Kreuzberger Chronik
Mai 2003 - Ausgabe 47

Die Geschichte

Das Schuhhaus Leiser


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von Werner von Westhafen

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Es ist eine Erfolgsgeschichte, die Geschichte des Schuhhauses Leiser. Aber es ist nicht die Geschichte eines Mannes, der sich von ganz unten, vom Tellerwäscher zum Millionär hocharbeitete. Es ist, kann man den Quellen vertrauen, die eines ehrgeizigen Einwanderers, der kaum anderes im Sinn hatte als den geschäftlichen Erfolg, und der offensichtlich auch nicht die Mittel der Bestechung scheute, um während der Nazidiktatur das Überleben seines Geschäftes zu sichern. Dennoch nahm die Geschichte einen fabelhaften Anfang.

1889 kam der fünfzehnjährige Julius Klausner aus dem galizischen Tarnow in die Reichenberger Straße, wo sein Onkel Hermann Leiser eine einigermaßen rentable Eierhandlung betrieb. Julius aber hielt sich nicht lange mit Eiern auf, er hatte Größeres im Sinn und überredete den Eierhändler, ihm ein Startkapital von 13000 Mark zur Verfügung zu stellen, um einen sogenannten Schuhgroßhandel aufzuziehen. Ein Lager in der Oranienstraße und Abnehmer, die Julius’ Schuhe auf Provision weiterverkaufen wollten, fanden sich bald. Nur zahlen taten sie am Ende nicht, und innerhalb weniger Monate schien der Neffe des Eierhändlers bankrott zu sein.

Um wenigstens einen Teil des investierten Vermögens zu retten, beschloß Julius, die restlichen Lagerbestände selbst zu verkaufen. Aus den hölzernen Eierkisten des Onkels zimmerte man Verkaufstische, stellte sie im Hinterhof der Oranienstraße 34 auf und verkaufte an einem Ostersamstag, so die Familiensaga, für über 1000 Mark böhmische Bauernschuhe. Julius Klausners Idee vom Schuhgroßhandel war fehlgeschlagen. Doch der Anfang vom Ende war der Grundstein zu Berlins größtem Schuhhaus. Der Großhändler wurde selbst zum Verkäufer.

Leiser-Fahrzeug
Nach amerikanischem Prinzip zeichnete er seine Schuhe nun mit festen Preisen aus, und diese Preise waren niedrig. Das sprach sich herum. Schon im zweiten Jahr des Verkaufs wurde es in der Oranienstraße zu eng, der geschäftstüchtige Julius sah sich nach geeigneten Objekten um und konnte, jenseits des Kanals, der damals entlang des heutigen Erkelenzdammes floß, einen Obsthändler überreden, dem er mit barem Geld winkte und die kostenlose Reparatur seiner Schuhe anbot – wenn auch nur für ein Jahr!

Der Obsthändler jedenfalls muß sich geärgert haben. Auf der Brücke zwischen den beiden Läden herrschte bald reger Verkehr, was man im einen Laden nicht fand, stand im anderen. Und bei den zwei Kreuzberger Läden blieb es nicht lange. Zwar wurden Keller in Nachbarhäusern angemietet, um Lagermöglichkeiten zu schaffen, aber schon 1906 eröffnete der junge Klausner in der Tauenzienstraße gegenüber dem KaDeWe das erste große Schuhkaufhaus. Ganz Berlin sprach von der Sensation.

Doch nicht nur bei der Wahl seiner Standorte, auch bei der Auswahl seiner Mitarbeiter besaß der Geschäftsmann Gespür. Seine erste Angestellte in der Oranienstraße 34 war die Tochter seines Onkels, die Eierverkäuferin Dora Klausner. Ob während der vielen gemeinsamen Stunden in der Oranienstraße eines Tages Julius’ Herz für die Cousine entflammte, oder ob es eine eher nüchterne, gut kalkulierte Hochzeit war, darüber wurde in der Oranienstraße viel spekuliert. Tatsache ist, daß 1899 die Hochzeit gefeiert wurde und Julius Klausner als Mitgift auch die Anteile seines Onkels am florierenden Schuhgeschäft übereignet bekam. Von diesem Tag an hatte Julius eine hervorragende, kostenlose Arbeitskraft an seiner Seite, eine Chefin, wie er keine bessere hätte finden können.

