Juni 2025 - Ausgabe 270
Geschichten, Geschichte, Gerüchte
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Alexander Girardi in der Luisenstadt
von Werner von Westhafen |
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Alexander Girardi und Alfred Schönfeld - Foto: Archiv AGB
Immer wieder konnten die Vorkreuzberger auf den Plakaten und Programmen des Thalia Theaters große Namen lesen, Namen wie Erwin Piscator oder Gerhart Hauptmann. Ein besonderes Ereignis aber war das Gastspiel des österreichischen Bühnenstars Alexander Girardi, für das Theaterdirektor Alfred Schönfeld eigens einen Fotografen kommen ließ, um sich hinter dem Star auf einer fellbelegten Chaiselongue zu drapieren. Ob Girardis geniale Slapstickeinlagen auch den Berlinern Tränen in die Augen trieben oder ob sie diese merkwürdige Fremdsprache kaum verstanden, darüber gibt keine Zeitungsnotiz mehr Auskunft. Lediglich eine Ankündigung des »populärsten Komikers Oesterreichs«, der an der Seite des Walzerkönigs Johann Strauss der Wiener Operette zu ihren großen Erfolgen verholfen« hat, ist noch zu finden. Unabhängig davon, ob die Luisenstädter ihn verstanden oder nicht: Sie wollten ihn sehen. Seine Erfolgsgeschichte war spannend wie ein Roman, schön wie ein Märchen und über die Grenzen hinweg bekannt. Weshalb das Leben des »Volksschauspielers, der sich gegen plumpe Bühnenkomik wehrte« und mit »bissigen Ausfällen gegen die damals herrschende Oberschicht« zum Publikumsliebling avancierte, unter dem Titel »Der Komödiant von Wien« 1954 verfilmt wurde. Geboren wird Alexander Girardi 1850 in Graz als Sohn eines Einwanderers aus Cortina d´Ampezzo in den italienischen Alpen. Der Vater stirbt früh, Alexander muss nach der 3. Klasse die Schule verlassen und betritt als Schlosserlehrling erstmals ein Theater, um Reparaturen durchzuführen. Fasziniert von der Bühne schließt er sich einer Schauspieltruppe an, schon sein erster Auftritt sorgt für Aufmerksamkeit. Der Film beginnt mit der Ankunft Girardis in Wien 1871, wo er, den Schirm in der Hand wie Chaplin seinen Stock, geradewegs ins Theater marschiert und zwischen eine Gruppe leicht bekleideter Tänzerinnen im Backstage gerät. Schon steht auch er auf der Bühne und soll vorsprechen. In drei Minuten spielt er sein Leben vor, in der Rolle des Vaters, des Lehrers, des Sohnes, der Mutter, und wird sofort engagiert. Doch er gerät an einen gewissen Schweighofer, einen großen »Komiker, der keinen Spaß versteht!« Als die Beiden gemeinsam auf der Bühne stehen, macht sich Girardi über den berühmten Gegenspieler lustig und bringt den ganzen Saal zum Lachen. Doch der Italiener wird für seine Improvisation bestraft und bekleidet bei der nächsten Aufführung nur noch eine Statistenrolle. Obwohl er nur noch einen einzigen Satz zu sagen hat, bringt er abermals das Haus zum Toben. Und wird abermals zum Direktor zitiert: »Sie haben ja die Leute schon wieder zum Lachen gebracht!« - Er antwortet: »Entschuldigen Sie, dass die Leute über mich gelacht haben.« Girardi ist kein gelernter Schauspieler, er ist ein Naturtalent. Einer, der jeden zum Lachen bringt, die Zuschauer im Theater ebenso wie die Leute auf der Straße. Wenn sich Girardi als betrunkener Kellner mit Tablett einem Tisch nähert, ist das komischer als im Dinner for One. Und er ist nicht nur Schauspieler, er versteht auch etwas von Musik. Er textet. Als er im Theater an der Wien auf Johann Strauss trifft, der sich über die Inhaltslosigkeit eines Stückes ärgert, schlägt er Strauss vor, dem Ganzen noch einen flotten Walzer hinzuzufügen. Das Stück vom lustigen Krieg brauche einen Titelsong, einen Schlager. Der große Strauss ist entrüstet über den Vorschlag des kleinen Schauspielers, lenkt aber ein, als Girardi damit droht, die Rolle hinzuwerfen. Im Film legt der berühmte Komponist dem Komödianten Girardi daraufhin drei Walzer vor, doch da der Schlosser keine Noten lesen kann, muss Strauss ihm die Stücke »auch noch vorspielen.« Den Text zu diesem Walzer dichtet er zusammen mit einem Freund während eines Landausflugs, als sie eine von jungen Offizieren umgebene Gräfin beobachten, deren Kutscher eine Rast einlegt: Nur für Natur / hegte sie Sympathie / unter Bäumen / süßes träumen / liebte Gräfin Melanie.... Nicht nur im Film, auch bei der Uraufführung am 1. Dezember 1881 musste dieses Lied drei Mal wiederholt werden. Und avancierte zum Gassenhauer, der in allen Wiener Straßen zu hören war. Natürlich war das Leben des Bühnenstars turbulent und umgeben von schönen Frauen. Aber seine große Liebe war die Bühne, in einem seiner Lieder singt er: Heiter, lustig, ohne Sorgen leb ich in den Tag hinein / niemand braucht mir was zu borgen, schön ist´s, gut bedient zu sein. / Erstens bin ich zart gewachsen, wie der schönste Mann der Welt / alle Säck hab ich voll Matzen, was den Mädchen sehr gefällt / Zweitens kann ich viel ertragen, habe einen frommen Sinn / vom Verstand will ich nix sagen, weil ich zu bescheiden bin. / Drittens kann ich prächtig singen, meine Stimme gibts so aus / und kaum lass ich sie erklingen, laufens alle schnell hinaus. / Viertens kann ich schreiben, lesen, hab vom Rechnen keine Spur / bin ein Tischlerg´sell gewesen und ein Mann von Politur! / Fünftens, sechstens, siebtens, achtens/ fällt mir wirklich nichts mehr ein / darum muss meines Erachtens / auch das Lied zuende sein. Am Schluss des Filmes, in dem Karl Paryla nicht nur die Regie führte, sondern den von ihm verehrten Girardi kongenial spielte, meldet sich unerwartet noch ein Erzähler zu Wort: »Er, der Komödiant, hat den Reichtum der friedlichen Poesie dem Hass und der Armut des Krieges entgegengehalten.« Leider vergeblich. 1908, als die Kanonen zu donnern begannen, zog sich Girardi von der Bühne zurück. Sein Auftritt in der Dresdener Straße war einer der letzten. Girardi starb 1918, kurz vor dem Ende des 1. Weltkrieges. H. K. |









