Kreuzberger Chronik
Juli / August 2003 - Ausgabe 49

Die Literatur

Raul Zelik: Friss und stirb trotzdem


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von Raul Zelik

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Er spricht leise, so daß Semra ihn kaum versteht: Hör mal, da sind Nazis im Viertel, sie sitzen in einem Restaurant nicht weit weg, wir gehen jetzt hin und machen sie platt, in zehn Minuten vor dem Portal an der Kirche.Mehr braucht er nicht zu erwähnen, sie stellt keine weiteren Fragen, zieht uns nur kurz an den Ärmeln, erzählt, was ihr Hermann gesagt hat, und auch wir überlegen nicht lange, eigentlich gar nicht. Außer für Ahmeds Bruder, der auf so was nicht steht, wie er sagt, ist es für uns keine Frage, daß wir hingehen werden, wir wissen zwar nicht, was passieren wird, aber wir sind uns einig, daß man das nicht ignorieren kann, und irgendeiner sagt: Das ist eine miese Provokation von den Scheißern. (…)

An der Kirche treffen wir Hermann, der uns erzählt, daß die andern weg sind, so um die 15 Leute, behauptet er, wir treffen uns in einer
Seitenstraße neben dem Restaurant,
nur ein paar Schritte von hier. Er meint, daß wir uns beeilen sollen.

Es sind keine fünf Minuten von dort, die anderen stehen schon in einem Hauseingang, als wir ankommen, außer uns gerade einmal sieben oder acht, von denen ich einige schon gesehen habe, aber nur wenige mit Namen kenne. Ein paar von ihnen haben Knüppel in den Händen, andere nur ihren schwitzenden Daumen. Wir stellen uns dazu, scharren wie sie nervös mit den Füßen am Boden, lehnen uns an die Wand, halten den Mund. Man spürt Ratlosigkeit, man weiß, daß man die Schweine davonjagen muß, aber gleichzeitig ist da die Angst, wir fragen uns, wie die Gäste reagieren werden, wo die anderen sind, 15 hat jemand gesagt, aber es sind keine 15, und ich denke an den Knast, viele Jahre, hoffentlich kein Selbstmordkommando, aber niemand antwortet. Ich meine, es ist nicht das erste Mal, daß wir eine Versammlung von ihnen sprengen, aber normalerweise sind wir viele, spucken sie an, stellen ihnen Beine, teilen ein paar Ohrfeigen aus, darüber hinaus geht es nicht. An diesem Abend ist es anders, wir sind nur eine Handvoll Leute, ich weiß nicht, ob das ein Nachteil sein muß, irgendjemand sagt: Heute können wir es ihnen richtig geben, wir sind beweglicher, wir räumen auf und verschwinden, jeder direkt nach Hause, und alle starren wortlos auf das Pflaster, niemand sagt ja, aber alle denken, das wäre das beste.

Wir schicken jemanden vor, der am Fenster der Kneipe vorbeigeht, zurückkommt und sagt: Es ist wirklich Belloch, und noch ein paar Arschlöcher mehr, dann sind es nur noch einige Schritte, aber der Weg erscheint unendlich lang. Ich würde umdrehen, wenn nicht die anderen vor und hinter mir liefen, wenn ich nicht das Gefühl hätte, daß man diese Scheiße erledigen muß und daß es sich immerhin um richtige Dreckskerle handelt, fett, dumpf und tschintschärassassa.

Wir ziehen also die Masken oder Tücher über das Gesicht, damit man uns nicht erkennt, und betreten die Kneipe, die aussieht wie alle griechischen Kneipen, das heißt Bilder von Inseln und gekalkten Häusern und Weinamphoren aus Ton und blaue Holztische mit rissigem Lack. Wir entdecken Belloch und die anderen an dem Tisch neben dem Fenster, wie man uns gesagt hat, und es ist weniger aufregend, als ich gedacht hätte. Die Retter des Abendlandes, kreidebleiche Figuren, stürzen unter den Tisch, japsen nach Luft oder schreien mit überraschend hohen Stimmen um Hilfe, aber wir beginnen einfach zu schlagen, als ob wir eine Arbeit zu erledigen hätten, nicht unbedingt gleichgültig, aber auch nicht nervös, Schlag für Schlag, stellen keine Fragen, empfinden keine Freude, aber auch keine Schuld, nehmen von den anderen Gästen überhaupt keine Notiz. (…)

Der Rest sind Notizen: Eine Sonntagszeitung, die »Brutaler Mord in einer Kneipe« titelt, und als ich näher komme, lese ich: »Überfall auf ein griechisches Restaurant, Messerstecherei« und »verblutet«.

Entnommen aus Raul Zelik, »Friss und stirb trotzdem«, erschienen bei Edition Nautilus, 1997 <br>

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