Kreuzberger Chronik
September 2025 - Ausgabe 272

Geschäfte

Das Geschäft mit dem Tod


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von Horst Unsold

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Klaus Uwe Mecklenburg vor seinem Schaufenster
Foto: Dieter Peters
Es gibt winkende Kätzchen in Schaufenstern und Restaurants, einladend winkende Tanzmädchen und Fußballmaskottchen. In Klaus Uwe Mecklenburgs Schaufenster jenseits der Friedhofsmauer winkt der Tod: 23 grinsende, freundlich hereinwinkende Skelette in einer Reihe. Die hat er einem Kabarettisten abgekauft, der sich Der Tod nennt und der sie als Dekoration für die Auftritte im BKA nutzt. Junge Passanten bleiben vor den winkenden Skeletten in Mecklenburgs Schaufenster amüsiert stehen, Ältere schauen lieber, dass sie weiterkommen. Das mit den Bestattungsunternehmern hat ja hoffentlich noch Zeit.

Doch manchmal geht es ganz schnell. Und dann kann es passieren, dass es keinen freien Platz mehr gibt in Meckenburgs Terminkalender. »Manchmal hab ich wirklich das Gefühl, dass die sich alle absprechen. Einer geht vor und dann kommen gleich zwei, drei hinterher, alle hier aus dem Kiez, lauter Nachbarn. Das ist für mich dann ganz schön stressig. Am Schlimmsten ist es, wenn die Toten aus Mitte oder Zehlendorf oder Steglitz kommen: Da muss man immer noch die Originalurkunden vorlegen - Geburtsurkunde, Heiratsurkunde und so weiter. Das dauert. Ich kann nur Jedem empfehlen, in Kreuzberg zu sterben. Da begnügt man sich noch mit Kopien.«

Mecklenburg kennt sich inzwischen ganz gut aus auf den Ämtern, zu denen er laufen muss, um die letzten Existenzbescheinigungen ausstellen zu lassen. Er hat gerade das zehnjährige Jubiläum seiner Kiezbestattungen gefeiert, mit Kuchen und Kerzen auf einem Sargdeckel und einem Probeliege-Exemplar. »Die Kinder sind auch fröhlich reingesprungen in den Sarg und haben es sich gemütlich gemacht, aber ihre Mamis machten besorgte Gesichter: Komm mal lieber raus da….«

Natürlich war »Bestattungsunternehmer« nicht Mecklenburgs Traumberuf. »Aber in meinem Leben ist sowieso alles nur Zufall.« Nach Berlin zum Beispiel kam er eigentlich nur, weil er nicht schwäbeln konnte und von allen Schwaben in der Schule gehänselt wurde. Und in die Gneisenaustraße zog er nur, weil ein Freund bereit war, seine Einzimmerwohnung mit ihm zu teilen. »Unter der Bedingung, dass ich, wenn seine Freundin zu Besuch kam, bis sieben Uhr morgens die Wohnung nicht betreten durfte. Und die kam alle zwei Tage!« Glücklicherweise – »Wieder so ein Zufall!« – war nebenan eine Kneipe, die immer offen hatte: das Cafe Anfall. »Irgendwann hab ich gefragt, ob ich was helfen kann, es waren noch zwei Stunden bis sieben Uhr!«

14 Jahre gehörte Mecklenburg dem Kneipenkollektiv in der Gneisenaustraße an, schenkte nächtelang Bier und Schnaps aus, bis das Kollektiv aufgelöst wurde. Danach saß Mecklenburg, studierter Mediengestalter, zuhause am Schreibtisch, entwickelte den Berliner Jazzguide, den Kidsguide, den Modeguide. Ständig hing er am Telefon, um Anzeigenkunden zu akquirieren, »bis meine Freundin sagte: Das ist zu eng hier für uns zwei. Du brauchst ein Büro

Der nächste Zufall wollte es, dass in der Bergmannstraße ein Laden frei wurde. Und dass Katharina Husemann noch jemanden suchte, der ihr half, die Miete zu stemmen. Klaus Uwe richtete im Hinterzimmer sein Büro ein, während Katharina vorne zu Konzerten und Ausstellungen einlud. Jetzt fragten Bestatter an, ob sie die hellen Räume für Trauerfeiern nutzen könnten, und so mischten sich Trauergesellschaften unter das kunstaffine Publikum der Galerie K.

Nun war Mecklenburgs Weg nicht mehr weit. Als letzter Praktikant in der Geschichte des Bestattungsfuhrunternehmers Gustav Schöne, der Särge einst noch mit der Kutsche durch die Stadt fuhr, transportierte Mecklenburg 10 Leichen täglich. Denn bei allem Respekt: Berührungsängste mit dem Tod kann sich kein Bestatter leisten.

Eine seiner ersten Besucherinnen war Astrid. Erst starb ihr Mann, dann ihr Vater. Astrid und Klaus Uwe kümmerten sich um alles gemeinsam. Das half. Astrid ist noch immer da, kümmert sich jetzt gemeinsam mit Klaus Uwe um Tote, Sterbende und Zurückbleibende.

Das Leben in Kreuzberg war schon immer etwas anders. Der Tod auch. Da kommen die Kinder, bemalen den Sarg für die Oma oder lassen Luftballons und Raketen in den Himmel steigen, während die Urne in der Erde versinkt - »und niemand schaut traurig in die Grube, alle schauen mit offenen Mündern in den Himmel. Manchmal begleiten uns die Kinder ins Krematorium und dürfen sogar den Knopf drücken, durch den der Sarg ins Feuer fährt. Die sind nicht traurig, die sind stolz. Die gehn raus und sagen: Ich hab´meine Oma begraben

Mecklenburg möchte neue Wege des Abschiednehmens finden. »Uns fehlt eine Trauerkultur.« Geschäfte macht Mecklenburg nicht mit dem Tod. Seine Verbindung zum Tod ist privater Natur. Der Tod ist seine Berufung. Der Tod ist ein Moment, der berührt und Menschen zusammenführt. Sie kommen sich näher, liegen einander heulend in den Armen. Manchmal muss sogar der Routinier mitheulen. »Das bin eben ich. Und ich glaube, das unterscheidet uns schon sehr von Grieneisen & Co. Die waren sogar schon hier und wollten kaufen. Wegen der günstigen Lage. Ich hab sie rausgeschmissen. Ich mach das doch nicht nur, um Geld zu verdienen.«

Im Anfall arbeitete er auch nicht nur des Geldes, sondern der Leute wegen. »Manchmal steht wieder einer von damals vor mir, weil er einen Platz auf dem Friedhof braucht. Lungenkrebs oder Leberzirrhose. Von den langen Kreuzberger Nächten. So schließt sich der Kreis!« Sagt Mecklenburg. So sind die beiden eben, das Leben und der Tod.



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