Kreuzberger Chronik
Dez. 2004/Jan. 2005 - Ausgabe 63

Die Geschichte

Das Engelbecken im Luisenstädtischen Kanal


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von Werner von Westhafen

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Auf dem Grund des Luisenstädtischen Kanals liegen Träume aus 150 Jahren begraben.
So stieß man, als nach dem Fall der Mauer 1989 das mit Kriegsschutt gefüllte Engelbecken vor der Michaelkirche wieder ausgegraben wurde, auf das Fundament des »Indischen Brunnens« von Erwin Barth. Die Nazis hatten die Bronzestatue des meditierenden Buddha 1942 einschmelzen lassen. Heute sitzt Barths Buddha wieder an seinem Platz, originalgetreu rekonstruiert – auch wenn der Garten vor dem Engelbecken längst nicht mehr »Indischer Garten«, sondern schlicht »Rosengarten« heißt. Der »Indische Brunnen« ist eines der wenigen Relikte, die von den vielen Träumen und Visionen zeugen, die Architekten und Stadtplaner bei der Gestaltung des Engelbeckens und des Luisenstädtischen Kanals einst beflügelten.

Es ist das Jahr 1926. Die Stadt Berlin kauft das Wasserstraßenareal vom Land Preußen, für eine schon damals symbolische Mark pro Quadratmeter und plant die Zuschüttung. Der damalige Gartenbaudirektor Erwin Barth aber setzt sich zunächst verzweifelt für die Erhaltung des geschichtsträchtigen Kanals ein. Doch die künstliche Wasserstraße hat als Transportweg für den Bau der Luisenstadt ihre Schuldigkeit getan, im letzten Betriebsjahr des Kanals registriert der zuständige Beamte im Monat August noch fünf, in den folgenden Monaten nur noch drei Kähne. Lediglich die Gurkenverkäufer aus dem Spreewald nutzen das Engelbecken mit ihren Booten als schwimmenden Marktplatz, und vor Weihnachten legen ein paar böhmische »Appelkähne« im künstlichen Hafen an. Die Zuschüttung des nur träge und stinkend dahinfließenden Kanals mit seinen acht umständlichen Klappbrücken zwischen Spree und Landwehrkanal – Stararchitekt Peter Joseph Lenné hat das geringe Gefälle offensichtlich etwas unterschätzt – ist nicht mehr aufzuhalten.
Also suchte der romantische Barth nach einem Kompromiß und sann über eine Grünanlage im zugeschütteten Kanal. Er träumte von exotischen Tieren, tropischen Gärten und einem von Palmen umstandenen Teich vor der Michaelkirche, gespeist aus den warmen Abwassern einer nahegelegenen Eisfabrik, in dessen Wasserspiegel sich die Kirchenkuppel spiegeln sollte wie das Taj-Mahal. Doch wieder scheiterte Barth an der Realität: Der katholischen Kirche schien soviel unchristliche Exotik in ihrer unmittelbaren Nähe nicht angebracht. Also einigte man sich auf einen Kompromiß aus Kinderspielplatz, Schwimmbad und einem indischen Garten. 1927 aber macht die Inflation auch diese Träume Barths zunichte.
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Immerhin wurde das Projekt 1926 begonnen, und zumindest ein kleiner Teil der Pläne des Gartenbaudirektors verwirklicht: Die ehemaligen Gräben des Kanals wurden mit dem Erdaushub aufgeschüttet, der beim Bau der neuen U-Bahnlinie vom Gesundbrunnen nach Neukölln, der heutigen U8, anfiel. Den Stadtvätern kam das Projekt nicht unrecht, denn die Berliner waren wieder einmal ohne Arbeit, die Umwandlung des Kanals in eine Parkanlage wurde zu einem »Notstandsprojekt« und einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

