Mai 2025 - Ausgabe 269
Reportagen, Gespräche, Interviews
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Das Luftschloss auf dem Tempelhofer Feld
von Hans Korfmann |
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Foto: Jens Öllermann
Damit dieser Traum vom Theater Wirklichkeit werden konnte, bedurfte es nicht nur eines Mannes mit Visionen, sondern auch einer Reihe glücklicher Zufälle. Zuerst die Epidemie, die 2021 zu landesweiten Theaterschließungen führte und während der Thomas Sutter mit seiner Truppe auf der Straße auftreten musste. »Aber wir wollten raus. Wir wollten den Leuten Kultur bringen.« Ein Leben ohne Kultur ist für Thomas Sutter undenkbar. Bei einem dieser Straßentheaterauftritte traf er Gernot, einen alten Freund aus Hausbesetzerzeiten. Der erzählte ihm, dass der Senat noch einen Betreiber für ein Theater auf dem Tempelhofer Feld suchte. Sutter war sofort klar: »Auf dem Tempelhofer Feld? Das mach ich!« Doch als er dann den Senatsvertretern das erste Mal gegenüberstand, verschlug es ihm beinahe die Sprache. »So etwas habe ich noch nicht erlebt.« Das Konzept für sein Luftschloss mit einem Amphitheater samt Café und Werkstätten, Bauwagen für Technik und Requisiten, führte allseits zu energischem Kopfschütteln. Ausgeschlossen!, rief man. »Ich dachte ja, die freuen sich, dass da jemand kommt und ihnen mal kurz mal ein Theater hinstellt, und dann schaue ich in lauter versteinerte Gesichter.« Sutter war mit einer Vision gekommen, nun stand er da mit einem Stapel wertloser Papiere in der Hand. »Also, die Art und Weise, wie wir als Kulturbetrieb von der Senatsvertretung und Grün Berlin empfangen wurden…. - diese Gutsherrenmentalität…. das war unerträglich!« Er wollte schon wieder zusammenpacken und gehen, da kamen Christiane Bongartz und Monika Dierenfeld, zwei Vertreter der Bürgerinitiative, und hielten ihn zurück. Er solle nicht so schnell aufgeben, »noch keiner war so weit wie Du!« Dass ausgerechnet die beiden Frauen von 100% Tempelhof, die seit Jahren jeden noch so kleinen Quadratzentimeter Feld gegen potentielle Invasoren verteidigen, Sutter baten, ein Schloss auf dem Feld zu errichten, ist erstaunlich. Bongartz ist eine der Initiatorinnen des Tempelhofgesetzes, das nur wieder abbaubare und zeitlich begrenzte Projekte erlaubt, um schon Vorstufen einer Bebauung zu vereiteln. Thomas Sutter aber schien nicht zur Vorhut der Immobilienwirtschaft zu gehören, dieser Mann hatte einen ganz anderen Traum. Einen Traum, der den Frauen gefiel, denn ein Sommer-Theater unterm Sternenhimmel würde die Bedeutung des Feldes als einem der wichtigen Kultur- und Freizeiträume Berlins unterstreichen und eine Bebauung noch absurder erscheinen lassen. Nun stand das Tempelhofgesetz dieser Vision im Wege. Denn wer baut ein Theater, um es nach einer Saison gleich wieder abzubauen!
Foto: Jens Öllermann
Trotz der glücklichen Zufälle hat Sutter »mehr als einmal daran gedacht, alles hinzuwerfen.« Sutter ist Künstler, kein Architekt, der einen Plan in den Papierkorb wirft, um sich dem nächsten zuzuwenden. Sutter hat Überzeugungen, macht seit 40 Jahren Theater. »Aber wenn diese beiden Frauen nicht gewesen wären - das muss man echt sagen – dann gäbe es das Luftschloss jetzt nicht. Die haben mich die ganze Zeit unterstützt.« Eineinhalb Jahre dauerten die Gespräche mit dem Senat und seiner Grün Berlin GmbH. »Normalerweise braucht man für so einen Vertrag einen Vormittag.« In dieser ganzen Zeit waren die Frauen und Mathias Link bei jeder Verhandlung an seiner Seite. Im Herbst 2022 gab es auf einer Probebühne die ersten Veranstaltungen des Atze Musiktheaters, im Mai darauf fand die offizielle Eröffnung statt. Selbst auf den versteinerten Gesichtern von Grün Berlin erschien jetzt ein Lächeln. In den folgenden Tagen kamen für die jüngeren Feldbesucher Emil und die Detektive auf die Bühne, das Sams und das Neinhorn. Und da das Luftschloss nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene ist, kamen die Gorillas vom Improvisationstheater und das Kabarett-Theater Distel, es wurde Flamenco und Salsa getanzt, man hörte japanische, indonesische, italienische Musik, das Blackbird Cafe Orchestra und Capital B. Liedermacher wie Dota Kehr und Felix Meier, Max Prosa oder Meret Becker beehrten die Bretterbühne auf dem Feld. »Und alle sind begeistert und glücklich, wenn sie hier rausgehen, die Künstler ebenso wie die Zuschauer.« Ein bisschen erinnert das alles an die legendären Jahre des Tempodroms, als noch ein Zirkuszelt auf einer Brache in Berlin Künstler und Zuschauer aus aller Welt anzog. »Die Stimmung ist phantastisch.«
