Kreuzberger Chronik
Oktober 2001 - Ausgabe 31

Die Geschäfte

Mercedes hat eine Filiale in Kreuzberg


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von Michael Unfried

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Die silbernen Sterne auf der Kühlerhaube des prestigeträchtigsten deutschen Automobils stehen in dem Ruf, das meistgefragte Ersatzteil an einem Daimler zu sein. Als sich Anfang der Siebziger das Sammeln der kleinen Trophäen als Volksport unter linken Genossinnen und Genossen etablierte, stieg die Nachfrage rasant, und die Sterne, egal ob aus den sechziger Jahren oder den Neunzigern, kosten fünfzig Mark.

Alles bei Mercedes hat seinen Preis. Mercedes: Lieferant schwarzer Staatskarossen in alle reichen und armen Winkel der Welt, Stolz der Nation und ferner Traum jedes Einwanderers, Symbol des Kapitalismus und niederschmetternde Antithese zum ostdeutschen Trabant, Dorn im Auge jedes Kreuzberger Demonstranten. Das alles verspricht der Name Mercedes.

Der Automobil-Konzern hat zum Verkauf seiner Ware strategisch günstige Stützpunkte in Berlin eingenommen: Jahrzehntelang drehte sich der Mercedesstern wie das Wahrzeichen der westlichen Hemisphäre auf einem bis tief in den Osten hinein sichtbaren Hochhaus am Kurfürstendamm. Und auch im neuen Zentrum der wiedervereinten Stadt, am »Potti«, imponiert Daimler-Chrysler durch Höhe. Eine der sechs Filialen aber liegt in der Prinzessinnenstraße in Kreuzberg – nur einen Steinwurf entfernt vom alljährlichen Schlachtfeld in der Oranienstraße. Damit signalisiert Mercedes Selbstbewußtsein, Mercedes läßt sich nicht von Demonstranten einschüchtern. Schließlich hat Mercedes den Staatsschutz auf seiner Seite. Am 1. Mai ist die Prinzessinnenstraße besser bewacht als das Bundeskanzleramt.

MB Kreuzberg
Foto: Wolfgang Krolow
So kommt es, daß drüben am Kottbusser Tor die Junkies um »’ne Mark« betteln, die Gemüsehändler in der Oranienstraße ihre 2 Mark 50 für ein Kilo Tomaten in die Hosentasche stecken und der türkische Schuster einen zerknitterten 10-Mark-Schein wieder glattstreicht, während auf den Preisschildern in der Prinzessinnenstraße fünfstellige Beträge stehen. Dabei handelt es sich nicht um die üblichen DM, sondern um Euro. Schließlich ist Mercedes längst in der Zukunft angekommen. Sogar mit dem Fahrrad. 1900 Euro kostet das zusammenfaltbare Pedaloped der Marke Mercedes mit dem europäisch klingenden Namen »CAR.RY STREETBIKE«.

Auch die Modellautos in den Vitrinen, die Uhren und die Schlüsselanhänger orientieren sich selbstbewußt an der Währung der Zukunft. Die Thermoskanne im Mercedes-Design kostet 31, das Baseballkäppi 11 Euro. Etwas kleiner steht – für die Kreuzberger – der Preis darunter in deutsch: 60,63 DM die Kanne, 21,51 DM das Käppi. Die Taschenlampe 78,23 DM, und der kleine »A140 lang Elegance« nur 37774 DM und 93 Pfennig.

Auch die drei gebrauchten Droschken neben dem A140 haben ihre Preise. Aber schließlich ist das Taxischild auf dem cremefarbenen Blech so etwas wie eine Existenzgrundlage. Auch für Kreuzberger, auch für »unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger«. Deshalb hat sich das Mercedes-Geschäft in Kreuzberg auf »Taksis« spezialisiert. Und deshalb sind die wegweisenden Schilder zu den einzelnen Bereichen und der gut besuchten Serviceabteilung zweisprachig, und auch in der Werkstatt und am Counter gibt es türkischsprechende Mitarbeiter. Mercedes weiß, was sich gehört. Mercedes hat in Kreuzberg drei Caféhaustische mit Gebäck aufgestellt und einen silbernen, dampfenden Samovar, der glänzt so hell wie der Mercedesstern.