Schon einmal, nämlich beim Bau des Kanals 75 Jahre zuvor, hatte der Kanal das Schlimmste vorerst verhindern können. Der Landwehr- und der Luisenstädtische Kanal gelten heute als erste ABM-Maßnahme der Geschichte. Die Stimmung im Land war gereizt, das Volk war vom Geist der Revolution beseelt, man brauchte dringender denn je Arbeitsplätze, um die Massen im Zaum zu halten. Und da lag das sumpfige Köpenicker Feld, das letzte freie Areal innerhalb der Berliner Stadtmauern, auf dem sich bereits erste Wochenendhäuschen und kleine Gärten zeigten. Um das Land zu bebauen, mußte es jedoch zuvor entwässert werden. Außerdem konnten die Entwässerungsgräben, legte man sie breiter und tiefer an, als Wasserstraßen zur Anlieferung der Baumaterialien für das neue Viertel nützlich sein. Der Luisenstädtische Kanal schien eine ideale Lösung zu sein.
Friedrich Wilhelm IV. war begeistert. Schon als Kronprinz hatte der künstlerisch veranlagte Sproß der königlichen Familie einen eigenhändigen Entwurf für die Bebauung des neuen Viertels, das Luisenstadt heißen sollte, präsentiert, der jedoch unter einem leichten Realitätsdefizit litt. Dennoch orientierte sich 1840 der königstreue Peter Joseph Lenné an den königlichen Plänen und zeichnete auf der Karte die neue Wasserader ein, die vom Landwehrkanal geradewegs zur Michaelkirche führte und in das Engelbecken mündete. Von dort sollte der neue Kanal in einem sanften Bogen um die Kirche herum zur Spree fließen.

1848, in den Zeiten der größten Unruhen, wurde mit dem Bau des 2000 Meter langen Kanals begonnen. Das Engelbecken sollte nicht nur ein einfacher Warenumschlagplatz werden wie der Urbanhafen, sondern ein Schmuckstück mit Uferpromenade und Gasthäusern. Lenné sah in dem Kanal die zentrale Achse der Luisenstadt, die Vorbilder für ihn waren keine geringeren als die Berliner Prachtstraße Unter den Linden und das Schloß Nymphenburg. Am 16. Oktober kam es zu Unruhen. Revolutionäre Arbeiter setzten eine Dampfmaschine, die zum Einsatz gekommen war, um menschliche Wasserträger zu ersetzen, in Brand. Sie sahen durch die Maschine ihre Arbeitsplätze bedroht. Nur die Aufstellung einer sogenannten Bürgerwehr, die zur Aufgabe hatte, die Arbeiten und die Arbeiter am Kanal zu überwachen, ermöglichte die Fertigstellung des Projektes (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 26 vom Mai 2001).

Kanal und Engelbecken wurden 1852 der Schiffahrt übergeben. Kähne mit Backsteinen aus den märkischen Ziegelbrennereien belebten die neue Wasserstraße, die Luisenstadt wuchs rasant, die Ritterstraße blühte auf, und an den Ufern des Kanals flanierte das Volk. Auch als alles fertig war und der Verkehr auf dem neuen Wasserweg nachließ, war die Promenade ein beliebtes Spaziergangsziel, Kinder nutzten die Wasserfläche vor der Kirche im Winter zum Eislaufen und im Sommer zum Baden. Doch die Proteste mehrten sich. Das Diakonissenhaus Bethanien forderte die Verlegung des Kanals wegen lauernder Seuchengefahr, und die Bürger beklagten sich immer lauter über den Gestank im Sommer. 1926 endlich wurde der Kanal, der so mühsam ausgehoben worden war, ebenso mühsam wieder zugeschüttet. Lediglich das Engelbecken blieb.
1948 aber begräbt der 2. Weltkrieg den Traum des Berliner Gartenbaudirektors Barth vom Teich mit Palmen scheinbar endgültig: Das Engelbecken wird mit Kriegsschutt aufgefüllt, wenige Jahre später teilt die innerdeutsche Grenze den ehemaligen Kanal in zwei Hälften. Erst nach dem Fall der Mauer werden neue Pläne geschmiedet. Tatsächlich wird 1999 das Engelbecken wieder vom Schutt befreit und zum See vor der Kirche. In der Euphorie der Wiedervereinigung ist plötzlich von einem Schmuckbecken mit »Wasserschloß«, 16 leuchtenden Wasserfontänen und Pergolen die Rede. Dann ging der Stadt das Geld aus, auch diese Vision blieb Vision. Aber vielleicht wird sie eines Tages wieder ausgegraben werden – wie der »Indische Brunnen« des Gartenbaudirektors Barth. <br>

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