März 2025 - Ausgabe 267
Geschäfte
Blomquist oder Blomqvist ![]() von Isabelle Mayer |
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Das Problem mit den Namen![]() Seit den Sechzigerjahren prägen die Plastikkisten der türkischen Obst- und Gemüsehändler mit Tomaten und Paprika, Mandarinen und Bananen das Straßenbild Kreuzbergs. Asiatische Blumenhändler verwandeln das Trottoir vor ihren Schaufenstern in blühende Gärten, Besitzer von Secondhandläden rollen ihre Kleiderständer mit den Jeans vor die Tür und vor Woolworth stehen Wühltische mit T-Shirts und Turnschuhen, Blumentöpfen, Gießkannen und Schaufeln. Es wird Frühling. Schreibwarenläden packen Kalender, Aktenordner und Druckpapier nach draußen, selbst Installateure scheuen nicht davor zurück, vor ihren reizlosen Schaufenstern drei Stahlkörbe mit Plastikrohren, Muffen oder Hanf auf die Straße zu räumen, um sich nachhaltig im Gedächtnis der Nachbarschaft einzuprägen für den Fall, dass die Hausverwaltung sich nicht zurückmeldet, wenn es irgendwo tropft und Mann oder Frau den Abfluss selbst abdichten müssen. Das viele Hin und Her, das ständige Hinein- und Hinausräumen der Ladenbesitzer scheint sich zu lohnen. Ware auf der Straße erregt die Aufmerksamkeit. Anders als in ländlichen Regionen, in denen die Einkaufsstraßen von digitalen Marktplätzen abgelöst wurden, zieht es den Städter im Frühling zum Shoppen noch immer gern hinaus auf die Straße. Besonders anziehend sind die Kisten vor Buchhandlungen und Antiquariaten. Sobald die Sonne zu wärmen beginnt, verlassen die Bücherwürmer ihre Winterquartiere, kriechen aus Ohrensesseln und von den Chaiselongues und bewegen sich zielstrebig und ohne einen einzigen Blick übrig zu haben für Obst und Gemüse, grüne Plastikgießkannen oder graue Plastikrohre, auf die Bücher zu. Schon um zehn, wenn »Harry« mit seiner Nickelbrille den bis zum letzten Quadratzentimeter mit handverlesenen Schätzen der Literatur angereicherten Laden öffnet, fällt die Morgensonne auf die Bücherkisten in der Körtestraße. Auch vorm Antiquariat am Mehringdamm mit seinen großen Bildbänden schaut die Sonne früh vorbei. Zwei, drei Stunden später steht sie dann vor Hammett und Kommedia. Ebenso wie vorm »langen Blomqvist« am Marheinekeplatz, wo, wenn der Ostwind weht, auch der Querkopfverkäufer Schneidewind steht, und öfter auch ein alter Kreuzberger, der mit einem Rotkohlkopf unterm Arm oder einer Tüte Kartoffeln gerade vom Biomarkt nebenan kommt. Jedes Mal nach dem Einkauf bleibt er vor der Kiste mit den Diogenes Taschenbüchern stehen, um sie mit grimmiger Miene durchzusehen. Einmal ist er sogar hineingegangen und hat gefragt, ob es das Hörbuch von Tucholsky noch gebe, Schloss Gripsholm, gestern sei es noch im Karton gewesen. Die Verkäuferin durchsuchte im Ladeninneren zwei Boxen mit Hörbüchern. Ohne Erfolg. Es war tatsächlich die letzte CD gewesen. Das täte ihr leid, sie habe das Buch auch einmal gelesen und viel lachen müssen, sagte die junge Frau. Der mürrische Alte wurde freundlicher und sagte, er habe es schon drei Mal gelesen. Woraufhin die Verkäu-ferin nach hinten ins Lager ging und auch dort noch einmal alles durchsuchte. Das Hörbuch war tatsächlich vergriffen! Der Grauhaarige schien trotzdem zufrieden zu sein. Es stehen aber nicht nur alte Männer vor´m oder im »langen Blomqvist«, es sind eher Kreuzbergerinnen, die aus dem Biomarkt kommen oder vom teuren Frisör nebenan mit seinen drei Stühlen auf 150 Quadratmetern. Junge Mütter zum Beispiel. Sie haben von der großen Kinderbuchabteilung im »langen Blomqvist« gehört. Manche fragt eine von ihnen nach Kalle Blomquist, dem Artverwandten von Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga. Doch mit Astrid Lindgrens Kalle Blomquist, der so gern im Garten unterm Apfelbaum lag und seinem Freund von seinen Abenteuern als Meisterdetektiv vorflunkerte, hat der »lange Blomqvist« nichts zu tun. Kalle ist bei seinem ersten Fall erst 13 Jahre alt und noch ziemlich kurz. Langer Blomqvist verdankt seinen klangvollen Namen weder der berühmten Kinderbuchfigur noch einem außergewöhnlich groß gewachsenen Schweden. Er verdankt ihn den Großmüttern der zwei Geschäftsgründer, die die Familiennamen Langer und Blomqvist trugen. Astrid Lindgren wiederum fand den Namen für ihren Meisterdetektiv offensichtlich in den Papieren ihrer Eltern: Ein gewisser Pastor Blomquist hatte das Elternpaar einst getraut. Auch Astrid Lindgrens Kinderbuch ist leider nicht im analogen Sortiment, obwohl Langer Blomqvist eigentlich ein Antiquariat ist, in dem das Buch aus dem Jahr 1953 gut aufgehoben wäre. Doch es handelt sich bei Langer Blomqvist eben um kein gewöhnliches, sondern ein »modernes Antiquariat«, in dem es keine vergilbten Seiten zwischen klapprigen Buchdeckeln mehr gibt, sondern Bücher, die kürzlich noch im Handel waren, aber nicht ausverkauft wurden. Einige dieser Restposten-Antiquariate nennen sich jetzt »Modernariat«. Es ist ein Durcheinander mit diesen neumodischen Namen! »Aber wir können den Kalle Blomquist natürlich gerne für Sie bestellen!«, sagt die freundliche Buchverkäuferin zur Mutter. Und das ist vielleicht das Wichtigste an dieser ganzen Geschichte: Es gibt den Kalle noch! |