Oktober 2025 - Ausgabe 273
Geschäfte
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Zwischen Teppichen und Pantoffeln
von Peter Unsold |
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Foto: Dieter Peters
Das wirkt. Vor allem samstags. Wenn Spandauer, Moabiter und Berlin-Touristen nach Kreuzberg kommen, weil auf dem Handy zu lesen war, dass es auf dem Naschmarkt am Südstern wunderbare Würste, phantastische Käse und unvergessliche Kartoffeln gibt. Bei einem Blick in die Körtestraße stoßen sie dann unweigerlich auf das verführerische Angebot vor dem kleinen Indienladen. Aber nicht nur Fremde, auch die Nachbarn werden durch die zwei großen Transparente angezogen. Sie haben auf ihren Heimwegen schon öfter einen Silberring, ein nachtblaues Schächtelchen mit Räucherstäbchen, einen knallroten Schal oder ein Paar leuchtendgelbe Pulswärmer mitgenommen. Sie kennen das Lädchen, es gehört ebenso zu ihrer Straße wie der Bäcker, die Apotheke, der Buchladen oder Tatjanas Kneipe an der Ecke. Manchmal, an grauen Tagen, kommen sie auch nur herein, um im Laden spazierenzugehen, und verabschieden sich mit den Worten: »Ich wollte nur mal ein bisschen Farbe tanken«. Seitdem aber die 70% dort hängen, kommen sie und fragen mit sorgenvoller Miene, ob nun auch schon der kleine Indienladen eine Mieterhöhung erhalten habe und das Geschäft aufgegeben müsse. Sie wirken erleichtert, wenn sie hören, dass ihr Laden nicht von heute auf morgen wieder verschwinden wird, sondern dass dieses kleine Stück Indien mit seinen Henna-Packungen und seiner Duftseife erhalten bleibt. »Wir bleiben, wir verkaufen nur ein paar alte Sachen«, sagt Bri und lacht. Auch die Leute aus dem Haus freuen sich, bringen Kirschen aus dem Garten vorbei oder ein Eis für Carmen oder Bri. »Alle sagen Bri zu mir«, sagt Bri. »Um Verwechslungen zu vermeiden! Weil Brigitte gibt’s schon so oft.« Bri kennt sich aus mit Indien. Obwohl sie nie dort gewesen ist. »Ich wollte da immer hin, aber ich bin jedes Mal irgendwo anders hängen geblieben.« Kreta, Marokko, Südamerika… Aber sie war viele Jahre lang Verkäuferin im Bahia in der Zossener Straße, dann einige Jahre in dem kleinen Laden in der Friesenstraße, der sich »Südstern« nannte, und seit zwei Jahren ist sie jetzt in den Indian Vibes in der Körtestraße. »Entschuldigung… - was kostet dieser Teppich hier?«, fragt ein Mann mit Frau und deutet auf ein kleines Wunderwerk orientalischer Teppichknüpfkunst. »Oh!«, sagt Bri und lacht, »da haben Sie einen der teuersten erwischt…. – Aber warten sie mal…« - »Eigentlich wollte ich ja ein Lampe kaufen, aber der Teppich ist schon etwas Besonderes.«, sagt der junge Mann und legt den Kopf auf die Seite, um zu zeigen, dass er noch überlegen muss. Diesen Moment nutzt eine Schülerin, um nach »diesen bestickten Portemonnaies, die Sie immer hatten«, zu fragen. Bri geht voran und führt die junge Kundin zu den indischen Geldbörsen, und noch bevor sie wieder bei dem Mann mit der iranischen Knüpfkunst angekommen ist, fragt eine Frau nach indischen Seidenhosen. Es ist erstaunlich, wie viele Frauen auf der Suche nach einem neuen Outfit heute in einen Indienladen hereinschneien. Früher kaufte man Shillums zum Haschischrauchen, Patschouli, kleine Silberpfeifen, Räucherstäbchen, Henna, Zigarettenpapier, Silberschmuck. Allenfalls barfüßige Hippiefrauen verließen die Indienläden mal mit einer Seidenbluse oder einem dünnen, auf dem Boden schleifenden Baumwollkleid in der Hand. Heute kaufen hier Frauen, die auch an der Kasse des KaDeWe stehen könnten. »Im Frühjahr und im Herbst braucht eine Frau eben eine neue Garderobe.« Samstags aber kommen viele »einfach nur so« herein. Sie vertreiben sich die Zeit. Sie suchen nichts Bestimmtes, ein Souvenir vielleicht, ein Geschenk, ein bisschen Exotik. Sie sind neugierig, auf Entdeckungsreise, immer wieder gibt es in diesen Läden Dinge, die sie noch nie zuvor gesehen haben: Türgriffe in Form elegant geschwungener Delphine, von Grünspan überzogene Schlüsselbords, Schalen aus Holz und Messing, gefüllt mit Halbedelsteinen, Ohrringen und Bergkristallen, daneben hölzerne Elefanten, Katzen und vielarmige Gottheiten, kurz: Alles, was der Mensch in seiner Welt außer Teppichen und Pantoffeln sonst noch zur Gemütlichkeit braucht. Bri berät eine Kundin, die viele, sehr viele Fragen hat. Bri berät geduldig und gern. Sie kann viel erzählen, von früher, von heute, von Kreta, Brasilien, von Leuten, die bis nach Indien getrampt sind, 8000 Kilometer mit dem Daumen! Sie steht vor einem großen, leuchtenden, von feinen Goldfäden durchwirkten Wandteppich, der hinter der Theke die ganze Wand bedeckt. Ein Kunstwerk. Irgendwann hing an einer Ecke noch das Preisschild. Das haben sie kürzlich abgenommen. »Der ist unverkäuflich.« Es gibt eben Teppiche, von denen können sich nicht einmal Teppichhändler trennen. Auch nicht für sehr viel Geld. So ist ein ständiges Kommen und Gehen in dem Lädchen. Manchmal kommen sie allein, manchmal zu zweit, manchmal, meistens samstags, sind es ganze Knäuel von Menschen. Dann beginnen die alten Dielen zu knarren von den vielen Füßen, die an den Regalen mit bunten Tüchern, Decken, Kissen, Kleidern vorüberschlurfen. Nur selten ist es einmal ganz ruhig im Laden, dann hört man leise Musik vielleicht von Bob Dylan oder Miles Davis... - Bris Lieblingsmucke. |









