Kreuzberger Chronik
Mai 2025 - Ausgabe 269

Mühlenhaupts Erinnerungen

Die kleine Maus


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von Kurt Mühlenhaupt

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Es waren hauptsächlich die Nächte, die ich für mich brauchte. Da hatte ich meine Ruhe. Die paar Stunden, die ich zum Schlafen nötig hatte, fand ich vormittags. Wie verbrachte ich nun die Nächte? Natürlich mit Malen. Aber ich war noch immer durcheinander und längst noch nicht gefestigt. Ich malte lange Zeit meine Bilder noch aus Opposition gegen Hitler. Später in Anlehnung an das, was von Amerika herüberschwappte. Aber war ich das überhaupt? War es nicht besser, in der eigenen Umgebung zu suchen? Was waren eigentlich meine Farben?

Eine Maus besuchte mich und trug in ihrem spitzen Maul einige Papierschnipsel. Sie kletterte und balancierte die Regale entlang. Das wiederholte sich mehrere Male. Die Mäuse sind grau, die Hinterhöfe und die Haare der alten Leute sind grau. Grau sind auch meine Lumpen in der Trödelhandlung. Und vieles war auch schon grau auf meinen Bildern. Nun wusste ich, wo es herkam. Wie von einem Magneten angezogen, tunkte ich immer wieder in den grauen Farbtopf.

Es war lange an der Zeit, schlafen zu gehen. Ich suchte nach meinem grauen Hut. Aber an jenem Tag fand ich ihn nicht. Darum ging ich ohne ihn nach oben. Als er an einem der nächsten Tage wieder auftauchte, lagen zehn kleine, nackte, rosige Mäusebabys in meinem Hut. Mit Mäusebabys kannte ich mich aus. Sie waren noch nackt, nur die tiefschwarzen Augenpunkte verrieten ihre Abstammung. Ich wollte das Mutterglück nicht stören und lief eine Weile ohne Hut umher. Dann war ich aber doch neugierig, und als ich mich vorsichtig meinem Hut näherte, hatten sie schon Augen und ein richtiges graues Fellchen.

Als ich sie so hilflos liegen sah, wollte ich sie einmal in die Hand nehmen und streicheln. Aber ich hatte nicht daran gedacht, dass es ja wilde Mäuschen waren. Kaum näherte ich mich, sprangen sie Eine nach der anderen in Windeseile an meiner Nase vorbei in die Freiheit. Ich war so verdattert! Das Nest war schnell leer.

Übrigens, den kleinen grauen Mäusen haben es die Sammler zu verdanken, dass es drei Bilder gibt, auf denen sich der Meister ohne Hut dargestellt hat.




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