Da fühlt sich der Kunde mit dem langen, schwarzen Zopf über der auberginefarbenen Anzugjacke gleich heimisch. Einzig diese kleine Terrakottafigur mit dem Blumenkasten vor dem Bauch scheint ihn zu irritieren. Während einer der vielen Autoverkäufer dem jungen Mann die Vorteile der Limousine, insbesondere aber die Vorteile der »attraktiven Leasing- und Finanzierungsangebote der DaimlerChrysler Bank« erklärt, blickt er immer wieder zu dieser Figur mit dem Strohhut, den riesigen Eselsohren, der langen Nase und dem Blumenarrangement zwischen den Karossen. Der junge Mann, der sich für eines der ausgestellten Taxis interessiert, kann sich womöglich nicht entscheiden, ob es sich bei dem Blumenmännchen um einen Mexikaner, einen Franzosen, oder vielleicht doch um die Karikatur eines türkischen Landsmannes handelt.

Die Mitarbeiter von Mercedes begegnen ihren Besuchern mit ausgesuchter, nahezu orientalischer Höflichkeit – egal, welcher Nationalität sie angehören. Sogar dann, wenn diese schon zum dritten Mal das schöne Cabriolet umkreisen, obwohl sie doch ganz offensichtlich niemals in der Lage sein werden, sich einen derartigen Luxus zu leisten. Sie sind auch dann noch freundlich zu ihren Kunden, wenn diese sie mit unnötigen, unwichtigen Fragen quälen, plötzlich wissen wollen, wieviele Autos hier am Tag verkauft würden, und ob es Mercedes in Kreuzberg eigentlich schon lange gäbe.

»Nehmen Sie doch Platz!«, sagt dann ein älterer Herr, »Und nehmen Sie sich eine Tasse Tee. Der Herr Losser* wird gleich kommen. Ich kann Ihnen dazu leider gar nichts sagen.«

Nach zehn Minuten kommt Herr Losser, streckt dem neugierigen Besucher die Hand schon von weitem entgegen und lächelt. Doch auch Herr Losser muß leider bedauern, er weiß es auch nicht, wie lange es diese Filiale in Kreuzberg nun schon gibt. Er wüßte auch tatsächlich keinen anderen Mitarbeiter, der darüber Auskunft geben könnte. »Nun ja«, wagte der Neugierige einen Einwand, »Sie haben hier doch etwa 20 Mitarbeiter beschäftigt – da wird doch irgendeiner wissen, ob es die Filiale hier zwei oder zwanzig Jahre lang gibt.« Jaja, nickte Herr Losser freundlich, aber er bedauere zutiefst. Auch über die Kundschaft in der Straße könne er leider nichts sagen. Er habe da überhaupt keinen Überblick. Und über den 1. Mai könne er auch nichts sagen. Da arbeite er ja nicht. Er könne eigentlich gar nichts sagen, und der Kunde möchte doch bitte dafür Verständnis haben, wenn er keine Auskunft geben könne.

»Ja natürlich, ich verstehe: Betriebsgeheimnisse!«, scherzte der Neugierige. Aber nicht doch, haha, erwiderte der andere, das könne doch jeder sehen, was für Menschen hierherkämen, und alle hier in der Straße wüßten, wie lange Mercedes hier seinen Standpunkt hätte. Das sei doch kein Geheimnis. Aber er wüßte es nun einmal nicht. Jedoch gäbe es da einen gewissen Herrn Falter*, dessen Aufgabe es sei, auf derartige Fragen zu antworten, der wisse alles über das Geschäft. Alles! Das sei der richtige Mann.

Noch am Nachmittag soll der Neugierige dort angerufen haben. Doch am anderen Ende der Leitung äußerte man großes Bedauern. Man wisse nicht, wann die Filiale dort eingerichtet worden sei. Da müsse man erst »recherchieren«. Auch über die Kunden in Kreuzberg habe man keinerlei Informationen. Da müsse man erst »recherchieren«. Einen Mitarbeiter, der schon länger in Kreuzberg arbeite, gebe es seines Wissens nicht. Aber der Besucher könne vielleicht seine Fragen schriftlich formulieren, dann werde man ihm sicherlich bald antworten. Das könne er wohl, sagte daraufhin der Neugierige, und setzte sich noch am Nachmittag an die Schreibmaschine.

Er glaubte längst nicht mehr an eine Antwort. Aber etwa zehn Tage später erhielt er eine Nachricht von der Pressestelle der DaimlerChrysler-Niederlassung Berlin. »Gerne«, schrieb nun der bereits vierte in dieser Sache bemühte Mitarbeiter, »kann ich Ihnen einige Fragen beantworten. Bitte rufen Sie mich einfach an …« Aber da hatte der Neugierige die Hoffnung längst aufgegeben, und da war der Text längst fertig.

* Namen von der Redaktion geändert <br>

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