September 2025 - Ausgabe 272
Straßen, Häuser, Höfe
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Bergmannstraße 60-65
von Ina Winkler |
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Foto: Dieter Peters
Geboren 1810 als Sohn eines Lehrers in Detmold wird er bereits auf dem Gymnasium in Soest auffällig, als er mit zarten 15 Jahren dem Stadtteich, aber auch den »Schönsten Bewohnerinnen Soests« schwärmerische Gedichte widmet. Trotz lyrischer Begabung lernt er zunächst den Beruf des Kaufmanns, geht nach Amsterdam, kehrt im Alter von 25 Jahren in die Heimat zurück und verlobt sich fünf Jahre später mit der zehn Jahre älteren Schwester seiner Stiefmutter - eine Episode, die von Historikern bis heute kaum beachtet wird. Dass Ferdinand kurz nach der Verlobung ins unbekannte Unkel am Rhein abreist, legt nicht nur bei phantasiebegabten Frauen den Gedanken nahe, dass die Verlobung mit der vierzigjährigen Schwester der Stiefmutter womöglich unfreiwilliger Natur war. Noch im selben Jahr verlobt sich der Dichter mit einer ganz anderen: Ida Melos, der Tochter des Schriftstellers Johann Gottfried Melos. 5 Kinder gehen aus der Verbindung hervor. Melos´ schöne Töchter müssen auf empfindsame Künstlernaturen besondere Anziehung ausgeübt haben. Nach Ferdinand verliebte sich Gottfried Keller hoffnungslos in Ferdinands Schwägerin Marie, und Franz Liszt soll gleich von beiden verzaubert gewesen sein. Ferdinand ist beflügelt, reist nach Weimar und gibt Das malerische Westphalen und ein Jahrbuch für Kunst und Poesie heraus, unter anderem mit Gedichten von Annette von Droste-Hülshoff. 1841 geht er mit Ida nach Darmstadt, erhält, protegiert von Alexander von Humboldt, eine Pension von 300 Talern vom König und zieht nach St. Goar, wo die nackte Loreley sich auf einem Felsen gesonnt und durch ihren Anblick unzählige Schiffer in den Tod gerissen haben soll. Lauter Inspirationen. 1844 wohnt Freiligrath in Assmannshausen im Gasthof Zur Krone, wo er sein Glaubensbekenntnis in Form politischer Gedichte schreibt, die im Herbst erscheinen und den Schwärmer der Liebe zum ernstzunehmenden Autor machen. Um dem politischen Gütesiegel gerecht zu werden, muss er die Pension und auch den Ruf an den Hof von Weimar ausschlagen und mit dem Dichter Heinzen in ein Hotel nach Belgien flüchten, wo ihnen Marx und Heinrich Bürger die Ehre geben. Woraufhin Heinzen ein hundertseitiges Loblied auf Die Helden des teutschen Kommunismus – »dem Herrn Karl Marx gewidmet« - verfasst. Von Brüssel flieht Freiligrath in die Schweiz an den Zürichsee und nach London an die Themse, wo er als Kaufmann im Exportgeschäft und als Dozent an der Universität arbeitet. Schon will er weiter nach Amerika, da bricht im März 1848 die deutsche Revolution aus. Freiligrath bleibt, doch die Revolution scheitert, Menschen werden erschossen. Da schreibt der Dichter ein Gedicht, das zwei Jahre zuvor voll glühender Leidenschaft für die Revolution mit den Worten begann: Trotz alledem, ob Armut euer Los auch sei / Hebt hoch die Stirn, trotz alledem!... - noch einmal um. Aus Wut und Trotz ist Resignation geworden: Trotz alledem und alledem / trotz Wien, Berlin und alledem / ein schnöder scharfer Winterwind / durchfröstelt uns trotz alledem! Noch trauriger klingt das Gedicht der Toten an die Lebenden. Dennoch bringt es dem Dichter eine Anklage wegen »Aufreizung zu hochverrätherischen Unternehmungen« ein. Am 3. Oktober 1848 sprechen die Geschworenen ihn frei, nach Polizeiangaben feierten 15.000 Menschen seinen Feispruch, unter ihnen Karl Marx. Doch sicher fühlte sich Freiligrath in Preußen nicht mehr. Er ging zurück nach Amsterdam, nach Düsseldorf, dann wieder nach London. Von der preußischen Amnestie ausdrücklich ausgeschlossen, konnte er nicht in die Heimat zurück, ohne ein Gnadengesuch zu stellen. Diese Möglichkeit verbot ihm sein Stolz. Daraufhin sammelten Freunde 60.000 Taler, um seine Heimkehr zu ermöglichen. 1874 erreichte er auf seiner lebenslänglichen Flucht endlich Cannstadt im damaligen Königreich Württemberg, wo er zwei Jahre später - an einem 18. März, dem Tag der Revolution von 1848 - im Wirtshaus Alter Hase starb. Denkmäler und Gedenktafeln erinnern übers Land verstreut bis nach Wien an ihn. Das größte von allen steht in der Bergmannstraße, zweihundert Meter entfernt von der Passionskirche, in der 2017 Hannes Wader noch einmal seine Version des Revolutionsliedes anstimmte. Die Langspielplatte mit seinen Arbeiterliedern wurde so oft verkauft, dass Lieferengpässe entstanden. Sie trägt bis heute dazu bei, dass Freiligrath nicht vergessen werden wird. Er sang: Nun ist es kalt / trotz alledem / trotz SPD und alledem / Ein schnöder, schwarzer Winterwind / Durchfröstelt uns, trotz alledem / Auch Richter und Magnifizenz / Samt Polizei und alledem / Sie pfeifen auf die Existenz von Freiheit, Recht und alledem.... - Doch anders als Freiligrath endet Wader kämpferisch und optimistisch: Es kommt dazu, trotz alledem, Dass rings der Mensch die Bruderhand, Dem Menschen reicht, trotz alledem! |









