März 2025 - Ausgabe 267
Mühlenhaupts Erinnerungen
Der längste Strich der Welt ![]() von Kurt Mühlenhaupt |
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Als in der Zinke »Der längste Strich der Welt« gezeigt wurde, geriet ich in helle Aufregung. Dabei konnte ich mir nichts darunter vorstellen. Stunden vor der Zeit war ich deshalb schon in der Galerie. Hier sah ich nun den langen Strich. Er war auf Klopapier gemalt und setzte sich auf 100 Rollen endlos fort. Ich durfte sogar helfen, ihn aufzuhängen. Besonders schwierig war es, die richtigen Anknüpfungspunkte zu finden, damit eine ordentliche Besichtigung möglich war. Hier sah man, wie ernst ihnen die Sache war. Nach der Eröffnung gehörte es zur Pflicht eines Besuchers, ihn zu verfolgen und abzulaufen, jedenfalls bis zu der Kiste, in der noch weitere 13 Rollen lagen. Die Ausstellung war gut besucht, man rannte sich die Köpfe ein. Die Besichtigung fing bei Günter Bruno Fuchs an und endete dort wieder. Hier gab es einen großen Stau. Die Verstopfung war geplant, denn hier wartet G.B.F. mit einer riesigen Flasche, die fast eben so groß und dick war wie er. Sie war aus Pappmaschee und etwa eineinhalb Meter hoch. Ihr Baumeister war Günther Anlauf. Da sich oben ein Schlitz befand, war es leicht zu erraten, welchem Zweck sie diente. Zum Geld hatten die Zinke-Leute kein Verhältnis. Aber so lange es noch nicht abgeschafft war, mussten auch sie damit ihre Mieten bezahlen. Der einzige, der es regelmäßig verdiente, war Günther Anlauf. Er war mit Restaurierungsarbeiten im Schloss Charlottenburg beschäftigt. Aber ihm war nicht zuzumuten, ständig alles zu bezahlen. Also versuchte man, sich auf irgendeine Weise Geld zu verschaffen. Da lag es nahe, ein Kunstwerk zu verkaufen. Aber ließ sich »Der längste Strich der Welt« verkaufen? Da kam Günter Bruno Fuchs auf die Idee, ihn sozusagen blattweise in Geld umzuwandeln. Andererseits wurde verkündet, dass der längste Strich der Welt hinterher in eine große Zinkkiste verpackt und vor der Küste Jütlands versenkt werden sollte. Wem fiel es auf, wenn ein paar Blatt fehlen? »Kurt, was sagst du dazu?«, fragte G.B.F. »Du bist doch ein praktischer Mensch.« - »Wenn du einen praktischen Menschen fragst«, gab ich zur Antwort, »dann muss ich dir sagen, es kommt darauf an, was am nötigsten gebraucht wird: Kunst, Geld oder Toilettenpapier.« - »Dann eben alles zu seiner Zeit«, sagte G.B.F. Damit war die Sache entschieden. »Die Herren, die gerade den längsten Strich besichtigt haben, sind doch aus Charlottenburg?«, fragte G.B.F. »Da kann es doch nicht schaden, wenn ich Ihnen ein paar Meter von dem teuren Klopapier verkaufe.« Es folgte ein brüllendes hahaha und tatsächlich wurde er zwei Blatt los. Aber dann war der Ofen wieder aus und er musste sich damit vergnügen, von dem einen oder anderen eine Flaschenspende abzufordern. »Du bist nicht immer gleich freundlich zu deinen Wohltätern!«, sagte ich. »Woher willst du wissen, was dir da einer in die Flasche wirft? Ich meine, wenn du dich überhaupt nicht davon beeinflussen lässt...« »Das höre ich doch, Geliebter«, sagte er. »Du wirfst da mal ganz schnell fünf Mark in die Flasche, dann weißt du in Zukunft auch Bescheid!« Den Gefallen tat ich ihm nicht, denn ich hatte keine fünf Mark… |