Juni 2025 - Ausgabe 270
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Kreuzberger
KO - J 619 Vollpfosten, Penner, Idioten ![]()
von Joachim Jung
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Ich bin längst ein alter Kreuzberger. Aber manchmal habe ich noch Sehnsucht nach dem Westerwald. Nach der Schönheit und Ruhe dieser Landschaft. Wenn ich daran denke, wie mein Fahrer mit mir die hügeligen Straßen befuhr, damals um 1977 herum, und mir eine herrlich frische Brise um die Kühlerhaube blies: Wunderbar! Mein Fahrer hatte mich gerade vom Erstbesitzer erstanden. Ich war zu dieser Zeit zwar auch nicht mehr fabrikfrisch, hatte schon meine zwanzig Jährchen auf dem Getriebe, was für meinesgleichen ja schon beachtlich ist - das durchschnittliche Betriebsalter meiner Kollegen liegt bei zehn Jahren! Aber damals schaffte ich die Berge spielend und war noch bedeutend fitter als heute, wo ich schon keuchen und ächzen muss, wenn mich mein Gasgeber um die Goldelse karjolt. Und die anderen im Kreisverkehr fast aus der Spur rollen, wenn sie meiner angesichtig werden. Fahren im Westerwald, das ist lange her. Dann zogen wir um nach Berlin. In dieses Monster. Ja genau: Monster. Weil das Leben für einen wie mich in der Großstadt viel zu anstrengend ist. Zu viele Kollegen, zu viele Staus, zu viele Raser, von allem zu viel. Und Stress für meinen Fahrzeughalter mit Behörden und allerlei Genehmigungsverfahren. Leben und Fahren in der Großstadt ist nicht mein Fall. Vor allem, weil mich alle so anglotzen, die Zweibeiner, aber auch meine Verkehrsgenossen, die Vierrädrigen. Und die Luft! Verpestet von den angeblich so verbrauchsarmen und abgaswertoptimierten Kollegen. Was Luftreinheitswerte anbelangt, kein Vergleich mit dem Westerwald. Oh du schöner…. Aber was soll ich machen? Mein Herrchen zieht sein Ding durch und ich muss wohl oder übel mitspielen. Alle seine Freundinnen habe ich überlebt! Mich hat er behalten. Mein Lenker kennt mich eben, bis zur letzten Schraube. Er weiß, wann ich ein paar Tropfen Benzin in den Vergaser brauche, um starten zu können. Er kann abschätzen, was er meinen Bremsen zumuten kann, steuert mich immer sicher durch meinen Kiez. Das alles ist viel wert, das ist mir klar. Aber ob das wirklich echte Zuneigung ist? Ich habe meine Zweifel daran, dass es dieser emeritierte Professor für Fahrzeugtechnik wirklich gut mit mir meint. ![]() »Mein Name steht für Kraft, Ausdauer und Durchhaltevermögen: Opel Olympia« - Foto: Dieter Peters
Als ob ich ein Laborfahrzeug wäre, Versuchsopel. Als ob mein Gasgeber ein Experiment mit mir durchführen wollte. Wie lange ich noch durchhalte, ohne Pflege, ohne Wäsche, ohne Auswechseln von rostigen Teilen. Was fällt ihm eigentlich ein, mich nie zu waschen? Frechheit! Und ich muss das alles ertragen: Das Moos unter den Scheibenwischern, den Rost an meinen Flanken, die durchgesessenen Sitze. Einmal maßte sich ein Kirschbäumchen an - die Folge eines respektlos in meine Regenrinne gespuckten Kerns - zwischen dem Moos seine Wurzel auszutreiben. Dem Gegenwind sei Dank, wurde es fortgeweht. Und wie wurde ich im Lauf der Jahre schon malträtiert: Nächtliche Rüpel haben mir das Typenschild abmontiert und die Türgriffe abgerissen. Einer von diesen unsäglichen großstädtischen Spraydosenschwenkern hat sich mit roter Farbe und leider nicht sehr ausdrucksstarkem Gekrakel an mir vergangen. Leider existiert keine Behörde, auf der man sich beschweren kann über eine derartige Behandlung. Warum gibt es keine Gesellschaft für bedrohte Vierrädler? Es gibt 1677 bedrohte Tierarten in Europa, aber nicht eine bedrohte Automobilart! Als Opfergruppe sind wir Schrottlauben eindeutig vernachlässigt. Eigentlich habe ich mit meinen fast 70 Lenzen und den Alters-flecken auf meiner Blechhaut mittlerweile die geeignete Tarnfarb- gebung