Kreuzberger Chronik
März 2025 - Ausgabe 267

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Der Major


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von Bernd Schulz

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Sammlung Bernd Schulz

Im November 1974 stand er plötzlich da: Der durchnässte Mantel war zu groß und eine Tasche hing runter. »Ein Bier!« - »Was denn für eins?« – »Das billigste!«

Als er näher kam, sah ich die Augenringe und das Zittern der rechten Hand. Ich hab gestaunt, wie schnell er das Glas leerte und nach einem neuen fragte. Ich dachte noch, was essen wäre wichtiger, aber er wollte Bier, setzte sich zu den anderen an den großen Tisch und mir schien, die kennen sich alle, die Stimmung wuchs von Glas zu Glas.

Am nächsten Abend fragte mich einer: »Kanntest du den von gestern, den mit dem kaputten Mantel?« – »Nee, nie gesehen…« – »Mann, Alter, das war der Major. Der Maler!«

Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass einer, der dermaßen zitterte, noch malen konnte. Aber der konnte. Der war richtig gut. Er wohnte in der Ebersstraße in Schöneberg, im Hinterhof, kaum Licht. Deshalb war er oft bei dem Karl Heinz Grage in seiner riesigen Atelier-Wohnung in der Feurigstraße. Karl Heinz Grage war Stammgast in der Nulpe. Er gehörte zur dieser Künstlerclique um Rudi Lesser, Peter Blaar, Charly V… - und wie die alle hießen. Der Major tauchte nur selten bei mir auf.

Aber ich bin einmal in der Feurigstraße gewesen, wir wollten eine Ausstellung zusammen machen. Und da dachte ich mir, ich schau mir mal an, was die so machen, und suche was aus. Es gab einen riesigen Lastenfahrstuhl, der hielt direkt im Atelier. Alles voller Linol- und Holzdrucke, stapelweise, auch vom Major. Die haben da ganze Nächte durchgearbeitet. Danach kamen sie zu Fuß in die Nulpe, Kilometer...

Die Ausstellung haben wir gemacht, 1975, aber verkauft wurde nicht viel. Nur gebechert. So war das eben damals. Aber wer der Major war, wusste ich eigentlich immer noch nicht. Der redete nicht viel. Der malte nur und trank. Und ich bin dann 1978 weg aus der Nulpe und erst 1992 wieder zurückgekommen. Und da sagt plötzlich einer: »Du, stell dir vor, da ham´se zwei Maler erschlagen. Auf ´ner Parkbank«.

Erst später erfuhr ich, dass einer von ihnen der Major war. Ich habe überall gefragt, wer noch was wusste von ihm. Seine Geschichte beginnt so um 1940 in einem Dorf bei Dresden, der Vater war im Krieg geblieben, die Mutter allein mit dem Kleinen, irgendwo im Elbsandsteingebirge, schöne Gegend. Vielleicht hat er schon da zu malen begonnen, trotzdem wollte er weg, er wollte Künstler werden, nicht Schlosser oder so was. 1960, da stand die Mauer noch nicht, fuhr er nach Berlin und begann an der HDK zu studieren. Dort lernte er Karl Heinz Grage kennen, die beiden verstanden sich sofort.

Eigentlich hieß der Major Hagen Knuth. Während des Studiums arbeitete er nebenbei als Hausmeister oder Bote, von Malerei konnte man nicht leben. Irgendwer in der Nulpe soll gesagt haben: »Du, die Engländer suchen Deutsche, die bei ihnen in der Kaserne arbeiten. Wär das nichts für dich? Die zahlen gut.« Als Hagen Knuth das nächste Mal in der Kneipe auftauchte, fragten sie ihn: »Na, Herr Major, wie geht’s Ihnen denn da oben in der Kaserne?« Seitdem war Hagen der Major.

Und dreißig Jahre später höre ich, dass zwei Neonazis mit einem Baseballschläger auf ihn eingeschlagen haben. Auf ihn und seinen Freund Günter Schwanneke, auf ´ner Bank am Pestalozziplatz, wo sie mit ein paar Bierchen Geburtstag feierten. Schwerverletzt wurden sie ins Krankenhaus eingeliefert, wo Schwanneke am 5. September 1992 verstarb. Hagen Knuth lag wochenlang im Krankenhaus und konnte auch nach sechs Monaten noch keine Aussagen zum Tathergang machen. Einer von den Nazis kam frei, der andere ging für sechs Jahre in den Knast. Ein Stammgast aus der Nulpe erzählte, dass auch der Major bald starb, 1994 in einer Notunterkunft in der Ohlauer Straße. Aber niemand dort kann sich an einen Maler erinnern.

An Günter Schwanneke erinnern eine Gedenktafel am Pestalozziplatz und ein Eintrag bei Wikipedia. An den Major erinnern noch einige Drucke von ihm in meinem Zimmer. Und nun auch dieser Text zu Ehren des Majors.

Selbstbildnis »Der Major« - Sammlung Bernd Schulz



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