Den Ersten Weltkrieg überstand Leiser nahezu unbeschadet. Wieder fand er einen ungewöhnlichen Ausweg. Während in anderen Schuhgeschäften der Umsatz einbrach, da Schuhwerk nur noch an Kunden mit Bezugsscheinen verkauft werden durfte, reduzierte Leiser sein ledernes Angebot und verlegte sich vorübergehend auf Handschuhe, seidene Schals und Strümpfe. Denn Seide war von der Beschlagnahme ausgenommen. Der Inflation bot Leiser Parole, indem er Tochtergesellschaften in Danzig und Holland gründete, die ihm ausreichend Devisen einbrachten.

Das Unglück aber begann gleich am 1. April 1933, dem »Boykott-Tag«. Männer der SA standen vor seinen Geschäften und verwehrten Kunden den Eintritt. Wenig später versammelte sich das gesamte Personal der Leiserzentrale, »Leute, die 10, 20 und 30 Jahre bei uns gewesen waren«, im Hof und brüllte: »Juden raus!« – Angestachelt, so die Tochter Margot Leiser, »von einem viertklassigen Angestellten!«

Julius Klausner nahm das Ausmaß der Bedrohung zuerst nicht wahr. Es überstieg seine Vorstellungskraft, daß einer, der sich alles rechtschaffen verdient hatte, nun alles verlieren sollte. Aber er begann, zumindest Teile seiner Firma zu verkaufen, um sie zu »arisieren«. Doch »das war den Wölfen nicht genug, sie wollten viel mehr. Sie wollten alles«: das komplette Unternehmen mit seinen 23 Filialen in Berlin und seinen 7 Filialen im Ausland.

Julius Klausner feilschte und handelte. Als er im Sommer 1936 mit seinem Anwalt bei der Kommandatur vorsprechen mußte, hatte Klausner bereits drei Viertel des Unternehmens verkauft, was dem stellvertretenden Gauwirtschaftsleiter nicht genug war. Doch Klausner bestand hartnäckig darauf, zumindest 25% für sich zu behalten. Der Gauleiter meinte, »daß er ein ganz gefährliches Spiel betreibe«, und zog sich nach drei Stunden zur Mittagspause zurück. »Wir durften das Zimmer nicht verlassen und er erwartete, daß wir nach der Pause die Vorschläge akzeptierten«. Als er zurückkam, war er in Begleitung zweier SS-Leute. »Als er uns fragte, wozu wir uns entschlossen hätten, sagten wir, unser Standpunkt sei unverändert, worauf er erklärte, er mißbillige unsere Haltung vollkommen (-) – aber er sei von oben angewiesen worden, unseren Vorschlag anzunehmen.«

Es wird vermutet, daß Klausner einen amerikanischen Freund Görings bestach, der ein gutes Wort für ihn einlegte. Doch auch diese Investition Klausners änderte den Lauf der Dinge nicht. Schon wenige Monate später erhielt er Nachricht von seiner bevorstehenden Verhaftung. Die Klausners flohen noch am selben Tag über die Schweiz und Holland nach Buenos Aires.

Zwar erhielt Julius Klausner nach dem Krieg 50% seiner Anteile zurück, doch die andere Hälfte verblieb bei jenem Mann, der 1935 den Großteil des Unternehmens hatte kaufen können. Und am Ende, nach dem Tod Klausners im Jahre 1950, wurden nach und nach alle Anteile des ehemaligen Gründers des Berliner Schuhimperiums doch noch verkauft. Geblieben ist, bis heute, nur der Name. <br>

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