fürs Gelände, also auch für Wald. Laubwald zum Beispiel, denn auch das gesprayte Rot an meiner rechten Flanke hat sich im Verbund mit Grün und Braun zur passablen Camouflage vereinigt, so dass ich im rotbraunen Herbstwald nicht auffallen würde. Könnte ich mir als Ende auch vorstellen, einsam unter einer Rotbuche dahinzudämmern ins Nirwana aller Wracks. Alternativ könnte man mich zum Militär überstellen. Am besten auf ein Übungsgelände der Bundeswehr im Westerwald. Da könnten sie mich als feindliches Gefährt ins Gelände stellen und als Zielobjekt für die Artillerie nutzen. Vielleicht träfe mich dann eine Granate und er-löste mich von dem ganzen Elend. Aber es gibt keine Sterbehilfe für Vierrädler, außer vielleicht der Schrottpresse, von der viele Passanten sowieso meinen, dass ich dorthin gehörte. Aber zerquetscht werden möchte ich dann doch wieder nicht, dann schon lieber Granate. Meine Berliner Heimat ist der Gräfekiez in Kreuzberg. Zumeist stehe ich an der Schönleinstraße oder den angrenzenden Rollpfaden. Keine schlechte Gegend. Manche Zweibeiner bleiben anerkennend stehen und zollen meinem Alter Respekt. Es gibt Kenner der Automobilgeschichte, die dann mit ihrem Fachwissen vor ihren Begleiterinnen glänzen. Eine Form der Eitelkeit, gleichwohl Labsal für meine Motorseele. Welches Wesen kommt schon ohne Anerkennung aus? Aber Respektlosigkeiten kann ich nicht ertragen, weder bei Draufgängern im Verkehr - vor allem bei den Gasgebern von Kollegen mit dem weissblauen Abzeichen, den vier Ringen oder dem Stern - noch in Bemerkungen, wenn unverschämte Jungzweibeiner sich über mein Nummernschild, KO – J 619 mokieren: »Kiek ma, det Auto hat ‘n Schild mit KO, jenauso sieht et ooch aus, wa, voll ko!.....« Hahaha, hihihi, Grölen und Schenkelklatschen. Ihr Vollpfosten! Penner! Idioten! KO steht für Koblenz, eine Stadt am Rande vom schönen Westerwald. Noch nie wat von jehört, wa, det sieht euch ähnlich. Doof jeborn und inne Schule nich uffjepasst, aber gloob‘n, voll den Durchblick zu ham. Da kiekste, wa, Berlinern kann ick ooch, wenn ick will, aber eigentlich will ich gar nicht, weil ich Berlin, wie schon gesagt, zu prollig finde. Immer öfter höre ich zum Beispiel auch: O my god, look at this heap of garbage. How can they allow this junk to be still on the road? - Ich kann zwar kein Englisch, aber ich vermute, es bedeutet nichts Gutes, den geringschätzigen Blicken der Zweibeiner nach zu urteilen. In meiner Jugend gab es auch schon abschätzige verächtliche Bemerkungen. Jeder Popel fährt ‘nen Opel, hieß es damals. Irgendein Schnösel vom Ordnungsamt hat das auch mal gesagt und kam sich besonders lustig vor bei seinen Kollegen. Die vom Ordnungsamt lassen einen leider auch nicht in Ruhe. Alle Neese lang spazieren die vorbei und im Schulterschluss mit der Polizei versuchen sie, mich aus dem Verkehr zu ziehen, meinem Gasgeber die Zulassung zu verweigern. Grund: ich sei nicht mehr verkehrstauglich. Aber mein Gasgeber hat bis jetzt standgehalten. Bis heute hat er es geschafft, dass ich immer eine gültige TÜV-Plakette habe, was ich ihm ja eigentlich hoch anrechnen müsste. Und was ich auch garantiert täte, wenn er sich ordentlich um mich kümmern würde. Das heißt: waschen, polieren, saugen. Aber er macht es nicht. Dabei bin ich doch etwas Besonderes, ein fast 70 Jahre altes, noch immer fahrtüchtiges Auto, das tapfer durchgehalten hat bis heute. 1956er Baujahr! Das war das Jahr der Olympiade in Melbourne, Australien. Daher mein Name: Opel Olympia. Und Olympia steht für Kraft, Ausdauer und Durchhaltevermögen. Werte, an die ich fest glaube und die mir über alle Zurücksetzungen hinweghelfen. Haltet Ausschau nach mir, wenn Ihr im Graefekiez seid! ![]() Foto: Dieter Peters
![]() Foto: Dieter Peters
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