Kreuzberger Chronik
März 2003 - Ausgabe 45

Das Essen

Ein Bayer im Enzian


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von Michaela Prinzinger

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»Ja mei, waaßt, da Heino hod ja amol gsungen: Blau blau blau blüht der Enzian, aber der Enzian, den wo wir jetzt trinka, der is ned der blaue, sondern aus der Wurzel vom gelben Enzian. Wann dir wer in den Alpen wos wirkli guat’s toa wüll, dann spendiert a dir an Enzianschnaps, mit der Wurzel in der Flasch’n. Greusslich, kann i da sog’n. Aber ma muaß höflich sein und trink’n, weil es is a Gastgeschenk.«

So erzählt er, der Freund aus Bayern, im Kreuzberger »Enzian«, gegenüber vom Yorckschlößchen. Fünfzehn Jahre in Berlin und immer noch spricht er tiefstes Bayerisch, allen Anpassungszwängen zum Trotz. Jetzt hebt er den Finger und bestellt noch eine Runde Enzian beim Wirt’n.
»Ja mei, waaßt, des is der ,wahre Heino`, der wo hier hinter’m Tres’n steht. Früher is er mit aner Punk-Band auftret’n und hod ang’fangan in dersöben Stimmlag’ wie der ,echte Heino`, der wo mit der Brille, waaßt eh. Blau blau blau blüht der Enzian – Aba dann is des ganze gekippt in a schräge Nummer. Die Schulden steh’n ihm bis zum Hals wegen der vielen Prozesse, die wo da ,echte Heino` geg’n den ,wahren Heino` angstrengt hod.«

Heino ist der erfolgreichste und beständigste deutsche Volksmusiksänger aller Zeiten: 98% der Bundesbürger kennen ihn, 52% aller musikliebenden Deutschen bezeichnen sich als Heino-Fans. Diese unvergleichlich hohe Popularität ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Medienpräsenz – mit mehr als 50 Millionen verkauften Tonträgern und etwa 1000 eingesungenen Liedern.
Enzian
Zeichnung: Nikolaos Topp
So steht’s auf der Webpage vom »echten Heino« geschrieben. Der »wahre Heino« dagegen hat auf eine Webpage verzichtet. Der »wahre Heino« ist blond, ziemlich gut frisiert und korrekt gekleidet. Der »wahre Heino« sitzt manchmal auch als Gast am Tisch im »Enzian«, zum Beispiel, wenn er gerade von einem Konzert von Fehlfarben kommt.

»Ja mei, waaßt, früher, da san die Tot’n Hos’n herkumma, nach’n Konzert oder aa zwischendurch amol. Dös war’n no Zeit’n. Heit is allas a bissl ruhiger, oba die Gastwirtschaft erinnert mi an früher, so an die Achtziger. Waaßt, im Heidelberger Krug, da sitz’n die Politischen, die Oid-Achtasechz’ger, dös is nix für mi. Do fühl i mi im Enzian wohler.«

Der Bayer glaubt, der »echte Heino« sei bestimmt noch nie im »Enzian« gewesen, der gehe mit seiner Ehefrau und Partnerin Hannelore immer nur ins Heino-Rathaus-Café in Bad Münstereifel. Dort gibt’s, so erzählt die Webpage, die original Heino-Haselnußtorte zum Mitnehmen, die Kult-Brille, ein Muß für jeden Heino-Fan, Heino-Kaiserschmarrn als Fertiggericht und die ultimative Heino-Biographie mit allem, was man schon immer über Heino wissen wollte. Den »echten Heino«, wohlgemerkt. Den »wahren Heino« aber trifft man in Kreuzberg, man bestellt bei ihm einen Enzian, aus der Bitterwurzel des gelben und nicht des blauen Enzian, wohlgemerkt, stürzt ihn hinunter und hört einen Bayern sagen: »Ja mei, waaßt, a so a Enzian, dös is pure Medizin, ein Labsal für die Seele. Schmeckt zwar greusslich, aber trotzdem: Zum Wohlsein, aaah!« <br>

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