Kreuzberger Chronik
Oktober 2025 - Ausgabe 273

Helmut

Der Pianist


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von Hans Korfmann

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Helmut war nicht nur ein leidenschaftlicher Handwerker und Klavierstimmer, er war auch ein leidenschaftlicher Klavierspieler. Wenn er bei seiner Frau in den finnischen Wäldern war, zog er sich oft für Stunden in den Holzschuppen am See zurück, der eigentlich eine Sauna war, in dem jedoch auch ein weißes Klavier stand. Er sagte, er wolle »ein bisschen üben«, aber es war nicht der Ehrgeiz, sein Spiel zu perfektionieren, es war die Liebe zur Musik, die ihn in die Sauna trieb. Er liebte Chopin, Mozart, Clara Schumann, er zog sich mit ihnen zurück, um ihnen zuzuhören. Er wollte ihre Musik hören. Also spielte er sie sich vor.

Auch, wenn er auf der Straße spielte, klang es, als spiele er für sich. Das hörte man. Sogar alte Kreuzberger Rock´n Roller, die von einer Klaviersonate nie mehr als die ersten drei Takte gehört hatten, blieben stehen. Eine kam und fragte, was das denn für ne geile Mucke sei. Helmut grinste und sagte, das sei Mozart. »Dufte, echt ... !«

Helmut spielte stets leise und zurückhaltend. Er ließ jeden Ton ausreden, ausklingen. Und wenn der letzte Ton auf der Straße ver-klungen war, blieb es einen Moment lang still in Kreuzberg. Dann setzte verhaltenes, leises Klatschen ein.

Wenn aber jemand behauptete, Helmut sei ein begnadeter Pianist, protestierte er. Pianisten seien andere. Fragte man nach Namen, fielen ihm keine ein. Jedenfalls nicht die, die weltweit auf Plakaten standen. Und wenn jemand Keith Jarrett erwähnte, verzog er den Mund. Der weltberühmte Jazzpianist mit seinen dramatischen Auftritten und seinen »Fingerübungen« war ihm ein Greuel. »Das ist kein Pianist!«

Auch wenn Felix, sein langjähriger und langhaariger Freund aus Schlenzer, in dessen großem Haus Helmut in Ermangelung einer Werkstatt gleich drei Flügel abgestellt hatte, ihn bei seinen Straßenkonzerten besuchte und für ein Viertelstündchen ablöste, indem er wie Keith Jarrett improvisierte, verfinsterte sich Helmuts Blick. Es heiterte ihn auch nicht auf, wenn die Zuhörerinnen dem Mann mit der weißen Mähne und dem weißen Hemd begeisterten Applaus spendeten. Im Gegenteil, es kam vor, dass die Freunde am Abend um so erbitterter darüber stritten, ob Jarrett ein guter Pianist war oder nicht.

Es muss den Verehrer und leidenschaftlichen Interpreten Chopins und Mozarts geärgert haben, dass Felix, der zuvor nicht einmal gewusst hatte, wieviele Tasten ein Klavier hat, mit diesem Keith-Jarrett-Geklimpere ebensoviel Applaus einheimste wie er mit Mozart. Wahrscheinlich gab es noch andere Misstöne in dieser Männerfreundschaft, aber Keith Jarrett war sicherlich einer der Gründe dafür, dass Helmut Felix am Ende aus seinem Sterbezimmer verbannte. So wie einst schon Helmuts Mutter am Sterbebett den Priester zur Hölle schickte.



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