Kreuzberger Chronik
Juni 2025 - Ausgabe 270

Geschäfte

Hammett


linie

von Ina Winkler

1pixgif
Christian Koch vor seinem Laden Hammett
: Dieter Peters
Dreißig Jahre sind lang. Dreißig Jahre hält kaum ein Laden mehr durch in Kreuzberg. 9000 Euro Miete hat man, Erzählungen zufolge, vom letzten türkischen Gemüsehändler in der Bergmannstraße verlangt. Da werden Kartoffeln und Tomaten zum Luxusartikel. Über 40 Jahre war Satici mit dem Obst auf der Straße, er war die Alternative zu Markthalle und Supermärkten. Seit Mai besteht die Alternative nur noch aus Biomärkten.

Dreißig Jahre sind lang, nicht nur für Obst- und Gemüsehändler, auch für Buchläden. Trotzdem gibt es an der Bergmannstraße eine Anhäufung von Buchläden. Da sind Kommedia, Otherland, Langer Blom-qvist, die Andenbuchhandlung und das riesige Antiquariat der zwei Bücherwürmer an der Schenkendorfstraße. Und natürlich in der Friesenstraße die älteste Buchhandlung im Kiez und die zweitälteste Krimibuchhandlung Europas: Hammett. Im Juni feiert Hammett den 30. Geburtstag.

Dass es Hammett noch gibt, liegt an Christian Koch. Er ist nicht nur ein guter Buchhändler, er ist auch ein guter Nachbar. Einer, mit dem man im Hausflur, auf der Straße, in der Kneipe, auf Beerdigungen, vor der Wahlurne, wo und wann auch immer, in´s Gespräch kommt. Nicht nur über Kriminalromane, sondern über Gott und die Welt. Das, was so passiert. Koch sagt: »Ich liebe Geschichten.«

Nicht nur die, die in Büchern stehen. Auch die, die man erlebt. Ganz alltägliche, unscheinbare, sensationslose Geschichten, die aber, wenn man genauer hinsieht oder hinhört, einen zum Lächeln oder zum Nachdenken bringen. Manchmal geht Koch nach Feierabend zwei Häuser weiter zu Wolf vom Fantasy-Buchladen Otherland. Auch der inter-essiert sich nicht nur für literarische Fiktionen, er ist ein guter Zuhörer, wenn Koch kommt und erzählt. Irgendwann sagte Wolf zu ihm: »Du solltest mal einen Podcast machen!« Seit März gibt es den, da plaudert Koch im Krimi-Duett mit der Autorin Carolin Frey über kriminelle Geschichten.

»Früher!«, sagt Koch, »zogen die Leute über die Dörfer oder saßen neben Schlangenbeschwörern auf dem Markt und erzählten Geschichten.« Heute hören sie Podcasts. Oder sie gehen eben kurz mal bei Hammett vorbei. Irgendjemand erzählt dort immer irgendetwas. Manchmal sind es nur die neuesten Kieznachrichten. Früher, auf dem Dorf, gab es Tante Emma mit Kartoffeln und Käse, jetzt gibt es Onkel Christian mit Büchern. »Sag mal, weißt du, was aus dem libanesischen Imbiss geworden ist, wo jetzt der komische Fotoladen drin ist?«

Oder sie kommen herein: »Du, Christian, ich wollte gerade drüben im Restaurant bezahlen, aber die akzeptieren nur noch Karten. Kannst Du mir mal ´nen Zwanni leihen?«

Weil es Koch nicht nur um Kriminalromane geht, liefert der Postbote auch nicht nur Bücherpakete, sondern Pakete aller Art. Für Nachbarn aller Art. »Ich könnte hier auch Autoreifen verkaufen, ich könnte auch den ganzen Tag hier sitzen und lesen, und die Leute kämen trotzdem rein.« Der Grund ist einfach: »Vor meiner Tür ist keine Hemmschwelle. Außerdem kommt hier jeder vorbei.« Koch ist kein Nachbar, der irgendwo im dritten Stock Seitenflügel Hinterhaus wohnt. Nicht eine einzige Treppenstufe ist vor seiner Tür. »Kluge Geschäftsleute haben angeblich herausgefunden, dass selbst die winzigste Stufe schon eine Barriere darstellt, vor der Kunden zurückschrecken!«

Das Hammett ist barrierefrei. Kein Wunder also, dass die Schlüssel der Nachbarn im Buchladen landen, wenn sie in den Urlaub fahren. Er könnte ein Schlüsselbord aufhängen mit Nummern, so wie hinter den alten Hotelrezeptionen, so viele Schlüsselableger kommen vorbei. »Wir haben tatsächlich schon eine Extra-Schublade für die Schlüssel – da, wo eigentlich die großen Scheine hineinkommen sollten!«

Und dann ist da noch diese Kiezzeitung, die es auch schon fast so lange gibt wie das Hammett, und die auch immer voller Geschichten ist. Also liegt das schmale Heftchen jeden Monat bei ihm aus. Und wird von einigen schon »sehnsüchtig erwartet. Wenn das mal nicht pünktlich am 1. hier ist, dann ist aber was los!« Grinst Koch.

Irgendwann fragte ihn eine Nachbarin, ob er ihr nicht jeden Monat eins von den Heftchen für ihren Vater zurücklegen könnte, der jetzt in Bayern wohnt. Das konnte er. »Irgendwann kam sie mit einer großen Packung bayerischer Schokolade, ein Eigenimport mit Gruß vom Vater.« Auch Robert, der zweite Mann hinter dem Tresen bei Hammett, greift sich jeden Monat ein Exemplar ab für den Vater.

Auch das sind Gründe, weshalb das 40-Quadratmeterlädchen jetzt seinen 30. Geburtstag feiert. So, wie die Nachbarn das in Kreuzberg schon immer taten: Ein Tisch in den Hof oder auf die Straße, eine Bierbank davor und ein bisschen was zum Befeuchten der Lippen. Ein paar von den Nachbarn werden sich schon setzen, entweder um zu erzählen oder eben um zuzuhören.

Christian Koch sitzt vor der Markhalle in der Morgensonne. Er sitzt gerne hier und trinkt noch einen zweiten Kaffee, bevor er den Laden aufschließt. »Wenn ich nur einen Tag gefeiert hätte, dann hätten alle gesagt: Ach, schade, da bin ich gerade nicht in Berlin … kannst Du nicht vielleicht…. - Also hab ich mir gedacht, ich feier die ganze erste Juniwoche.« Kaum hat er das erzählt, kommt ein Nachbar an seinen Tisch vor der Markthalle und sagt: »Sag mal, Du feierst nur die erste Juniwoche? Genau da bin ich verreist!« – »Dann komm halt die Woche danach! Meine Tür ist ja offen.«


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2025, Berlin-Kreuzberg