Foto: Alexander Huber
So berühmt wie der stinkende Käse wird Sutters Theater womöglich nie. Aber er gibt nicht auf. Immerhin hat er erfolgreich um die zehn Tische vor dem Theater gekämpft, um die Genehmigungen zum Aufstellen der Strandkörbe und zum Spannen der Sonnensegel. Und noch immer kämpft er darum, abends eine Stunde länger ausschenken zu dürfen. »Die Leute würden nach der Abendvorstellung doch gerne noch ein Glas unterm Sternenhimmel trinken. Und wir können ein paar zusätzliche Einnahmen aus der Gastronomie dringend gebrauchen. Von der Kunst allein können wir nicht leben!« Jedenfalls nicht mit Eintritts-preisen um die fünfzehn Euro! Auch nicht, wenn alle 350 Plätze im Luftschloss besetzt sind. »Wir hatten 2024 in viereinhalb Monaten 41.000 Zuschauer in 254 Veranstaltungen. Das ist ein Pensum, das ein durchschnittliches Theater in einem ganzen Jahr schafft!« Das Wirtschaften auf dem Feld ist schwierig. Das Theater bekommt keinen Cent mehr aus der Kulturkasse. Etwa 20 Leute seien vier Wochen lang nur mit dem Aufbau beschäftigt, erzählt Sutter. »Viereinhalb Monate später beginnt der Abbau. Wieder zwei Wochen. Das kostet uns jedes mal 80.000 Euro.« So viel Geld ist nicht in der Kaffeekasse. Also sprach er mit Herrn Schmidt, dem Chef von Grün Berlin. Er sagte. »Sie müssen wieder abbauen.« Er sprach mit Frau Bonde, der zuständigen Staatssekretärin: »Kennen Sie das Luftschloss?« – »Habe ich schon mal von gehört!« – »Ich muss das jedes Jahr wieder auf- und abbauen!« – »Da müssen wir was machen.«, sagte sie. Und auch, als Berlins Bürgermeister zum Drachenfest persönlich aufs Feld kam, sprach Sutter ihn an. Wegner war freundlich, darüber müsse man reden, Sutter solle sich einen Termin geben lassen. »Dann erhielt ich aus seinem Sekretariat einen mehrseitigen Brief mit einer langen Begründung dafür, weshalb dieses Treffen unnötig wäre.« Es ist eine unendliche Geschichte, Don Quichottes Kampf gegen die Windmühlen, ein Sisyphos-Kampf gegen einen Papierberg aus Bürokratie und Verwaltung. Das Problem, sagt Sutter, seien eigentlich gar nicht die Politiker. Die würden ja ohnehin alle paar Jahre ausgewechselt. Das Problem seien die Leute in der Verwaltung. Die sitzen da ein Leben lang, und an denen kommt keiner vorbei, kein Thomas Sutter und auch kein Bürgermeister Wegner. Sutter ist lange genug in diesem Geschäft, um zu wissen, wie es läuft. Bernd Mehlitz, seinerzeit Abteilungsleiter in der Kulturverwaltung, sagte mal zu Thomas Sutter: »Wissen Sie, mir ist das vollkommen wurscht, wer unter mir in der Verwaltung sitzt!« Damit, sagte Sutter, sei alles gesagt. Sutter protestiert weiter. »Ich bin leider keiner, der mit seiner Meinung hinter´m Berg hält.« Also unterbreitete er im vergangenen Herbst noch einmal seinen großen Traum vom Luftschloss. Politiker und die Firma Grün Berlin, Bürgervertreter von 100% Tempelhof und 500 vom Senat ausgewählte Bürgerinnen und Bürger, die in einem sonderbaren Verfahren verschiedene Vorschläge zur Umgestaltung und Bebauung des Tempelhofer Feldes diskutieren sollten, um den Schein eines demokratischen Mitspracherechtes zu wahren, waren zu einer Veranstaltung in die alte Abfertigungshalle des Flughafens gekommen. Politiker sprachen, hielten kurze und lange Reden, und dann kam Thomas Sutter mit neuen Plänen für den Ausbau seines Luftschlosses. Selbst die Vertretung der Bürgerinitiative dürfte geschluckt haben, als Sutter den Entwurf der Architekten mittels Projektor übergroß an die Wand warf, eines aus der Vogelperspektive wie ein Großraumflugzeug aussehendes Gebäude mit zwei Flügeln und langgezogenem Heck. Was diesem Thomas Sutter eigentlich einfalle, so ein Bauprojekt vorzuschlagen, soll man getuschelt haben. Aber wirklich böse ist ihm niemand. Er ist eben ein Visionär. Und wenn es dabei bleiben würde, bei ein paar Tischen und Stühlen unter den Flügeln und einem kleinen Innenbereich im Passagierraum seines Luftfahrzeugs, dann hätten auch die größten Zweifler in den Reihen der Feldschützer wahrscheinlich keine Bedenken gegen eine Ausweitung des Projektes. Es gab eine Zeit, da war das Feld für Thomas Sutter nur eine leere Fläche. Jetzt steht dort sein Luftschloss, ein Konstrukt aus realisierbaren Ideen, schönen Träumen und vielen Kubikmetern Holz. Aber auch, wenn dieses Schloss nicht dort stünde, würde er wiederkommen. Aus der Leere ist auch für ihn die Weite geworden. Alle, die öfter hier sind, lieben das Feld. Sogar die Leute von Grün Berlin. Und die Künstler und die Besucher im Theater sowieso.
Entwurf eines künftigen Luftschlosses
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