Berliner Wohnungsbaugesellschaften in den Startlöchern hocken. Zu den Finanzjongleuren zählen auch die milliardenschweren US-Investmentgesellschaften Lone Star Funds und Cerberus. Sie sind in ganz Deutschland auf Einkaufstour. So richtig rentabel sind für sie allerdings erst die Big Deals, etwa der anstehende Verkauf der GSW mit ihren knapp 70.000 Wohnungen für 250 bis 300 Mio. Euro. Weil es ihnen hauptsächlich um die »Verwertung die Eigenkapitalrendite« geht, werden solche Firmengebilde branchenintern Aasgeier-Fonds genannt.


Davon ist auch im Statthaus Böcklerpark die Rede, wo die Waldekiez-Leute Vertreter von Abgeordnetenhaus, Senat, Bezirksamt und Wohnungsbaugesellschaften zu einer Podiumsdiskussion eingeladen haben.
»Ich habe mir doch vor 25 Jahren nicht den Schädel einschlagen lassen, damit mir heute die Wohnung unterm Arsch weggerissen wird!«, empört sich eine junggebliebene Ex-Hausbesetzerin. Baustadtrat Schulz kann sie gut verstehen: »Wenn die Tinte unterm Kaufvertrag trocken ist, kümmern sich die neuen Besitzer nicht mehr um die alten Mieter.« Weil Spekulanten sich outen, müsse der Mieterschutz verstärkt werden.

Und wie zur Illustrierung berichten Betroffene, was sie beim Privatisierungsmonopoly erlebten: von Räumungsklagen, vom kleinen Garten in einem Hof in der Adalbertstraße, wo der Hausmeister die von den Mietern gepflanzten Bäume und Sträucher wieder herausriß. Oder von Herrn N. aus der Waldemarstraße, den der neue Hausbesitzer als »Bauleiter« eingestellt hatte. Er sieht sich als »Ohr, Auge und Faust seines Chefs« und benimmt sich auch so: leuchtete nachts mit Scheinwerfern in die Mietwohnungen, hantierte am Wochenende mit der Kreissäge, bedrohte die Mieter und randalierte, bis er von der Polizei in Handschellen abgeführt wurde. Gleichwohl verbucht der Rausschmeißer Erfolg: Mehrere Mieter sind bereits »freiwillig« ausgezogen.

Das kommt für viele andere nicht in Frage. Darum haben sich die Leidensgenossen in der Betroffenengemeinschaft Waldekiez verbündet. Für sie liegen die Kriterien, nach denen die Häuser verkauft werden, völlig im Dunklen. Sie befürchten, daß die Mietobergrenzen schleichend nach oben geschoben werden, und sind entzürnt über die Wohnungsbaugesellschaft, die den Bewohnern knapp zwei Wochen Zeit einräumt, ihr Interesse am Kauf zu bekunden, obwohl die Genossenschaftsförderung gerade erst gestrichen wurde! Und man ist sauer, weil die Berliner Obrigkeit bislang nicht die Möglichkeit nutzte, die Kündigungssperrfrist bei Eigenbedarf von drei auf zehn Jahre zu erhöhen. Deadline für eine entsprechende Rechtsverordnung ist der 31. August 2004.

Die Forderungen der Betroffenengemeinschaft sind deshalb klar: Wahrnehmung der Fürsorgepflicht der öffentlichen Hand, sofortiger Verkaufsstop und ein den neuen Verhältnissen angepaßter Milieuschutz. Damit die Sache Hand und Fuß bekommt, wollen die im Böcklerpark Versammelten eine Arbeitsgruppe aus allen Beteiligten bilden, die sich um die Mieterberatung und um eine sozialverträgliche Zukunftsgestaltung im Kiez kümmert. Noch sind beim Kreuzberger Monopoly nicht alle Messen gesungen. Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.


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