Kreuzberger Chronik
Oktober 2025 - Ausgabe 273

Geschichten, Geschichte, Gerüchte

Schleiermachers Amouren (2):
Kattuner Unterrock und Liebeswirren



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von Eckhard Siepmann

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Die Toten in Kreuzberg und überall haben auf nichts mehr Anspruch, mit einer Ausnahme: Endlich Ruhe! Das Erdenwallen hat genug Hin und Her und Auf und Ab gezeitigt! Jeder Gedanke an Grabverlegung hat deshalb etwas Unziemliches. Trotzdem drängt er sich auf, der geheime Wunsch, Henriette Herz, die Saloniere und Schriftstellerin, umzubetten: von ihrem Grab an der Zossener Straße an die Seite des Theologen Schleiermacher, der an der Berg-mnannstraße beerdigt ist. Die innige und produktive Freundschaft zwischen beiden währte von 1796 bis zum Tod Schleiermachers 1834. Bei Spaziergängen Unter den Linden oder im Tiergarten, bei gemeinsamen Reisen oder, wenn beides nicht möglich war, in Briefen – das Gespräch zwischen ihnen riss nicht ab. Bevorzugte Themen dieser Jahre: Liebe, Transzendenz, Geselligkeit.

Doch 1801 verfällt Schleiermacher der Liebe seines Lebens, er lernt Eleonore Grunow kennen. Seine Freundin Henriette Herz rümpft leicht eifersüchtig die Nase: »Große, schlanke Gestalt. Das Gesicht eher häßlich als hübsch. Nicht die geringste Grazie des Benehmens, trocken, unergiebig. Kein ausgezeichneter Geist. Immer sehr schlecht angezogen, nachlässig und gering; kattuner Unterrock und schwarze Wollstrümpfe, zum Beispiel.«

Bettina von Arnim
Foto: Postkarte
Schleiermacher ist leidenschaftlich entbrannt, körperlich wie geistig. »Nur durch die Kenntnis des weiblichen Gemütes habe ich die des wahren menschlichen Wesens gewonnen«, schreibt er ihr. Die fatale Situation: Die Grunow war verheiratet mit einem Kollegen des Predigers. Was tun? Schleiermacher beobachtet argwöhnisch deren Zusammenleben, entdeckt ein Haar in der Ehesuppe - und drängt Eleonore zur Trennung. »Mache dich frey oder gehe zugrunde!«

Vier Jahre lang schwebt der Theologe zwischen Himmel und Hölle. Eleonore eröffnet Schleiermacher im Frühjahr 1803 , es sei ihr nicht möglich, ihren Ehemann zu verlassen. Der Niedergeschlagene an Henriette Herz: »Ich kann nicht mehr, liebe Freundin, ich zerfließe in Seufzer und Thränen.« Er sieht sich dem Tode ausgeliefert: »Gram und Anstrengung werden mir bald zu Gift werden.« Schmerzen quälen ihn am ganzen Körper, er flüchtet in Glücksspiele und verliert »sehr viel Geld.« Noch grausige zwei Jahre lassen den Liebenden zwischen Niedergeschlagenheit und Hoffnung baumeln. 1805 dann das endgültige Aus: »Es ist das tiefste, ungeheuerste Unglück – der Schmerz wird mich nicht verlassen, die Einheit meines Lebens ist zerrissen; was sich aus den Trümmern machen läßt, will ich daraus machen.«

Ungeachtet des ungeheueren Unglücks sitzt der 40jährige Schleiermacher drei Jahre später auf der Insel Rügen mit der 21 Jahre jüngeren Henriette von Willich auf der Bank. Sie ist die Witwe eines verstorbenen nahen Freundes des Theologen, die er zunächst nach Art eines Vaters betreut. In dem Älteren jedoch wechseln diese Gefühle allmählich in ein Begehren. Schon bald schreibt er ihr: «Könnte ich doch bis zu Dir kommen! Ich wollte Dich so gerne weinen sehen und Deine Thränen mit väterlichen Küssen auftrinken!« Ein Brief der jungen Witwe an ihren Tröster läßt uns den Verlauf der Session ahnen: »Wie danke ich Dir noch, du Theurer, für die schöne, zarte Weise, mit der Du Dich mir genähert, wodurch Du mir so wohlgethan hast und diese sichere Liebe in mir erweckt.«

Nach einem Jahr wird geheiratet. Schleiermacher ist aus dem Häuschen, doch bald fallen Schatten. Unterschiedliche geistige Interessen machten sich bemerkbar, als die junge Gattin einer redseligen Okkultistin verfällt, die bald im Hause heimisch wird und den vielbeschäftigten Theologen mit ihrem esoterischen Geschnatter nervt. Der hielt jedoch bis zum letzten Atemzug stoisch zu seiner Gattin.

Mit kleineren Eskapaden durchaus. Als er zwölf Jahre nach der Rügener Banksitzung die 35jährige Bettina von Arnim kennenlernt, ist er hingerissen von ihrem temperamentvollen Geist und ihrer ausschweifenden Fantasie. Das Verhältnis oszilliert zwischen ideenreicher Freundschaft und erotischer Leidenschaft. »Oft ging er mir auf der Straße nach, frug mich, ob ich denn nicht näher mit ihm bekannt werden wolle?!« Bettina, Schwester des Dichters Clemens Brentano und verheiratet mit dem Dichter Achim von Arnim, schwankt und zaudert.

»Ob ich Dich liebe, weiß ich nicht

Seh ich nur einmal Dir ins Gesicht

Kann ich nicht sagen, wie mir geschicht

Ob ich Dich liebe, weiß ich nicht.«



Doch der berühmte Textinterpret weiß die Zeichen zu deuten und antwortet:

»Ob Du mich liebst, das weißt Du nicht?

Ich weiß es wohl

Wenn so Dein Fleh’n zum Himmel spricht.«

Bettina, die mit Größen ihrer Zeit von Goethe bis Marx persönlich vertraut war, ist mit rhetorischen Ohrfeigen schnell bei der Hand. Goethes Frau Christiane nennt sie eine »wahnsinnige Blutwurst«, und dem berühmten Theologen vertraut sie auf einer Party an: »Du bist dumm, aber in guter Gesellschaft.« Die Freundschaft wird bis zu Schleiermachers Tod anhalten. (Fortsetzung folgt)





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