Kreuzberger Chronik
Mai 2025 - Ausgabe 269

Geschäfte

Die Polsterei


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von Erwin Tichatschek

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Seit 75 Jahren Meister


Der Satz steht seit ewigen Zeiten auf der Backsteinfassade des kleinen Hauses am Mehringdamm, das ein Offiziersquartier gewesen sein muss, als hier Soldaten und Pferde untergebracht waren: Polstermöbel aufarbeiten lohnt sich wieder. Wahrscheinlich schrieb Bodo Surma das schon in den Sechzigern an die Wand. »Das war mein Slogan. Weil damals alle die alten Möbel wegwarfen und neue kauften.« Der Polsterer hielt dagegen. Mit Erfolg: das Häuschen steht immer noch da und wird auch noch stehen, wenn hinter ihm die Hochhäuser des Dragoner-Areals in die Höhe wachsen. Es genießt Denkmalschutz. Wie ein Relikt aus alten Zeiten wird es da stehen.

Es ist Feierabend, aber die Klinke lässt sich noch herunterdrücken. »Ich suche diese breiten Bänder, die immer unter den alten Sofas waren. Haben Sie so etwas?« - »Sie meinen die Jutebänder, auf denen die Federn sitzen. Sieben Zentimeter breit.« - Der Kunde nickt. »Eigentlich haben wir ja schon geschlossen, aber komm´ Se ma mit.«

Die beiden Männer steigen eine knarrende Treppe hinauf in den 1. Stock. In einem der Zimmer, die vom Flur abgehen, stehen an einer Tischtennisplatte vier Männer. »Das ist mein Vater. Bodo!«, sagt Richi, sein Sohn, und deutet auf einen Spieler mit rotem Schläger in der Hand. Jeden Mittwoch nach Feierabend spielen sie Tischtennis. Bodo Surma ist »noch ganz gut. Aber mein Sohn wird immer besser.« Danach spielen sie Doppelkopf! Seit ewigen Zeiten schon.

Es sei denn, Bodo Surma ist gerade mal wieder in Prerow an der Ostsee. Da haben sie ein schönes Haus am Wald. Und da kommen sie eigentlich auch her, die Surmas, von der Ostsee, vom Darß. Der Großvater hatte in Berlin sein Glück gemacht, aber von seiner Polsterfabrik am Schlesischen Bahnhof war nach dem Krieg nichts mehr übrig. Also kehrte die Familie zurück ans Meer. Und dann starb Bodos Vater. »Der hatte sogar studiert und war Bankdirektor mit eigenem Chauffeur. Und ich hatte Klavierunterricht.« Aber das alles war nun vorbei.

Damit die junge Witwe ein Auskommen hatte, eröffnete der Großvater in den Rennbahnbaracken in Mariendorf noch mal eine Polsterei. »Ich wollte ja lieber Autoschlosser werden«, erinnert sich Bodo Surma. »So wie die meisten in meinem Alter. Ich hatte doch keine Lust, Polster für anderer Leute Ärsche zu machen.« Aber Bodo und sein Bruder mussten der Mutter helfen. Und weil die Mutter Witwe war, durfte Bodo schon mit 23 die Meisterprüfung als Polsterer und Dekorateur machen. Ausnahmsweise. Und sie haben ordentlich losgelegt und waren bald zu acht in den Holzverschlägen neben der Trabrennbahn.

Aber dann wurden die Baracken abgerissen. Sie mussten umziehen, an den Mehringdamm. »Das war schon ein Akt des Mutes.« In Mariendorf zahlten sie 800 Mark, jetzt fast das Zehnfache. »Hier war vorher ne Maschinenfabrik drin, alles voller Öl, wir mussten sämtliche Böden rausreißen.« Aber es dauerte nicht lang, da waren sie schon fünfzehn in der Werkstatt. »Das ist für´n Handwerk viel!«

Der Polsterer hatte einen guten Ruf, sogar die Frau von Axel Springer kam mit einem Sessel vorbei. Inzwischen dürfte der alte Surma der älteste Polsterermeister Deutschlands sein. Es gibt wohl kaum noch einen, der seit 1962 den Meisterbrief in der Tasche hat und immer noch arbeitet. Während hinten im großen Saal zwei Näherinnen und drei Polsterer an riesigen Tischen mit riesigen Nähmaschinen stehen und nähen, schneiden, leimen oder füllen, sitzt der Senior in seinem Büro mit der elektrischen Schreibmaschine und beugt sich über die dicke Kladde mit der Buchhaltung. Die gibt er nicht aus der Hand. Die Buchhaltung ist das Wichtigste. Die muss stimmen.

Eigentlich wollte er Autos machen. Jetzt macht er Sessel und Sofas. Seit 63 Jahren! »Aber so ist das Leben, es plätschert dahin. Ick nehm et hin und verdien´ jetzt halt mit Polstern mein Geld. Wir haben gut verdient.« Er hat ein Haus, der Sohn hat ein Haus, und dann ist da noch Prerow, die alte Heimat. »Das ist doch wunderbar!«

Polsterei Surma in den Sechzigerjahren
Polsterei Surma in den Sechzigerjahren - Foto: Privat

Polsterei Surma
Foto: Dieter Peters

Polsterei Surma
Vater und Sohn - Foto: Dieter Peters

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