Kreuzberger Chronik
Februar 2004 - Ausgabe 54

Strassen, Häuser, Höfe

Dynasty - der Hohenzollernclan (3):
Die Adalbertstraße



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von Michaela Prinzinger

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Nachdem die beiden Brüder Adalbert und Waldemar – Vettern von Friedrich Wilhelm IV. – 1842 zusammen den Ätna bestiegen hatten, wandte sich der eine der Neuen Welt zu, während der andere eine längere Reise nach Indien unternahm.

Adalbert, der sechs Jahre Ältere, segelte mit einer Fregatte des Königs von Sardinien über Cadiz, Madeira und Teneriffa nach Rio de Janeiro. Dort machte er dem jungen Kaiser von Brasilien, Dom Pedro II., seine Aufwartung und nahm, wie es sich gehörte, an einigen Hofgesellschaften teil. Doch weit mehr als die kaiserlichen Partys imponierte ihm die Natur des Kontinents.

Schon bei seiner Ankunft im Hafen von Rio hatten ihn die Naturwunder Südamerikas überwältigt. Zum ersten Mal erlebte er die tropische Vegetation aus der Nähe. Beim Anblick der Baumriesen, Farne und bizarr verschlungenen Lianen überkam Adalbert ein »feierlicher Schauer, ein heiliges Gefühl«: »Alles hier ist colossal, – alles scheint der Urwelt anzugehören; wir selbst, mit unsern Rossen und Thieren, kommen uns außer Proportion vor und fühlen, daß wir einer ganz andern Zeit angehören.« Der ungeheure Maßstab versetzte die Reisegesellschaft in Staunen, ebenso wie die Farbenpracht des Urwalds: »Moose, die als Alongeperrücken oder Roßschweife an den Zweigen der colossalen Orchideen- und Tillandsien-Träger herabhängen, oder in Gestalt von langhaarigen Bärten den Riesen der Urwälder das Ansehen ehrwürdiger Greise geben, welche die Last eines Jahrtausends nicht zu beugen vermochte.«

Der nicht-weißen Bevölkerung des Urwaldes jedoch standen Adalbert und seine Begleiter eher zwiespältig gegenüber. Einerseits stellten sie Betrachtungen über Natur und Charakter des »Negers« an, vor allem über seine Unzuverlässigkeit und Saumseligkeit, sowie über die unwiderstehliche Anziehungskraft, die Schnapsläden auf ihn ausübten. »Doch ist auch die ganze übrige Eigenthümlichkeit des Negers der Beflügelung seiner Schritte und Handlungen eben nicht förderlich«, schlußfolgerte Adalbert. Sie seien ein »curioses« Volk: mit unverwüstlich guter Laune, redeten mit sich selbst oder lachten laut und einfältig vor sich hin.

Andererseits beschreibt der Prinz, die Gesichter der eingeborenen Indianerstämme seien »etwas kalmückisch geraten, mit hervorstehenden Backenknochen«, und hätten »einen stupiden Ausdruck«. Adalbert war enttäuscht, daß die Indianer »ihrem Naturzustande ziemlich entfremdet« schienen, da sie gegenüber den angebotenen Glasperlen Kupfermünzen und noch lieber Papiergeld den Vorzug gaben. Daher machte sich die Gesellschaft auf, eine »noch als völlig unkultivirt geschilderte Horde dieses Volks« zu besichtigen. Dort ließen sie sich ein Tanzfest nicht entgehen, wobei die Indianer erst nach Entkorken der Branntweinflasche etwas tanzfreudiger wurden. Doch die Eintönigkeit der Darbietung enttäuschte unsere Reisenden.

Erst an einem Nebenstrom des Amazonas, dem Xingu, sollte sich die Sehnsucht der zivilisierten Weißen nach den edlen Wilden des tropischen Urwalds erfüllen. Adalberts Expedition stieß auf dem Unterlauf so weit nach Süden vor wie noch kein Europäer vor ihnen.

Der Missionar Padre Torquato Antonio de Souza übernahm die Führung zu den noch »gänzlich uncivilisirten Indianerstämmen« der Jurunas, und auch zu den Fällen und Stromschnellen des Xingu, die ihm selbst noch unbekannt waren. Der preußische Prinz war vom Wesen der Eingeborenen beeindruckt: Die nackten braunen Menschen bewegten sich mit angeborenem, natürlichem und zwanglosem Anstand, erschienen ihm gutmütig und zuvorkommend, edel und voll natürlicher Grazie, freundlich und ohne die geringste Spur von Wildheit. Der Europäer konnte sich nicht enthalten auszurufen: »In diese Wildnisse sollte der bildende Künstler gehen! Bei dem Anblicke dieser mannhaften braunen Gestalten wird er unwillkürlich erinnert werden an die Bildwerke der Alterthums, an die edlen Formen aus der Zeit der Griechen und Römer; denn auch bei diesen Völkern hier, wo weder Kleidung noch Verweichlichung die freie Entwickelung der Formen und Kräfte hemmt, und ein gesunder Sinn in einem gesunden Körper wohnt, ist Alles Natur, und jede Gezwängtheit in Haltung und Bewegung den Leuten fremd.«

Bereits auf dieser Reise, die Adalbert im Alter von dreißig Jahren unternahm, interessierte ihn die Kriegführung der einfachen Völker und auch die Bemannung der brasilianischen Schiffe in besonderem Maße. Nach seiner Rückkehr erhielt er Gelegenheit, 1848 einer der Gründungsväter der ersten deutschen Marine zu werden. Seine »Denkschrift über die Bildung einer deutschen Kriegsflotte« gilt als Klassiker und nahm die Entwicklung der späteren Reichsmarine vorweg: reine Küstenverteidigung, Seestreitmacht für offensive, mit Handelsschutz verbundene Verteidigung zur See und, zu guter Letzt, eigenständige – tendenziell imperialistisch ausgerichtete – Seemacht.

Nach der Auflösung des in der Paulskirche gegründeten Parlaments und der Versteigerung der zugehörigen Marine übernahm Adalbert die Konzeption der preußischen Flotte und ab 1867 den Aufbau der Marine des Deutschen Bundes, die 1871 in die Reichsmarine übergeführt wurde. Immerhin behielt Adalbert als »Generalinspekteur der Marine« noch in seinen letzten Tagen einen starken, wenn auch nur beratenden Einfluß auf die Politik. Nicht zuletzt, weil ihm bei seinen frühen Seereisen die Bedeutung einer effektiven Kriegsflotte deutlich geworden war: Sie stand in seinen Augen sowohl für überseeische Wirtschaftsexpansion als auch für nationale Sicherheit und Geschlossenheit.

Literatur: Reise Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Adalbert von Preußen nach Brasilien. Nach dem Tagebuche Seiner Königlichen Hoheit mit Höchster Genehmigung bearbeitet und herausgegeben von H. Kletke. Berlin 1857.

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